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Der Staat zahlt länger

FAMILIENRECHT Sechs Jahre zusätzlich: Kinder alleinerziehender Eltern können den Unterhaltsvorschuss ab 1. Juli dieses Jahres bis zum 18. Geburtstag erhalten

Es sind immer noch vorwiegend Väter, die den Unterhaltszahlungen nicht nachkommen Foto: Andreas Meichsner/laif

Von Hannes Koch

Es war eines der großen Rätsel der hiesigen Sozialgesetze. Kinder, die bei nur einem Elternteil aufwachsen, erhalten den sogenannten Unterhaltsvorschuss bislang nur bis zum 12. Lebensjahr – obwohl die Kosten für Wohnung, Kleidung, Essen und Ausbildung danach ja ebenfalls anfallen. Nun hat die Regierungskoalition der Kritik der Alleinerziehenden und ihrer Verbände nachgegeben. Ab 1. Juli wird der Zuschuss bis zum 18. Geburtstag gezahlt.

Das haben Bundestag und Bundesrat Anfang Juni beschlossen. Der Unterhaltsvorschuss hat diesen Sinn: Viele Kinder leben bei einem Elternteil, meist der Mutter, weil der leibliche Vater eine andere Partnerin hat. Zahlt dieser nicht den gesetzlich festgelegten Unterhalt an sein Kind, springt das Jugendamt ein und übernimmt die Leistung. Der Staat versucht sich das Geld später vom säumigen Elternteil zurückzuholen. Gegenwärtig erhalten bundesweit rund 440.000 Eltern diese Zahlung.

Aktuell beträgt der Vorschuss laut Bundesfamilienministerium 150 Euro monatlich, wenn das Kind bis zu 5 Jahre alt ist. Bis zum 12. Geburtstag werden 201 Euro gezahlt. Bis zum vollendeten 17. Lebensjahr – das ist neu – wird der Zuschuss künftig 268 Euro pro Monat ausmachen. „Im Gegensatz zu heute kann man die Leistung dann auch länger als sechs Jahre in Anspruch nehmen“, erklärt Sig­rid Andersen vom Verband alleinerziehender Mütter und Väter (VAMV).

Andere Sozialleistungen, wie etwa eine Halbwaisenrente, werden allerdings mit dem Unterhaltsvorschuss verrechnet. Beträgt die Rente eines 14-jährigen Kindes zum Beispiel 220 Euro, bleiben nur noch 48 Euro Unterhaltsvorschuss übrig, die tatsächlich ausgezahlt werden. Auch eigene Einkünfte des Kindes sind anzurechnen, etwa die Vergütung im Rahmen einer Berufsausbildung, sagt Bettina Hassler, Anwältin für Familien- und Sozialrecht in Berlin.

Hartz-IV-Leistungen werden ebenfalls in voller Höhe auf den Unterhaltsvorschuss angerechnet, so Hassler. Hat ein Elfjähriger beispielsweise einen Anspruch nach Sozialgesetzbuch II auf den Regelsatz von 291 Euro, erhält er als Unterhaltsvorschuss nur die Differenz zu 201 Euro ausgezahlt – 90 Euro. Liegt der Hartz-IV-Anspruch unter der Höhe des Vorschusses, fällt Ersterer komplett weg.

Kinder von 12 bis 18, die von Hartz IV abhängig sind, ­kommen nicht in den Genuss des verlängerten Vorschusses

Erstaunlich an der Neuregelung erscheint nun, dass Kinder von 12 bis 18 Jahren, die von Hartz IV abhängig sind, nicht in den Genuss des verlängerten Vorschusses kommen sollen. Denn „Voraussetzung ist“, erklärt das Bundesfamilienministerium, „dass sie nicht auf Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) angewiesen sind oder dass der alleinerziehende Elternteil im SGB-II-Bezug mindestens 600 Euro verdient“. Damit wolle man einen Anreiz geben, eigenes Einkommen zu erwirtschaften, heißt es im Ministerium. Wenn die Kinder nahezu erwachsen seien und weniger der Betreuung bedürften, sei das den Eltern auch zuzumuten. „Das kann man als Ungerechtigkeit empfinden“, sagt Anwältin Hassler. „Diese Regelung trifft besonders Mütter, die sehr wenig verdienen, und ihre minderjährigen Kinder.“ Das Ministerium betont allerdings, dass es in diesen Fällen statt des Unterhaltsvorschusses höhere Leistungen des Jobcenters gibt.

Zuständig für den Unterhaltsvorschuss sind die Kommunen. Anträge muss man deshalb in der Regel beim Jugendamt der jeweiligen Gemeinde stellen. Von Stadt zu Stadt kann es aber abweichende Regelungen geben. In Berlin sind die Jugendämter der Bezirke die richtigen Ansprechpartner. Dort residieren die Unterhaltsvorschusskassen.

Für die Reform hatte sich die ehemalige Familienministerien Manuela Schwesig (SPD) eingesetzt. Die Umsetzung mit der Union in der Großen Koalition war lange Zeit schwierig. Nun will der Bund seine Beteiligung an den Gesamtkosten von derzeit rund einem Drittel auf 40 Prozent zu erhöhen. Die jährlichen Mehrkosten werden insgesamt auf 350 Millionen Euro geschätzt.