„Kommt, lernt mit mir, tanzt mit mir“

FESTIVAL Entortung und Neuverortung, das sind die Themen des morgen beginnenden Festivals „disPlaced – rePlaced“. Kuratorin İpek İpekçioğlu erklärt die Hintergründe der dreitägigen Veranstaltung im Radialsystem

Etwas Berlinliebe ist bei İpek İpekçioğlu auch dabei Foto: Melis Ozdil

Interview Sibel Schick

taz: İpek İpekçioğlu, was bedeutet „disPlaced – rePlaced“?

İpek İpekçioğlu: Du verlässt ein Land, das heißt, du wirst „displaced“, und gehst in ein anderes, in dem du dich zurechtfinden, neue Zugänge kreieren musst, das heißt Neuverortung, also „replaced“. Dahinter stehen Fragen wie: Was bedeutet das, wenn du das Land, in dem du lebst, aufgrund deiner politischen, sozialen oder künstlerischer Haltung auf einmal verlassen musst?

Mussten die Teilnehmer*innen des Festivals ihr Land unter Zwang verlassen?

İpek: Ja. Tatsächlich mussten viele Künstler*innen, Jour­na­lis­t*innen und Akademiker*innen hierherkommen. Manche mussten aus rechtlichen Gründen gehen, zum Beispiel wegen der Staatsverfolgung. Einige konnten sich das aussuchen und entschieden so, weil sie sich in ihrem Land als Künst­ler*in nicht mehr entfalten, ausdrücken konnten. Manche wollten schon immer diesen Schritt gehen, in ein bestimmtes Land aufbrechen wegen der Kunstszene dort – oder wegen der politischen Gegebenheiten. Weil sie glauben, sich mit den Künstler*innen dort besser verbinden zu können.

In jüngster Zeit sind viele nach Berlin gekommen.

Manche Neuankömmlinge fühlen sich wohl, aber es gibt auch Menschen, die nicht mehr zurückkönnen, weil sie kriminalisiert wurden. Deutschland ist jetzt ihre neue Heimat.

Was ist die Absicht dieses Festivals?

Für diejenigen, die entortet und neu verortet sind, wollen wir einen Raum schaffen, ein Diskussionsforum, wo sie über ihre Kunst und über die Themen, mit denen sie sich auseinandersetzen, sprechen können. Und da­rüber, was ihre neue Le­bens­si­tua­tion für ihre Ausdrucksformen bedeutet. Wir möchten zum einen wunderschöne Kunst, zum anderen unsere Heterogenität zeigen.

Worin bestehen die Herausforderungen im Leben hier?

Einige Akademiker*innen, die hierherkommen mussten, können ihre Familie nicht mehr sehen. Viele überlegen sich, wieder zurückzukehren, weil sie damit näher an ihren Familien wären – selbst wenn Familienmitglieder inhaftiert sind. Einige wollten nie aus der Türkei weg. Menschen, die total gerne auf Türkisch geschrieben haben, finden hier keine Verlage, die ihre Werke veröffentlichen, also schreiben sie in der Sprache, die nicht ihre erste Sprache ist.

Wie unterstützen Sie sich gegenseitig ?

Es gibt zum Beispiel „Apartman Projesi (Hausprojekt)“ hier in Berlin; ein Haus, in dem Berliner und Istanbuler Künstler*innen zusammenkommen, kreieren und sich austauschen. Es kommen auch viele Läden aus der Türkei, die dort schließen und hier wieder aufmachen.

İpek İpekçioğlu, Jahrgang 1972, hat sich als DJ Ipek einen Namen als DJ, Musikproduzentin und freie Autorin gemacht. İpekçioğlu ist Teil des Künstlernetzwerks Kanakwood, das seit 2003 besteht. Als ausgebildete Sozialpädagogin hat sie sich viel mit den Themen Homosexualität und Migration beschäftigt.

#disPlaced – #rePlaced: Das deutsch-türkische Festival #disPlaced – #rePlaced findet vom 28. bis 30. Juli im Radialsystem (Holzmarktstraße 33) statt. Beteiligt sind türkischstämmige Künstler*innen, viele von ihnen durch die aktuelle politische Lage aus ihrem Land gedrängt. Es gibt Diskussionen, Filme, Lesungen, Workshops, DJ-Performances sowie Konzerte. Musikalisch reicht das Programm von experimentellem über elektroakustischen Sound bis zu klassischer Musik und traditionellen Instrumenten. Zudem zeigt das Künstlerkollektiv Apartment Project seine Installation „HisTV“.

