Männer im engen Anzug: Die eng gegürteten Mächtigen

Einst hieß es, die Zukunft sei weiblich. Das haben sich die jungen Männer, die jetzt die Politik bestimmen, zu Herzen genommen – und tragen tailliert.

Macron steht im schwarzen Anzug neben Merkel auf einem roten Podest

Die Zukunft ist weiblich? Sorry, das wird wieder nichts, die neuen Männer ziehen sich zu gut an Foto: dpa

Wie du kommst gegangen, so wirst du auch empfangen, so beschrieb einst der stets gut gewandete Geheimrat Goethe den Zusammenhang zwischen Garderobe und Außenwirkung. In der vergangenen Woche konnte man erleben, wie das im Lauf der Jahrhunderte schon etwas strapazierte Bonmot erneut wahrhaftig wurde: Frankreichs neuer und blendend aussehender Staatspräsident Emmanuel Macron kam zum Antrittsbesuch nach Berlin – wie immer im so knapp wie gut sitzenden Anzug – und wurde warmherzig bis euphorisch empfangen. Auch Angela Merkel fühlte sich in dieser charmanten Gesellschaft sichtlich wohler als in Gegenwart all der bösen alten Männer, mit denen sie es sonst zu tun hat.

Macron (39) ist neben dem österreichischen Außenminister Sebastian Kurz (30) und dem auf dem Sprung zurück nach Berlin sich befindenden FDP-Vorsitzenden Christian Lindner (38) der Dritte im Bunde der neuen „Slim Fit“-Politikergeneration – wenn er auch schon dort ist, wo die anderen beiden gerade hinwollen, nämlich ganz oben.

Der Schnitt „Slim Fit“ läuft manchmal auch unter „Body Fit“ und bedeutet: am Körper anliegend, die Körperform betonend. „Slim Fit“-Hemden und T-Shirts weisen eine Taillierung auf, welche durch Abnäher an den Rücken- oder Seitennähten oder durch eine entsprechende Form der Schnittmuster erreicht wird. „Slim Fit“-Oberteile sind häufig kürzer als „Regular Fit“-Modelle und reichen nur etwa bis auf Höhe des Hosenbundes. Dieser absolute Schlankheit erfordernde Schnitt wurde früher ausschließlich der Damenwelt auferlegt, seit einigen Jahren nun aber auch den Männern.

Der Witz ist: Solche Anzüge können in der Regel nur Männer in jungen oder mittleren Jahren tragen – es sei denn, sie heißen Karl Lagerfeld und ernähren sich nur von gedünstetem Fisch und Gemüse; die meisten Männer entwachsen diesem Schnitt in der Regel ab einem bestimmten Alter. Die Herren Macron, Kurz und Lindner senden mit der Wahl ihrer Kleidung also durchaus ein (deutlich sichtbares) Signal: Seht her, ich bin jung und ich verkörpere die Zukunft!

Und wie es aussieht, nimmt man es den eng gegürteten Jünglingen ab: Derweil die bösen alten rechten Männer Putin, Trump und Erdoğan (noch) ihr Unwesen treiben, ist die Zeit der guten alten Männer als Gegenspieler ebenfalls abgelaufen: Der mal hemdsärmelig, mal im Einheitsanzug umherwandelnde Bernie Sanders ist aus dem Rennen, und der stets etwas verknittert wirkende, den Look eines Sozialkundelehrers perfekt wiedergebende Jeremy Corbyn ist weg vom Fenster.

Hauptsache frisch

Die jungen Männer sollen es nun also richten, Neoliberalismus hin oder her, Hauptsache frisch: Klimawandel, Weltfrieden, Geschlechtergerechtigkeit und was sonst noch anliegt. Justin Trudeau (kann, obwohl er schon Mitte vierzig ist, noch gut „Slim Line“ tragen und macht auch sonst ziemlich viel richtig) hat in Kanada schon vorgemacht, wie 21. Jahrhundert geht („Because it’s 2015“), während die deutsche Testrakete in Sachen gegeltem Herrenchic, Karl-Theodor zu Guttenberg (45), schon vor Jahren sinnlos im All verglüht ist. Immerhin hatte der Franke vorher noch schnell die Wehrpflicht abgeschafft. Adieu, preußisches Kantonsystem.

Von ihrem Frühjahrshoch ist die SPD unter Martin Schulz schnell wieder abgestürzt. Alles schien möglich. Und nun? Eine Vorwahlanalyse lesen Sie in der taz.am wochenende vom 20./21. Mai. Außerdem: Der FC Bayern München hat jetzt einen eigenen TV-Sender und schottet sich gegenüber Journalisten ab. Und: Inga Humpe, die Königin der Club-Kultur, im Gespräch über Nichtwähler und freie Liebe. Das alles – am Kiosk, eKiosk oder im praktischen Wochenendabo.

