Zu salzig, zu fettig

Dingwelt Erstmals präsentiert das Migros Museum Zürich eine umfassende Werkschau der kanadischen Bildhauerin Liz Magor

Das Abgenutzte, scheinbar Wertlose in den Kunstkontext versetzen: „Carton 2“ Foto: Migros Museum

von Beate Scheder

Fast hätte Liz Magor ein profanes Produkt einen Strich durch die Rechnung gemacht. In der Retrospektive der Künstlerin im Migros Museum steht „Chee-to“ aus dem Jahr 2000 aber nun doch mitten im Raum. Das skulpturale Objekt besteht aus einem Häufchen grau-brauner Steine, unter denen die namensgebenden Snacks hervorquellen, als wolle jemand seine Vorliebe für gepufften Mais mit Käsegeschmack vor missbilligenden Blicken verbergen.

Cheetos sind schlechtes Gewissen in Tüten, zu salzig, zu künstlich, zu fettig. Die Art von Snack, die einen dazu zwingt, wieder und wieder in die Verpackung zu greifen, bis sie leer ist und man sich elend fühlt. Es ist ein Klassiker des Trash-Foods, auf dem Markt seit 1948, international vertrieben. In der Schweiz jedoch nicht. Auch bei Migros, dem Schweizer Handelskonzern, dem das Museum gehört, gibt es keine Cheetos. Zum Apéro reicht man lieber Nüsse, und wenn man Chips isst, dann solche aus ungeschälten Biokartoffeln. Man besorgte Magor für ihre Arbeit also Alternativen. „Gesund“ sahen die aus, erzählt sie. Unbrauchbar für ihre Arbeit. Also schickte die Künstlerin eigenhändig eine Tüte los – und konterkarierte sich selbst: Die grell orangefarbenen Cheetos haben so ihre Banalität verloren.

Liz Magor, geboren 1948, zählt in ihrem Heimatland Kanada zu den einflussreichsten Bildhauerinnen ihrer Zeit. In Europa war ihr Name bislang kaum bekannt. Sie gehört zu jenen Künstlern und vor allem Künstlerinnen, die erst spät Aufmerksamkeit erlangen, obwohl sie bereits ein Jahrzehnte umfassendes, konsistentes Werk vorweisen können. Im Sommer lief in Montreal der Vorläufer der Retro­spektive, im Herbst hatte Magor zwei Ausstellungen in Paris, nun folgt die Schau im Züricher Migros Museum, die anschließend in den Hamburger Kunstverein wandert.

Magors Skulpturen sind eine Entdeckung. In der Art und Weise, wie sie das Abgenutzte, scheinbar Wertlose in den Kunstkontext versetzen, passen sie nicht nur in die Tradition der Arte povera. Sie vereinen die Fragen nach Materialität, Funktionalität und Verwertungslogik, die eine junge Generation an Bildhauern umtreibt.

Indem sie das Sichtbare zeige, versuche sie zum Nichtsichtbaren vorzudringen, erklärt Magor zur Frage nach dem Selbst in der Gesellschaft: „Mich interessiert der psychologische Aspekt des Konsums, die Art und Weise, wie Dinge uns begegnen und wir zu ihnen eine Zuneigung entwickeln, die manchmal stärker ist als diejenige, die wir gegenüber den Menschen empfinden, mit denen wir zusammenleben“, sagt sie.

Die Gegenstände, die Magor zeigt, haben ihre besten Zeiten bereits hinter sich oder waren nie sonderlich attraktiv, wie der Wischmopp, der so an der Wand lehnt, als hätte er gerade ein paar Krümel weggeputzt. In Wirklichkeit nimmt er die Betrachter auf die Schippe. Der Wischmopp ist gar kein Wischmopp, sondern ein Gebilde aus polymerisiertem Gips, Silikon und Holz. Magor hat ihn originalgetreu nachgebildet. Auch die Steine in „Chee-to“ sind keine Steine, sondern Gips­kopien.

Magor interessiert, wie Dinge uns begegnen und wir zu ihnen eine Zu­neigung entwickeln

Die Künstlerin fordert die Wahrnehmung der Besucher heraus. Das klingt wie einer dieser austauschbaren Sätze aus Pressemitteilungen, trifft auf Magor aber zu. In einem aufwendigen Prozess produziert sie täuschend echte Abgüsse von Steinen und Putzgeräten, Handtüchern, Kleidersäcken, Textilien, Pappkartons und weiterem mehr. Die kombiniert sie mit Fundstücken vom Sperrmüll, aus Secondhandläden oder dem Supermarkt. Das Zusammenspiel der Materialien erweckt neues Leben in ihnen, und es verdreht die Wertigkeiten: Da sind die abgenutzten Teile von der Resterampe, dort die von ihr angefertigten Skulpturen, die ebensolche imitieren, aber als Kunstwerke einen ganz anderen Status besitzen.

Was hat welchen Wert und warum? Was machen die Dinge mit uns und wir mit ihnen? Die Künstlerin untersucht das anhand löchriger Wolldecken aus den 1960er Jahren, die für Kingsize-Betten viel zu klein sind und nun ein Dasein im Secondhandladen fristen. Magor hat sie zu größeren Formaten zusammengenäht, reinigen lassen und wie Bilder an die Wand gehängt.

Andere Dinge haben direkteren Einfluss auf den Gefühlshaushalt ihrer Benutzer: Viele Suchtmittel verwebt Magor in ihren Arbeiten. Zigaretten, Schnapsflaschen, Bierdosen, versteckt nicht in braunen Papiertüten, sondern unter Kleidungsstücken oder Handtüchern aus Gips. „Alkohol und Zigaretten sind wie Hunde und Katzen, intelligent“, sagt Magor. „Sie sind wie eine frühe Form künstlicher Intelligenz.“

Bis 7. Mai, Migros Museum, Zürich