nord.thema
: NORDSOMMER

verlagsseiten der taz.nord zum thema

Führungen durch Fertiges

Baukunst Am Tag der Architektur in Bremen und Niedersachsen laden Bauherrn zu Führungen durch gerade fertiggestellte Gebäude, die eine Jury als besonders gelungen ausgezeichnet hat

Auf Holz gesetzt und gespart: Dieses Wohnhaus aus Holz in Hannover spart gegenüber Ziegelhäusern viel Energie ein Foto: Ulf Salzmann

von Joachim Göres

Günstigen Wohnraum schaffen, der wenig Energie verbraucht, dabei umweltfreundliche Materialien benutzen und das Ganze möglichst schnell realisieren wegen der in vielen Regionen verbreiteten Wohnungsnot – Architekten stehen heute vor vielerlei Anforderungen. An diesem Sonntag präsentieren die Architektenkammern Niedersachsen und Bremen beim Tag der Architektur aus ihrer Sicht besonders gelungene Gebäude, die gerade fertiggestellt wurden.

Bei Führungen kann man sich selbst einen Eindruck verschaffen, zum Beispiel beim Oldenburger Giebelhaus, das durch einen Neubau zum Doppelhaus wurde. Der Kontrast könnte kaum größer sein: hier Satteldach, dort Flachdach, hier weißer Putz, dort dunkelgraue Fassade, hier viele Fenster an allen Seiten, dort große Flächen ohne Lichteinfall.

Charakter erhalten

Bei der Wohnanlage Neue Burg im Wolfsburger Stadtteil Detmerorde werden dagegen die typischen weißen Putzflächen aufgenommen, die in dieser Gegend charakteristisch sind. Gegenüber den hier dominierenden großen Wohnblöcken hat man sieben Stadtvillen mit 92 Wohnungen errichtet.

In Hannover haben die Auftraggeber eines Wohn- und Geschäftshauses auf Holz gesetzt: Es ist in massiver Holzbauweise gefertigt, mit Holzfaser gedämmt und mit einer Holzfassade verkleidet. Gegenüber der massiven Ziegelbauweise konnten so 60 Prozent der eingesetzten Energie reduziert werden. In Buxtehude wiederum wurde die ehemalige Mühle, eines der prägenden Gebäude der Stadt, denkmalgerecht saniert und zum Wohngebäude umgebaut. Dabei wurde der Industriecharakter der einst modernsten Mühle Europas erhalten. Über die Kosten gibt es leider wie auch bei den vorgestellten Bauprojekten aus Oldenburg, Wolfsburg und Hannover im Heft der Architektenkammer, das die 112 ausgewählten Gebäude vorstellt, keine Informationen.

Neben Wohngebäuden sind am Sonntag auch zahlreiche Schulen, Kindergärten sowie Büro- und Firmengebäude zu besichtigen. In Hannover kann man erkunden, welche Arbeitsatmosphäre ein Anleihemanager über den Dächern der Stadt auf 550 Quadratmetern braucht, um sein Geld zu verdienen. Wer wissen will, wie man die Unternehmenswerte Offenheit, Nachhaltigkeit und Freude architektonisch umsetzt, kann sich in Göttingen das neue Produktionsgebäude des Laborgeräteherstellers Sartorius anschauen.

In Göttingen wird auch eine ehemalige Fertighalle für die Landwirtschaft präsentiert, die sich innerhalb von kurzer Zeit kostengünstig zu einer Sporthalle für Flüchtlinge verwandelte. In Bremen wurde aus einer ehemaligen Bank das Manufactum-Warenhaus – das prachtvolle Mosaik-Glasdach und der Marmorboden in der weitläufigen Säulenhalle passen gut zu den gehobenen Preisen der zum Verkauf stehenden Artikel.