Markus Söder braucht mindestens „Regular Fit“. So bleibt hierzulande neben Justizminister Heiko Maas (die Nummer 1 der Best-Dressed-Liste von Gentleman’s Quarterly 2016) zunächst nur Herr Lindner von der FDP, der schon im NRW-Wahlkampf mit seinem Wahlkampfspot im Burnout-Chic für Aufsehen gesorgt hatte: Stets sieht er abgekämpft aus in den elegischen Schwarz-Weiß-Szenarien – wohl weil er so viel kämpft, für NRW.

Das alles selbstverständlich im eng anliegenden, taillierten Anzug, den der Ü40-Kollege von der CDU, Peter Tauber (42), prompt und mit Getöse als „Maßanzug“ denunzierte – der außerhalb des britischen Oberhauses scheinbar nichts Gutes bedeuten kann, sondern eher für Raffgier, Neoliberalismus und Schlimmeres steht. Überhaupt gerät hierzulande unter Generalverdacht, wer sich allzu modisch kleidet; schnell gilt als eitler Pfau/homosexueller Hallodri/unzuverlässiger Leichtmatrose, wer nur mal andere als schwarze Socken trägt. Das höchste der Gefühle ist da schon ein Ausflug zum Boss-Outlet nach Metzingen. Nur nichts verkehrt machen.

Auch in H&M kann man fantastisch aussehen

Wo Herr Lindner seine Anzüge kauft, ist nicht bekannt, wahrscheinlich in Düsseldorf. Doch wo auch immer, die Anzugfrage ist brisant: Gerhard Schröder hat man seine Brioni-Anzüge bis heute nicht verziehen. Und hatte sich der groß gewachsene und Anzüge gut tragen könnende Cem Özdemir seinerzeit nicht Ärger eingehandelt, weil er sich von einem PR-Berater Geld geliehen hatte, um – ja – Anzüge zu kaufen?

Schon sind wir wieder in Frankreich, bei dem gescheiterten konservativen Kandiaten François Fillon, der sich Anzüge im Wert von 13.000 Euro hatte schenken lassen, was auch im modebewussteren Frankreich nicht gut angekommen ist – während Macron verbreiten lässt, dass er für seine Arbeitskleidung im Schnitt bescheidene 400 Euro beim Herrenschneider lässt. Womit er eben auch sagt: Wenn man jung ist und einen guten Körper hat, sieht man auch in einem Smoking von H&M fantastisch aus.

Nun ist Herrenmode generell ein bisschen langweilig, ist sie doch in der Praxis meist nichts anderes als eine Variation des Uniformthemas. Was uns noch einmal zum stramm rechten Sebastian Kurz führt, der mit seinen sehr langen Beinen im „Slim Fit“-Anzug stets etwas gazellenartig daherstakst und dessen nach hinten geföhntes Gelhaar manchmal die Frage aufwirft, ob er das alles eigentlich ernst meint.

Offensichtlich meint er es ernst, und so wie Macron eine normale Partei nicht mehr reicht und es gleich eine „Bewegung“ sein muss, macht es der Österreicher nicht unter einer persönlichen „Liste Kurz“. Sowohl Kurz als auch Macron und Lindner sind übrigens auffällig oft von einem Rudel agiler, dynamischer Jungmänner umgeben, die wie Putzerfische um ihre Anführer herumschwirren.

Können es die Duftenden richten?

Sollen uns nun also nach Eau de Toilette duftende Männerbünde aus Junganwälten und Zahnärzten vor den Rechten schützen und die Geschicke der Welt in die Hände nehmen, nachdem die alten Männer es – so oder so – verbockt haben?

Was zur allerletzten, aber umso wichtigeren Frage führte: Hieß es nicht, die Zukunft sei weiblich?

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

* 21. Februar 1973 in Wittlich; † 26. Mai 2023 in Berlin, war Redakteur der taz am Wochenende. Sein Schwerpunkt lag auf gesellschaftlichen und LGBTI-Themen. Er veröffentlichte mehrere Bücher im Fischer Taschenbuchverlag („Generation Umhängetasche“, „Landlust“ und „Vertragt Euch“). Zuletzt erschien von ihm "Die Kapsel. Aids in der Bundesrepublik" im Suhrkamp-Verlag (2018). Martin Reichert lebte mit seinem Lebensgefährten in Berlin-Neukölln - und so oft es ging in Slowenien

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.