Unterwegs im gelben Taxi

SYMPOSION Über „Film als Forschungsmethode“ diskutierten in Bremen wohltemperierte Akademiker und skeptische Cineasten

Die Zerlegung und Nutzbarmachung einer Kokospalme zeigt der Film stumm – aber mit Beiheft

„In 25 Minuten kann man nur manifesthaft herumstochern“, zu diesem Ergebnis kam Marc Ries, Professor für Soziologie und Theorie der Medien an der Hochschule für Gestaltung Offenbach, nach seinem ­Vortrag „Selbstanzeige konkreten ­Daseins. Zu einer Möglichkeit ­filmischer Forschung“. Ein amüsantes Resümee, nachdem Ries in ebenjenen gut 20 Minuten versucht hatte, die „normative Subjekt/Objekt-Dichotomie“ mittels „Selbsttranszendenz“ aufzulösen. Keine geringe Aufgabe, für die Ries aber dennoch einige Beispiele auftat.

„Taxi Driver“ von Martin Scorsese etwa: Hier sei in mehreren Kamerafahrten zu beobachten, wie sich die Stadt, also New York, vor der Linse verselbstständige, quasi ihr eigenes Ding mache – ab einem gewissen Grat auch unkontrollierbar werde. Die Aufnahmeapparatur verhielte sich dabei passiv, befinde sich sozusagen in einem Zustand der Selbstvergessenheit, die Ries als „entleert“ bezeichnet. Dass es sich außerdem um eine sehr schöne Entleerung handelt, das war im großen Kinosaal des Kommunalen Kinos City 46 in Bremen am Aufstöhnen nach Ende des Filmclips zu bemerken – gerne wäre man noch ein wenig länger im Forschungs-Taxi unterwegs gewesen, hätte sich die Straßen beschaut und wäre damit vielleicht auch im Modi des Historikers verharrt, dem Ries genau dieses Passive-Aktive als Ausgangsbasis für sein Tun nachsagt.

Damit hat er dann gar nicht wenig mit jemandem gemein, der ins Kino geht oder sich daheim aktiv-passiv dem Filmgenuss ergibt. Es ist ein endlos geflochtenes Band: Die Kamera beobachtet, was später wiederum beobachtet werden kann, was wiederum untersucht werden kann, was – und so weiter.

Identitätskrise als Motor

„Film als Forschungsmethode“ lautete die Überschrift zum 22. Internationalen Bremer Symposium zum Film. Dabei wurde es im Verlauf der Veranstaltung immer unklarer, um was es sich bei Film eigentlich handelt, beziehungsweise: wann ein Film kein („guter“) Film mehr ist.

Damit sah sich die Londoner Historikerin und Filmemacherin Lily Ford nach der Vorführung ihres 15-minütigen Videoessays „Fallen Women“ konfrontiert, einer filmisch aufbereiteten Forschungsarbeit über das London’s Foundling Hospital, einer Institution, an die unverheiratete Frauen im 19. Jahrhundert ihre Neugeborenen geben konnten. Ein Einwand aus dem Publikum war: Wenn jetzt auch noch Wissenschaftler anfangen, (amateurhaft) Filme zu fabrizieren – was passiert dann mit uns ausgebildeten Filmschaffenden?

Den Vorwurf wiegelte Ford einigermaßen cool ab: Damit müsse man sich zukünftig wohl oder übel abfinden – schließlich würde und könne heutzutage nahezu jeder Filme herstellen. Alejandro Bachmann vom Wiener Filmmuseum sprang Ford derweil zur Seite – wie Film hier als Darstellungsform gebraucht würde, das besäße durchaus filmische Relevanz. So ganz abfinden wollten sich Teile des Publikums dennoch nicht: Historikerin, Filmemacherin, was denn nun? Lily Ford: „I find identity crisis quite productive.“

Zu den sympathischen Aspekten des Bremer Filmsymposiums zählt sowieso die Unabgeschlossenheit. Zahlreiche Präsentationen umweht das ­Unfertige, wohl auch, weil sich viele junge Wissenschaftler erst am Beginn der Erschließung eines Themenfeldes befinden. Dennis Göttel von der Leuphana Universität Lüneburg konnte sich nach seinen Vortrag „Filmische Produktionsforschung“, der sich der Untersuchung filmischer Paratexte widmete (gemeint waren vor allem Making-ofs), über reichlich Hinweise freuen.

Eva Knopfs „Zwischen Wissenschaft und Spielfilm. Theorie und Methodologie des wissenschaftlichen Films in Deutschland (1950er – 70er Jahre)“ gab Einblick in die Arbeit des IWF, Institut für den Wissenschaftlichen Film, das sich in aller Ernsthaftigkeit etwa die komplette Zerlegung und Nutzbarmachung einer Kokospalme filmisch erschloss. Und das nicht im Stile eines Fernsehbeitrags mit stimmungsvoller Musik und sich an Wortspielen versuchendem Kommentar – nein, stumm und mit Beiheft zum Film.

Beihefthaft als Gegenpol zu manifesthaft – auch das gab es in Bremen zu erleben: ruhige Erklärungen, wohltemperierte Akademiker. Bei ihnen wird der Film zur „audiovisuellen Quelle“ – ein Standpunkt, auf den sich immerhin alle einigen können.Carolin Weidner