Nach dem Sex istvor der Romantik

Debatte „Sexpositive Partys – Eine Trendkritik“im About:Blank: Ist die freie Feierei eine Utopie?

Nietenhalsbänder und Plateauschuhe, Blumenrock und rote Lippen: Wie divers die Szene aussieht, konnte man im Garten des Friedrichshainer Clubs About:Blank erahnen. „Sexpositive Partys – Eine Trendkritik“ war das Thema der Veranstaltungsreihe „The amplified kitchen“, die am Donnerstag dort stattfand. Und von einem Trend kann man sprechen – denn Clubabende, an denen neben Techno auch Promiskuität im Vordergrund steht, werden in Berlin stetig populärer.

Neu ist die Lust auf Nähe im Rausch natürlich nicht. In Szeneclubs wie dem Ostgut – aus dem das heutige Berghain hervorgehen sollte – oder dem Ficken 3000 verbinden sich seit den 1990ern Ravekultur und Körperlichkeit. So breit wie heute aber war das Angebot nie. Neben traditionsreichen Veranstaltungen im KitKatClub oder dem Lab.oratory im Berghain bieten Partyreihen wie „Polymotion“ oder „House of Red Doors“ die Möglichkeit, sexpositiv zu feiern: Sex ist möglich, Konsens dabei Pflicht. Ein Trend also, der nun – knapp 50 Jahre nach 68 – die Hoffnung nährt, das Versprechen der sogenannten Sexuellen Revolution möge eingelöst werden.

Das Ziel der Veranstaltung, diesen Anspruch kritisch zu beleuchten, nimmt der Moderator Timon Engelhardt sehr ernst. Als ehemaliger publizistischer Betreuer des Berghain und Kenner der Berliner Partyszene befragt er bei Bier und Zigaretten Justus von der Reihe „Pornceptual“, den Fotografen Christian Vagt und Mira, die im KitKatClub an der Tür steht. Auf dem Podium prallen zwei Partykonzepte aufeinander: Während die „Pornceptual“-Reihe auf Dokumentation setzt – in einem separaten Raum können sich Gäste fotografieren lassen –, sind Kameras im KitKatClub unerwünscht.

Schnell dringt Engelhardt im Gespräch zu seiner kulturkritischen Agenda vor. Im Spätkapitalismus, so seine These, hat man sich als sexuelles Individuum in Pose zu werfen. Doch hinter der Inszenierung eines ausschweifenden Lebens verberge sich eine große Lustlosigkeit. „Ich habe den Eindruck, ihr macht aus Sexpartys ein Hochglanzprodukt. Ist das gewollt?“, fragt er Justus in Hinblick auf das ästhetikfixierte Konzept von „Pornceptual“.

Eine pointierte Antwort wird Justus erst zu einem späteren Zeitpunkt liefern, indem er den egalitären Charakter einer bildlastigen Außendarstellung betont: „Wir setzen auf eine poppige Inszenierung, um Menschen unabhängig von ihrem Bildungsstand anzusprechen“, fasst er das Konzept der Reihe zusammen. Die Gefahr, dass gesellschaftliche Normen und Schönheitsstandards auch im Nachtleben greifen, wollen alle PartymacherInnen minimieren – verhindern aber könne man sie nicht. Es ist ein Problem, das sich innerhalb des Nachtlebens nicht lösen lässt, sagt Christian Vagt.

Engelhardt lässt nicht locker

Engelhardt lässt nicht locker, die hehren Ansprüche der Nachtleben-AkteurInnen einem Realitätscheck zu unterziehen. Während man früher trotz aller Widrigkeiten feierte, sagt der Moderator, habe er den Eindruck, dass Feiern zunehmend zum Selbstzweck gerate. Das Resultat: sexpositive Partys als Form von Selbstoptimierung. Mira jedoch bezweifelt, dass das Gros der Partygäste diese Motivation antreibt. Und überhaupt: Wenn schon? „Vielleicht entdecken Menschen durch die Industrialisierung von Sex ja ihre Romantik“, sagt sie.

Klar wird im Laufe des Abends: Sexpositive Partys sind Spielwiesen, schaffen aber keine utopischen Idealräume. Trotz aller Bemühungen, zu jedem Zeitpunkt Sicherheit vor übergriffigem Verhalten zu gewährleisten; trotz allem Willen zur Diversität niemanden auszuschließen: Was die Gesellschaft nicht leisten kann, sollte man von der schillernden Partywelt nicht erwarten. Dennoch sollte man es erproben, das richtige Feiern im falschen. Julia Lorenz