Ausstieg als Inszenierung

Wandlung Rechtsextremismus-Experten sind nicht immer glücklich mit dem Auftreten von Aussteigern. So sorgt etwa das Verhalten des ehemaligen Klubbetreibers und Rockerbosses Philip Schlaffer für Irritationen

„Schlaffer stellt sich durch seine Inszenierungsform weiterhin in den Mittelpunkt“

Johanna Sigl, Soziologin und AusSteigerforscherin

Bei Veranstaltungen zum Rechtsextremismus sind sie oft die Publikumsmagnete: die Aussteiger. Jetzt kann man sie mal live und direkt erleben, sie liefern die vermeintliche Authentizität – und den Thrill. Das vermeintlich randständige Leben wird als eine persönliche Geschichte gesellschaftlicher Wiedereingliederung auserzählt, die gleichzeitig als politische Warnung fungiert.

Doch an der gängigen Praxis der Einladung von Aussteigern kommt Kritik auf. „Aussteiger sind nicht via Vita automatisch Präventions- und Rechtsextremismusexperten, sie sind, wenn sie sich selbst wirklich hinterfragten, vor allem nur Experten ihrer Biografie“, sagt die Soziologin Johanna Sigl von der Universität Marburg, die seit Jahren über Zuwendung und Distanzierung forscht.

In Schleswig-Holstein wirft seit Kurzen das Engagement von Philip Schlaffer in der Antigewaltprävention Fragen auf. Mit 15 Jahren wandte Schlaffer sich 1994 in Lübeck der rechtsex­tremen Skinhead-Szene zu und wurde NPD-Mitglied, blieb aber kein Mitläufer. Er stieg zu einem der größeren illegalen Musikimporteure- und Produzenten der rechten Szene auf, betrieb drei Läden in Berlin, Hamburg und Wismar und gründete den Klub „Werwolf Wismar“. 2008 folgte der nahtlose Übergang ins Rocker- und Rotlichtmilieu, er gründete den Motorcycle Club Schwarze Schar MC. Vollmitglied konnte nur werden, wer sich zu „seiner deutschen Herkunft“ bekennt.

Heute ist Schlaffer, der in U-Haft saß und einschlägige verurteilt wurde, für den Verein „Gefangene helfen Jugendlichen e. V.“ mit Sitz in Elmenhorst aktiv und hält Vorträge über sein Leben zwischen Gewaltausbrüchen und Prostitutionsgeschäfte. Als Aussteiger bietet er sich auch bei Bildungs- und Präventionsträgern gegen rechts an. Die Selfies auf seiner Facebookseite zeigen ihn stark tätowiert mit Muskeln, die auf häufige Besuche von Fitnessstudios schließen lassen. In den Videos erzählt er, dass Einiges in den „20 Jahren Subkultur“ auch was Gutes gehabt habe, es habe ihn zu dem gemacht, was er heute sei, er pflege auch noch seine Kontakte zu Bekannten und Freunden von damals. Präventionsarbeit könne man nicht machen, wenn man keine Vergangenheit gehabt habe – „wenn man das nicht erlebt hat“.

Eine gewagte Aussage, sagt Soziologin Sigl: „Authentizität wird mit Kompetenz gleichgesetzt.“ Pädagogisch sei das fragwürdig und das „Gegenteil von professionell“. Grundsätzlich sei es problematisch, wenn ehemalige Nazitäter mit ihrer Vergangenheit Geld verdienen, weil sie sich dadurch nicht wirklich lösen, meint sie.

Mit dieser Ansicht ist sie nicht allein. Die Präventionsexpertin Ricarda Milke von Verein „Miteinander – Netzwerk für Demokratie und Weltoffenheit in Sachsen-Anhalt e. V “ hinterfragt ebenfalls eine Authentizität, die auf einen „Gruselfaktor“ setzt, um zu beeindrucken. „Auch wir benennen Authentizität als einen der Grundstandards pä­dagogischen Handelns, besonders in der Arbeit mit rechtsorientierten oder rechtsaffinen Jugendlichen“, schreibt sie in der Vereinszeitschrift von Miteinander. Doch sei damit „eine bewusste, ehrliche, konsequente und aufrichtige Herangehensweise in Bezug auf pädagogische Prozesse und die eigene Haltung“ gemeint. Authentizität habe Grenzen, die erreicht würden, wo aus rein persönlichem Empfinden heraus argumentiert werde.

Philip Schlaffer, sagt Soziologin Sigl, habe sich auf der Handlungsebene von der rechten Szene gelöst. Seinen Ausstieg stelle er jedoch als einen Ausstieg aus der Kriminalität dar, ohne auf die einst von ihm vertretene Ideologie einzugehen. Bei Schlaffer erkennt sie einen „Ausstieg als Inszenierung“, durch den eine „Eigenaufwertung“ erfolge. Solche Aussteiger, sagt Sigl, die für Ihre gerade abgeschlossene Doktorarbeit verschiedene AussteigerInnen aus der rechten Szene interviewte, holen sich so ihre Anerkennung: „Insbesondere Schlaffer stellt sich durch seine Inszenierungsform weiterhin in den Mittelpunkt; eine Rolle, die er schon als Kameradschaftskopf und Rockerboss gespielt hat.“

In einen Exposé für ein Buchprojekt von Schlaffer aus dem Jahr 2014 klingt das so: „Deutschland- und europaweit bekannt als Neonazi, Rocker und Zuhälter wurde er vom Staat gejagt, von Kriminellen bekämpft, seinen Brüdern verraten und von der Gesellschaft verachtet. Gewalt, Geld und Drogen bestimmten seinen Alltag, bis im Januar 2014 das Verbot der Schwarzen Schar (…) ausgesprochen wurde“.

„An diesem Tag beschloss ich, mein Leben zu ändern“, heißt es in dem Exposé weiter – jetzt schreibt offenbar Schlaffer selbst. Er beklagt die fehlende „Kameradschaft“ in der „Subkultur“ und erklärt: „Ich bin kein Aussteiger“. Wenige Monate später im selben Jahr steht ihm ein Szeneanwalt in einen Verfahren bei.

Weder Schlaffer selbst noch Henry-Oliver Jacobs, der Chef des Vereins „Gefangene helfen Jugendlichen“, wollten sich dazu äußern. Jacobs erklärte nur: „Wir stehen zu Herrn Schlaffer.“

Hannes Stepputat/Andreas Speit