Press-Schlag
: Lilien, Literatur und Ligaabstieg

Darmstadt ist künftig nur noch die Stadt der Akademie für Sprache und Dichtung. Zeit für die Einbettung des Südhessenfußballs in die Weltliteratur

Nachdem die Bundesliga wie praktisch jedes Jahr um diese Zeit an dem Punkt angekommen ist, an dem die meisten spannenden Aspekte jeder Saison (Also: Wer wird Meister, wer erster Absteiger, und wird der HSV es wieder besonders spannend machen?) entschieden sind, ist es Zeit, sich um das große Ganze beziehungsweise interessante Fragen abseits des Ligaalltags zu kümmern.

Oder um diese hier: Was wäre, wenn man eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte und sich in den FC Bayern München verwandelt hätte? Zunächst wäre das wohl eher unangenehm, weil man jede Menge lästiger Pflichten absolvieren müsste, wie: dauernd früh aufstehen, trainieren, samstags nicht schön zu Hause auf der Couch abhängen, in langweiligen Meetings herumsitzen. Und dazu müsste man auch noch dauernd den Rasen mähen. Auf der anderen Seite wäre man immerhin, wenigstens theoretisch, unsterblich, aber ob es wirklich erfüllend ist, in alle Ewigkeit zu gewinnen und Triple-Titel anzustreben, weiß man nicht.

Abgesehen davon, wäre so eine niemals endende Existenz in Rot-Weiß nun auch rein optisch nicht schön, denn was für Bauklötzchen und Tischdecken in italienischen Restaurants durchaus okay ist, ist natürlich für zum Fußballverein gewordene Menschen nicht wirklich kleidsam. Aber das gilt im Grunde für alle anderen Vereinsfarben auch und zählt deswegen eigentlich nicht als valides Argument.

Andererseits könnte man wichtige Entscheidungen treffen, wie die, dem SV Darmstadt 98 am letzten Samstag zu Hause die drei so verzweifelt gebrauchten Punkte und damit weitere Hoffnung auf den Nichtabstieg einfach zu schenken. Und das nicht nur aus moralkitschigen Gründen, sondern weil man damit vielleicht ganz egoistisch verhindern könnte, dass aus der Zweiten Liga am Ende irgendein lästiger Gewinnenwoller aufsteigt, der einem dann wieder ständig mit Ambitionen auf die Nerven geht und nicht bloß, wie die Lilien, möglichst viele Jahre in der Bundesliga bleiben möchte, um genug Geld für die unweigerlich folgenden langen, dunklen Jahrzehnte irgendwo zwischen Liga zwei und vier zusammenzu­sparen.

Doch, man hätte sie gewinnen lassen, wenn man Bayern München wäre. Und am Spieltag davor auch den VfL Wolfsburg, weil es nämlich viel vergnüglicher gewesen wäre, so ein klitzekleines bisschen hämisch im Stadion von RB Leipzig die Meisterschaft klarzumachen und zu feiern.

Der Erfinder des Leipziger Vereins, RedBull-Boss Dietrich Mateschitz, hatte schließlich kürzlich erklärt, gegen „das Meinungsdiktat der politisch Korrekten“ zu sein und eine Art Breitbart News für Österreich starten zu wollen. Das demonstrativ auf dem Rasen zu bestrafen wäre durchaus vergnüglich.

Aber nun sind die Dinge, wie sie nun einmal sind, und man ist kein Fußballverein. Schon gar nicht einer, der, wäre er ein Mensch, einer dieser eloquent-strebsamen Langweiler wäre, die einen in der Schule nie abschreiben ließen und deren Niederlagen im weiteren Verlauf ihres Lebens hauptsächlich darin bestehen, nicht immer alles zu gewinnen.

Aber, wo wir schon mal dabei sind: Was für ein Mensch wäre der SV Darmstadt 98? Eigentlich, so hatte Präsident Rüdiger Fritsch vor dem Spiel bei Bayern München gesagt, müssten die Lilien, vergleiche man die Etats, 0:18 verlieren. Unmittelbar nach der knappen 0:1-Niederlage und dem besiegelten Nichtklassenerhalt erklärte Mittelfeldspieler Jerome Gondorf, man habe super gespielt, dies sei daher „vielleicht der schönste Abstieg, den es für uns geben konnte“.

Wir müssen uns den SV Darmstadt 98 als glücklichen Menschen vorstellen.

Elke Wittich