Nehmen denn nur neu ver­ortete Menschen am Festival teil?

Nein. Es sind auch ältere Ber­li­ne­r*in­nen wie die Bands Adirjam, Gülina und ich, die sogenannten Almancılar. Wir kommen mit den neuen Berliner*innen zusammen. Wenn sich daraus etwas Langfristiges entwickeln würde, fände ich das toll. Außerdem sind die Kunst und die Musik einfach viel zu schön, um nur unter uns zu bleiben.

Also geht es ums Teilen und Zeigen.

Genau. Sonst bekommt es ja niemand mit. Sakina & Anadolu Quartet spielen alte anatolische Lieder. Adirjam singt lesbisch-queere Lieder auf Kurdisch. Wir haben bei dem Festival verschiedene künstlerische Elemente von Musik bis zu Installationen. Und es gibt eine Clubnacht im Kater Blau, bei der nur türkischstämmige DJs auflegen. Das findet zum ersten Mal statt – war das Kater Blau jemals so türkisiert? (lacht)

Soll das Festival den Künst­le­r*innen neue Wege in Deutschland ermöglichen?

Vielleicht ist der Weg schon geebnet. Es geht darum, Räume zugänglich zu machen und das Publikum näher an die Künstler und die Künstler näher an das Publikum zu bringen.

Es gibt auch LGBTI-Teil­neh­me­r*in­nen. Wie sind deren Erfahrungen in der Türkei?

Gizem Oruç und Rüzgâr Buşki, die vor ein paar Jahren hergekommen sind, oder Şevval Kılıç, die hier eventuell Fuß fassen möchte, berichten, dass es in der Türkei immer schwieriger wird, offen queer zu leben. Die Stimmung ändert sich sehr. Şevval ist übrigens die erste Trans*DJ überhaupt im Radialsystem V und Kater Blau.

Was kann für die getan werden, die sich hier unwohl fühlen?

Die Kuratorin im Einsatz am DJ-Pult Foto: Philippe Freese

Wir sind in einem Land, das jahrelang Entortung und Neuverortung verursacht hat. Früher mussten hier Menschen weggehen, ihr Land verlassen, weil sie nicht als Deutsche betrachtet wurden oder um ihr Leben fürchten mussten. Jetzt ist es zu einem Schutzort geworden für viele. Was kann die Welt daraus lernen? Wer heute entortet oder neu verortet wird, kann das morgen selbst (mit)verursachen.

Denkst du, den Teil­neh­me­ r*in­nen des Festivals geht es gut in Deutschland?

Ich will jetzt nicht den Teufel an die Wand malen und sagen, sie seien hier unglücklich. Es geht mir auch gar nicht darum. Ich mache einfach ein Kunstfestival und nehme dieses Thema, weil es die Teilnehmer*innen sehr beschäftigt. Es geht nicht darum, Opfer aus ihnen zu machen und zu sagen: „Schau mal, die armen Migrant*innen, die unsere Unterstützung brauchen.“ Vielfältigkeit ist machtvoll, und eine Gesellschaft, die sie ertragen kann, ist unzerbrechlich. Ich bin total glücklich, nicht monokulturell zu sein, ich liebe meine deutschen Seiten, und ich liebe es, dass meine Musik auf mehreren Schienen funktioniert. Ich bin offen für Neues. Nur eine neugierige Gesellschaft kann sich weiterentwickeln; eine, die sich kulturell abgrenzt, ist dazu verdammt, zu sterben.

Was können wir von den Neu­ber­liner*innen lernen?

Nicht unbedingt „lernen“ – eher erleben und erfahren, ein Teil dessen werden. Mir geht es um Folgendes: Ich will mit „euch“, mit den anderen lernen, denken, diskutieren, erfahren, tanzen und hören. Natürlich haben viele Menschen aus unterschiedlichen Kulturen auch unterschiedliche Arten und Weisen, mit Kunst umzugehen. Ich freue mich sehr auf das Festi­valerlebnis. Kommt und hört mit mir, erfahrt mit mir, lernt mit mir, diskutiert mit mir, tanzt mit mir!