Verdrängung in Berlin: Hammerhead dagegen!

Berlins Jugendzentren Potse und Drugstore in Schöneberg stehen vor dem Aus. Für den Erhalt alternativer Räume kamen 300 Menschen zu einer Kundgebung zusammen.

Bei den Protesten gegen die Verdrängung von Potse und Drugstore Foto: Desiree Fischbach

Wenn die Großmeister der Provokation, Hammerhead, sich bereit erklären, umsonst und draußen als Soli-Gig zu spielen „für den kultigen DRUGSTORE in Scheiß Berlin!!“, so die Band in einem Facebookpost, dann ahnt man rasch, dass es einen triftigen Grund dafür geben muss. Hammerhead sind seit bald 30 Jahren in der Szene für ihren deutschen Hardcore-Punk mit polemischen Texten bekannt. Ein Glücksfall für jede Kundgebung, denn Hammerhead füllen sonst den Kreuzberger Club Lido in kürzester Zeit oder bringen das AGH in der Køpi zum Einlassstopp.

Rund 300 Junge und Junggebliebene kamen am Samstagnachmittag in Schöneberg für den Erhalt gefährdeter Projekte zusammen: für den Kiezladen Friedel54 und die Rigaer 94 in Friedrichshain, aber vor allem für die Jugendzentren Potse und Drugstore, die sich in der Potsdamer Straße 180 ein Haus teilen. Gegen die Welt der G 20. Gegen die europäische Abschottungspolitik.

Warum die Kundgebung auf der Kreuzung vor der Potsdamer Straße 180 so wichtig war, dass sich Bands wie Hammerhead, sowie Shoshin aus Manchester und The Not Amused und Torkel T aus Berlin solidarisch zeigten, wird schnell klar, wenn man die 45-jährige Geschichte und die aktuelle Situation des ältesten Jugendzentrums Berlins genauer betrachtet.

Seit 1972 ist der Drugstore kostenloser Freiraum für Jugendliche, junge Menschen und Randgruppen. Aber auch für das etwas jüngere Jugendprojekt Potse endet nun voraussichtlich zum 31. Dezember 2017 die vorerst letzte Mietvertragsverlängerung in den gemeinsamen Räumlichkeiten. 2015 wurde eine Vertragsverlängerung von zwei Jahren erwirkt. Die hatte aber schon einen Haken: Der Mietpreis pro Quadratmeter wurde so stark angehoben, dass eine Abgabe von Flächen nötig wurde.

Lieber loswerden

Es wurden bisher keine Ergebnisse bei den laufenden Verhandlungen über die Zukunft mit dem Eigentümer der Potsdamer Straße 180, dem Bezirksamt und den Projekten erzielt. Es wirkt aber so, dass man, wie schon in der Rigaer Straße oder andernorts, derartige Projekte oder Häuser mitsamt den dazugehörigen Leuten prinzipiell gerne loswerden möchte. Gemeint sind in dem Fall Besitzer*innen oder Investor*innen, denen daran gelegen ist, die Grundstücke und die Immobilien aufzuwerten und zweckzuentfremden.

Bezirksstadtrat Oliver Schworck befindet sich aktuell im Urlaub und konnte somit gegenüber der taz keine Stellung beziehen. Er habe aber in der letzten Bezirksverordnetenversammlung von Tempelhof-Schöneberg im Mai 2017 mitgeteilt, dass an einer Mietverlängerung um weitere zwei Jahre gearbeitet würde, erzählen die Potse und Drugstore Pressesprecher*innen, die ihre Namen nicht nennen, weil sie sich als Kollektiv verstehen.

Sänger von Hammerhead

„Der Erhalt dieser Orte verhindert,dass Städte zu Themenparks werden“

Drugstore- und Potse- Pressesprecher*innen

„Wir gehören nicht an den Rand der Stadt, sondern genau in ihre Mitte. Frei­räume wie unsere machen die Stadt erst zu dem, was sie ist!“

Auf der laufenden Suche nach Ersatzräumen stünde das Bezirksamt vor großen Schwierigkeiten, da die Räumlichkeiten zwangsläufig verkleinert werden müssten. Ein Umzug von 864 Quadratmetern, so die Pressesprecher*innen, könnte nicht bewerkstelligt werden.

Auf der großen Fläche befinden sich unter anderem zwei Konzerträume, ein Siebdruck-/Fotolabor sowie Proberäume und Werkstätten. „Wir fordern die dauerhafte Sicherung aller Jugendeinrichtungen auf Senatsebene“, sagt Birgit, die seit 25 Jahren im Verein Sozialpädagogische Sondermaßnahmen Berlin aktiv ist.

Man gibt sich kämpferisch

Das erste Projekt des Vereins war 1972 das selbst verwaltete Jugendzentrum Drugstore, durch dessen Besetzung 1973 auch das Jugend- und Wohnkollektiv Tommy Weisbecker Haus in Kreuzberg erkämpft wurde. Im Falle von Potse und Drugstore würde der uneingeschränkte Erhalt durch den Rückkauf der Räumlichkeiten gewährleistet werden.

Auf der Kundgebung geben sich die Pressesprecher*innen kämpferisch: „Wir gehören nicht an den Rand der Stadt, sondern genau in ihre Mitte. Freiräume wie unsere machen die Stadt erst zu dem, was sie ist! Der Drang nach Selbstverwirklichung und alternativen Lebenskonzepten wird nicht verschwinden, nur weil man ihm den Boden bzw. das Dach wegnimmt. Je mehr verdrängt wird, umso stärker wird der Widerstand.“

Für viele junge Leute waren diese Freiräume wichtig. Deswegen kommen auf der Kundgebung auch Menschen zu Wort, für die Potse und Drugstore ein entscheidender Türöffner zum Sichfinden war.

Vor rund 15 Jahren, so erzählt etwa der heute 27-jährige Sascha, hat die Potse sein Leben und Denken grundlegend verändert. Er fuhr damals aus seinem tendenziell rechts geprägten Umfeld von Schönefeld nach Schöneberg und fand dort das erste Mal einen Anlaufpunkt und Gleichgesinnte. Die Potse wurde für ihn etliche Jahre ein zweites Zuhause. Ein Ort, den er bis heute als Unikat beschreibt, für den er auch heute noch kämpft, auch wenn er die Angebote nicht mehr aktiv nutzt.

Das erste Punkkonzert

Ganz ähnlich erging es Fred, die wie Sascha beschreibt, welch neue Welt sich ihr in der Potse damals als Jugendliche eröffnet hat und wie wichtig dieser Ort bis heute für sie ist. Nicht nur das erste Punkkonzert haben Sascha und Fred dort erlebt. Wie etliche andere Bands gründete sich dort auch Ende der 90er Freds Band Harnleita, die jahrelang dort die Proberäume nutzte. In den letzten 45 Jahren lassen sich sicherlich unzählige ähnliche Geschichten finden.

Freiräume wie Potse und Drugstore sind offen für alle: Nicht nur Jugendliche, sondern Menschen egal welcher sexuellen Orientierung oder Zugehörigkeit werden hier aufgenommen. Die Herkunft, das Aussehen oder die Finanzkraft spielen keine Rolle.

Um Solidarität mit den Projekten ging es auch der Band Hammerhead. „Orte wie Potse und Drugstore müssen bestehen bleiben. Ihr Erhalt verhindert, dass Städte zu Themenparks werden“, sagt der Sänger der Band. Er selbst kannte die Kultureinrichtungen zwar nicht persönlich, war aber samt Band gerne bereit, auf der Kundgebung zu spielen und der Szene etwas zurückzugeben.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.