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Gedämpfte Saisonfreude

Herdanziehung Beim Spargel kommt es auf die Vorbereitung an: Aus Schalen und holzigen Abschnitten wird ein aromatisches Gebräu geköchelt. Das Ergebnis bildet mit Salz, Zucker, Butter und Zitronensaft die Grundlage für den Garprozess der Stangen

Kein Gemüse wird schöner besungen: „Die ganze Welt ist wie verhext, Veronika, der Spargel wächst!“ Foto: Tobias Gerber/laif

von Denny Carl

Sanft gleiten wir durch das Spalier märkischer Alleebäume. Sie können schon seit einigen Kilometern nicht mehr verbergen, wie verspargelt – im köstlichsten Sinne des Wortes – die Natur hinter ihnen ist. Felder mit endlos erscheinenden, schnurgeraden und weiß bedeckten Hügelchen rücken immer näher an die Straße heran. Es kann also nicht mehr weit sein bis Busendorf.

Der kleine Ort mit seinen 400 Einwohnern gehört zur traditionsreichen Spargelstadt Beelitz und damit zum größten Anbaugebiet des weißen Goldes in Brandenburg. Woher der Ortsname kommt, der unbestritten einen interessanten ­Kontrast zum phallischen Stangegemüse bildet, ist nicht ganz klar. Die kirchliche Deutung verweist darauf, dass wir gleich in einen Ort der Buße“ einrollen werden. Das würde mir gerade weniger passen.

Es waren unsere Nachbarn, die uns von „ihrem“ Spargelhof nebst Gastronomie im Brandenburgischen erzählten, zu dem sie jedes Jahr mit großer Freude fahren würden. Wobei es eher nach Pilgerfahrt klang. Nein, „Pilgerpendeln“ träfe es noch besser. Denn offensichtlich hatten wir einfach nur Glück, sie im zweiten Quartal des Jahres überhaupt daheim angetroffen zu haben. Noch ehe jene Empfehlung durch die banale Aufzählung von Autobahnabfahrten ihre Magie verlieren konnte, wiesen sie uns zwei Plätze auf der Rückbank ihres Spargelmobils zu.

„Ganz wichtig: Hier immer vorbeifahren!“, ermahnt der Kraftfahrer unserer kleinen kulinarischen Fahrgemeinschaft und deutet auf den imposanten Erlebnishof zu unserer Rechten. Zu viel Trubel, zu viel Show.

Auf Simianers Spargelhof sieht es hingegen wirklich nach einem echten landwirtschaftlichen Betrieb aus. In einem Hofladen wird frisch Gestochenes für die Zubereitung in der heimischen Küche feilgeboten. Wer wie wir nicht so lange warten kann, dem tischt der Erzeuger im eigenen Restaurant „Spargelstübchen“ auf.

Beim Betreten des Gastraums überlege ich, ob ich den Diminutiv bisher viel zu vorsichtig verwendet habe. Wir nehmen vier der etwa 130 Plätze ein und sichten das angenehm kleine und klassische Angebot. Übersättigte Weltstädter werden den üblichen Schnickschnack vermissen. Nichts Fermentiertes, kein Chutney, kein Espuma. Stattdessen reüssieren Spargel-Klassiker: solo, mit Schnitzel, Schinken oder Fisch. Das Kräuterpfannküchle mit Spargel sendet einen Gruß aus dem Badischen, wo der Familienbetrieb seine Wurzeln hat.

Es dauert nicht lange, bis die Teller auf dem Tisch stehen. Aber auch stundenlanges Warten hätte sich gelohnt, denn der Spargel ist perfekt. Keine Frage: Dass das Gestänge auf meinem Teller heute Morgen den Tag nichts ahnend noch unter Märkischen Sand begrüßte, mag ein triftiger Grund für seinen großartigen Geschmack sein. Spargel besteht zu 90 bis 95 Prozent aus Wasser. Mit jedem Prozent weniger geht auch ein Stück seines Geschmacks verloren. Nicht umsonst sollte Spargel bis zu seiner Zubereitung von einem feuchten Tuch umschlungen sein.

Doch Frische hin oder her – in einer Restaurant-Küche, in der im Laufe eines Tages so viel Spargel gegart wird, muss der Kochsud für jede neue Stange ein wahres Aroma-Doping sein. (Wer Berliner Freibäder an besonders heißen Sommertagen besucht, kennt dieses Prinzip. Doch das nur zur Verdeutlichung.)

Unsereins muss am heimischen Herd immer bei null anfangen. Allerdings schwört so mancher Zubereiter haushaltsüblicher Mengen Spargel auf einen Trick, um auch das letzte Geschmacksmolekül aus dem edlen Gemüse zu holen. Aus Schalen und holzigen Abschnitten wird mit wenig Wasser ein aromatisches Gebräu geköchelt. Das braucht etwas Zeit, mitunter bis zu einer Stunde. Das Ergebnis bildet mit Salz, Zucker, Butter und etwas Zitronensaft die Grundlage für den Garprozess der geschälten Stangen. Die haben dann 10 bis 20 Minuten Zeit, das Aroma ihrer eigenen Schalen in sich aufzunehmen. Der Sud kann anschließend als Basis für Suppen und Saucen verwendet werden. Er lässt sich auch gut im Tiefkühler aufbewahren.

Ursprünglich eine Heilpflanze: Ganze Spargel-Kuren ­wurden verschrieben

Wesentlich schonender und damit gesünder als ein Vollbad im Kochwasser ist es, Spargeln zu dämpfen. Seine Vielzahl an Mineralstoffen und Vitaminen, insbesondere A, C und E, sowie die wichtige Folsäure kann der Mensch besonders im Frühjahr gut gebrauchen. Nicht umsonst war Spargel ursprünglich eine Heilpflanze. Ganze Spargelkuren wurden dereinst verschrieben. Vielleicht ist es also ein nostalgischer Grund, weshalb gerade zu Saisonbeginn mitunter Apothekerpreise verlangt werden.

Bei der Zubereitung des „Dampfs“ kann man ebenfalls einen Schalensud herstellen. Den füllt man 2 bis 3 Zentimeter in einen Topf mit Dämpfeinsatz. Spargel und Sud dürfen einander nicht berühren. Deckel drauf – er sollte fest schließen und während der etwa 30 Minuten dauernden Garzeit nicht geöffnet werden – und den Sud durch mittlere Hitze zum Ändern seines Aggregatzustands bringen. Spezielle Spargeltöpfe vereinen beide Ansätze, indem die aufrecht stehenden Stangen gekocht, ihre Köpfe jedoch gedämpft werden.

Der Nachbartisch bestellt. „Der Spargel mit Hollandaise oder Butter?“, fragt das Stübchen-Personal nach und erhält die wohl recht gängige Antwort: „Beides natürlich!“ Spontan fällt mir ein, dass 100 Gramm Spargel gerade einmal 20 Kilokalorien enthalten, wobei nur 2 bis 3 Prozent davon aus Kohlenhydraten stammen. Da muss eben besonders stark nachkalorisiert werden. Guter Spargel, neue Kartoffeln und eine (mindestens) gehaltvolle Sauce – so sieht ein Wohlfühl­essen aus, das zum Frühling gehört.

Und wir kommen bestimmt mal wieder. Wahrscheinlich noch in diesem Quartal.