Nach ausgezeichneten Beispielen für Baugruppen sucht man leider vergeblich – mit einer Ausnahme: Bei der Neubebauung Klagesmarkt in Hannover mit insgesamt 100 neuen Wohnungen gibt es auch Platz für eine Wohngruppe, die dort sowohl Wohnungen als auch Gemeinschaftsräume angemietet haben. Wer den direkten Kontakt sucht, kann sich an diesem Samstag Wohnprojekte in Hannover vor Ort anschauen und mit Bewohnern darüber sprechen, wie das gemeinschaftliche Bauen und Wohnen konkret aussieht (näheres unter www.wohnprojektmentoren-hannover.de).

Zusätzlich kann man sich zu diesem Thema in Hannover zwei Ausstellungen anschauen, die im Rahmenprogramm des Tages der Architektur stattfinden. Bis zum 2. August zeigt die Volkshochschule (Burgstraße 14) „Gemeinsam Zuhause – Wohnprojekte in Hannover“.

Wohnen in Gemeinschaft

Die Architektenkammer Niedersachsen (Friedrichswall 5) präsentiert bis zum 2. August „Daheim. Bauen und Wohnen in Gemeinschaft“ mit 26 Beispielen von Baugruppen aus dem In- und Ausland. Dazu gehört ein achtgeschossiges Mehrfamilienhaus in Wien, das 2013 nach den Plänen der Bewohner – 70 Erwachsene und 30 Kinder – fertiggestellt wurde, mit 39 Wohneinheiten zwischen 36 und 137 Quadratmetern. „Wir haben jeder eine eigene Wohnung und sind keine Kommune, aber es gibt viele Gemeinschaftsräume als Treffpunkte“, sagt Roberta Rastl in einem in der Ausstellung präsentierten Film.

Die Entscheidungen übers Bauen und Zusammenleben werden demokratisch getroffen. Es gibt unter anderem zwei Gemeinschaftsküchen, einen Spielraum, einen Mehrzwecksaal, eine Bibliothek, einen Musikraum und eine Sauna. Für den Kauf des 7,3 Millionen Euro teuren Gebäudes gründeten die Bewohner den „Verein für nachhaltiges Leben“, das Geld stammt aus Beiträgen der Mitglieder und einem Kredit.

Eine Baugruppe im Berliner Stadtteil Kreuzberg hat für den Erwerb der 2014 errichteten Anlage mit 65 Wohneinheiten die Bau- und Wohnungsgenossenschaft Spreefeld gegründet. „Jeder hat hier Anteile. Man ist nicht Eigentümer einer Wohnung, sondern jeder ist Teileigentümer der gesamten Anlage“, sagt ein Bewohner und ergänzt: „Es geht nicht um eine Geldanlage, sondern das Zusammenleben ist entscheidend.“ Ein Mitbewohner betont: „In unserer Gruppe sind viele kreative Berufe wie Architekten oder Werbeleute vertreten, die flache Hie­rarchien gewohnt sind. So ist es einfacher, zu gemeinsamen Entscheidungen zu kommen.“ Die Baugruppe will nicht nur unter sich bleiben – von einer öffentlichen Kita im Spreefeld soll auch die Nachbarschaft profitieren.

Neben Großprojekten werden in der Ausstellung auch überschaubarere Baugemeinschaften vorgestellt. In Darmstadt haben sich fünf Paare, die aufs Rentenalter zugehen, zusammengetan, um ein 250 Jahre altes Fachwerkhaus altersgerecht umzubauen und aufwendig zu sanieren. Bei der Suche nach einem geeigneten Haus hatten sich die Gruppenmitglieder, die alle soziale Berufe ausüben, auf gemeinsame Kriterien geeinigt wie Stadtnähe, gute Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr und Einkaufsmöglichkeiten, die zu Fuß erreichbar sind. Auch hier wird Wert auf einen großen Gemeinschaftsraum, ein Atelier, eine Sauna und eine Werkstatt gelegt. Die Baukosten pro Quadratmeter sind mit 3.850 Euro fast doppelt so hoch wie bei den Beispielen aus Wien (2.000 Euro) und Berlin (2.100 Euro).

Tag der Architektur in Niedersachsen und Bremen: So, 25. 6., das Programm findet sich unter www.aknds.de