Von alten Kämpfen und teurer Stadt

PLATTFORM Noch bis kommenden Montag dauert das 33. Internationale Kurzfilmfestival in Hamburg. Auf dem Programm stehen rund 400 Arbeiten, darunter auch der jüngste Jahrgang aus lokaler Produktion

Wehmütiger Blick aufs Ende eines alternativen (Gewerbe-)Paradieses: „Bodenerhebung“ von Doro Carl und Claudia Reiche Foto: Fotos (2): IKFF

von Wilfried Hippen

„In anderen Ländern werden Leute bei so etwas umgebracht!“, sagt Aljoscha Mir – und meint damit die Hamburger Stadtplanung. Jahrelang hatte der Maler sein Atelier in einer wenig typischen Komfortzone: Auf dem ehemaligen Bahngelände im Stadtteil konnten er und andere – darunter eine Tangolehrerin, ein Polsterer, Instrumentenbauer und Musiker – so günstig wohnen und arbeiten wie nirgendwo sonst in der halbwegs inneren Stadt. Auch die örtliche taz-Redaktion befand sich lange in dieser Gegend. Dann begannen die Bauarbeiten für den Stadtteil „Neue Mitte Altona“ – und nicht nur die Tanzschule wurde nach einem letzten Tango geräumt.

Im Essayfilm „Bodenerhebung“ dokumentieren Doro Carl und Claudia Reiche diese Vertreibung aus dem alternativen Paradies mit wehmütig-solidarischem Blick. Zu Wort kommen auch Stadtplaner, ein Bauingenieur, Hamburgs Oberbaudirektor sowie eine Trendforscherin, allerdings sind sie alle selten auch zu sehen, stattdessen mal die Bauarbeiten, mal luxuriöse Entwürfe von Architekten und Investoren. In nur 20 Minuten macht der Film deutlich, wie mit diesem Gelände Politik und Profit gemacht wurde und ist dabei so analytisch wie assoziativ, so polemisch wie poetisch.

„Bodenerhebung“ war im vergangenen Jahr schon auf anderen Festivals zu sehen, den Nordischen Filmtagen in Lübeck etwa. Und doch ist es gut und wichtig, dass er jetzt noch einmal gezeigt wird, im „Hamburger Wettbewerb“ des dortigen Internationalen Kurzfilmfestivals (IKFF). Denn es gibt nur wenige Plattformen für solche Filme, und diese Sektion des IKFF stellt jeweils den jüngsten Jahrgang von lokal produzierten Kurzfilmen vor: Zwei Programmblöcke mit je fünf Filmen sind am heutigen Donnerstagabend, 19 und 21 Uhr, im Metrolis zu sehen, nochmals am Sonntag, 17.30 und 19.30 Uhr, im 3001.

Thema Stadtentwicklung

Wie wichtig die städtebaulichen Veränderung ihrer Stadt den Programmmachern ist, zeigt sich daran, dass mit „Sang und Klang“ von Uli Fischer noch eine zweite essayistische Dokumentation zu einem ähnlichen Thema ausgewählt wurde: Seit 2005 hat Fischer jedes Jahr im Winter auf der Elbphilharmonie-Baustelle gefilmt – gern an besonders eisigen und nebelverhangenen Tagen, wodurch seine Bilder durchgängig eine kalte Verlorenheit ausstrahlen. Er zeigt viel Stein, kaum Menschen, und ist wenig an den architektonischen Finessen des Konzerthauses interessiert, dafür umso mehr an dessen Monumentalität.

Zu hören ist dazu, wie Fischer aus Protokollen von Bürgerschaftssitzungen vorliest – später auch denen der Untersuchungsausschüsse; lange herrscht da eine naive Begeisterung vor, mit steigenden Kosten und immer wieder verschobenen Terminen zunehmend Ratlosigkeit und Schuldzuweisungen. Wenn ein Politiker dann schließlich glaubt, die griechische Mythologie bemühen zu müssen, um einen passenden Vergleich zu finden, ist dies ein unfreiwillig komischer Moment in dieser stets sachlich distanzierten und deshalb umso absurder wirkenden Langzeitbeobachtung des aus dem Ruder gelaufenen Prestigeprojekts.

Thema Arbeit

Dieses eine Mal passt „Arbeitstitel“ genau: Denn im gleichnamigen Experimentalfilm von Hubert Schmelzer und Natascha Simons geht es um nichts anderes als Arbeit. Etwa acht Minuten lang ist da dieselbe Einstellung zu sehen, ein Mann, der Holzklötze zu Feuerholz kleinhackt. Nur am Ende wechselt die Perspektive – und man sieht die gleiche Einstellung, allerdings auf dem Bildschirm eines digitalen Schneidetischs, an dem sie bearbeitet wird.

Auf der Ton­ebene sind dazu gesprochene Sätze eines digitalen Sprachprogramms montiert: Eine weibliche, erkennbar künstliche Stimme gibt eine endlos wirkende Serie von guten Vorsätzen von sich: „Ich sollte fleißiger sein!“, „Ich sollte meine Oma anrufen!“ und derlei. Da ist es dann fast schon unangemessen, dass das Zuschauen dieses Kurzfilms, Teil des erwähnten „Hamburger Wettbewerbs“, Programm 1, gerade nicht mühsam ist, sondern erstaunlich unterhaltsam.

Bescheidene Erfolgsgeschichte: Jürgen Blin ist „Der Einzelkämpfer“

Auch der Titel „Annäherung“ darf wörtlich genommen werden: In diesem Experimentalfilm nähert sich die Kamera von der Totalen zur extremen Nahaufnahme dem Element Wasser, von ozeanischen Wellentälern bis zu den Spiegelungen auf einer Teichoberfläche. Je näher die Kamera dem Objekt kommt, desto abstrakter wird es. Dies zeigt Filmemacher Pavlo Dalakishvili am Schluss mit Bildern, die genauso gut aus dem Weltraum aufgenommen worden sein könnten wie mit einem Mikroskop.

Grobkörnige Zärtlichkeit

„Der Einzelkämpfer“ von Arne Körner, zu sehen im „Hamburger Wettbewerb“, Programm 2, ist einer der wenigen noch mit einer analogen Kamera aufgenommen Filme des Festivals. Die grobkörnigen Schwarz-Weiß-Bilder passen genau zu seinem Thema und seinem Pro­tagonisten: In den 1970er-Jahren war Jürgen Blin Europameister im Boxen und hat als einer von ganz wenigen gegen Muhammad Ali gekämpft. Heute hat er eine Kneipe, obwohl er „nie in seinem Leben ein Bier getrunken hat“, und arbeitet ehrenamtlich als Boxtrainer.

Es ist eine Erfolgsgeschichte: Als Kind sei er so arm gewesen, dass er sich „im Wald versteckt und geheult“ habe. Blins Ausweg: harte Arbeit, als Seemann, als Fleischer und schließlich im Ring. Stolz, aber nie angeberisch erzählt er, gegen welche „Brocken“ er gekämpft hat. Die Überraschung des unerwartet zärtlichen Porträts: Man muss sich den „Einzelkämpfer“ als glücklichen Menschen vorstellen.

33. Internationales Kurzfilmfestival Hamburg: bis 12. Juni, Metropolis, B-Movie, 3001, Filmraum, Lichtmess und Zeise; http://festival.shortfilm.com