Balu kommt in Fahrt

Bayern Bayerns Innenminister Joachim Herrmann hat sich geziert, als CSU-Spitzenkandidat anzutreten. Jetzt wird er Horst Seehofers Statthalter für Berlin

Kaum ein Tag vergeht, an dem man in Bayern nichts von Joachim Herrmann hört Foto: Alexander Heinl/dpa

Aus München Dominik Baur

Der Mann kann richtig lustig sein. Als Joachim Herrmann neulich beim Bezirksparteitag der CSU Mittelfranken mit 100 Prozent der Stimmen als Bezirkschef wiedergewählt wird, sagt er zu den Delegierten: „Ich weiß jetzt, wie jeder von euch gewählt hat.“ Da ist selbst Horst Seehofer beeindruckt ob des Maximalerfolgs seines Ministers: „Das macht mich fast schon ein wenig neidisch.“

Über einen Mangel an Zustimmung braucht sich Herrmann derzeit tatsächlich nicht zu beklagen. Bei der Aufstellung der CSU-Bundestagsliste zwei Monate zuvor hat er für den ersten Listenplatz üppige 98,4 Prozent der Stimmen erhalten. Herrmann ist zum Hoffnungsträger der CSU geworden. Dabei musste er erst mit Nachdruck nach vorne geschoben werden – von Horst Seehofer.

Der brave Parteisoldat hat sich ein bisschen geziert, aber nicht verweigert. Nun muss er fast täglich eine Lobesdusche über sich ergehen lassen: Herrmann sei bereit gewesen, Verantwortung zu übernehmen „zu einer Zeit, als der Erfolg nicht am Horizont gezeichnet war“, lobt Seehofer etwa. Das werden weder er noch die Partei Herrmann je vergessen. Oder: Er habe noch nie auch nur „einen Anflug von Unzuverlässigkeit oder Intrige“ erlebt, seit er mit Herrmann zusammenarbeite. Genau der richtige Statthalter in Berlin also. Das neue Alphatier. Einer, der mit Merkel kann und die Kernkompetenz der CSU in Fragen der inneren Sicherheit verkörpert.

Sogar aus der Opposition vernimmt man lobende Worte. „Ein zuverlässiger Minister“, sagt Bayerns SPD-Fraktionschef Markus Rinderspacher. Auf Absprachen könne man sich verlassen. „Er verzichtet auf Show und Tricks. Menschlich habe ich da mit anderen in der CSU weitaus größere Probleme.“

In der Tat ist in Plenarsitzungen immer wieder zu beobachten, wie Herrmann auch auf Redebeiträge der Opposition eingeht, das Gespräch sucht, während mancher Fraktionskollege es sich schon angewöhnt hat, die Abgeordneten der anderen Parteien einfach zu ignorieren oder mit Spott zu belegen.

Natürlich nicht, ohne gleich darauf die Bilanz des Ministers zu zerpflücken. So seien 2.545 Stellen bei der bayerischen Polizei derzeit nicht besetzt und schon zwei Millionen Überstunden angehäuft, schimpft Rinderspacher. „Herrmann ist ein Ankündigungsminister, er wird seinen Ansprüchen nicht gerecht.“ Auch bei der Videoüberwachung hinke der Minister hinterher. So gebe es in München nur an jedem dritten S-Bahnhof Kameras. Herrmann müsse endlich die Missstände beheben. „Das wäre wichtiger, als alle vier Wochen nach neuen Gesetzen zu rufen.“

Doch solange Herrmann immer wieder Statistiken vorlegen kann, laut denen Bayern das sicherste Bundesland ist, hat es die Opposition schwer, bei dem Thema zu punkten. Das gibt auch Rinderspacher zu. Aber Herrmann ist auch für Verkehr und Bau zuständig. Und die Straßen und Brücken im Land seien in einem maroden Zustand, sagt der Sozialdemokrat. „Als Verkehrsminister ist er ein Totalausfall.“ Geboren wird Joachim Herrmann vor 60 Jahren in Erlangen. Vater Professor, Mutter Lehrerin. 1977 tritt der Sohn in die CSU ein, wird dann Soldat und Reserveoffizier, studiert Jura und wird Stadtrat – alles noch mit einem buschigen schwarzen Schnauzer. Seit 1994 sitzt er im bayerischen Landtag, seit 2007 ist er Innenminister, davor war er vier Jahre Fraktionschef. 2008 hebt er kurz den Finger, als ein neuer Ministerpräsident gesucht wird, lässt ihn aber schnell wieder sinken, als sich auch Horst Seehofer anbietet. 2011 könnte er nach Guttenbergs Rücktritt erstmals nach Berlin wechseln, lehnt aber ab – aus familiären Gründen.

Der Mensch: 1956 in München geboren, aufgewachsen in Erlangen. Jurastudium, anschließend Referatsleiter im bayerischen Wirtschaftsministerium, Regierungsrat im Landkreis Erlangen, Syndikus bei Siemens.

Der Politiker: Seit 1977 CSU-Mitglied, ab 1994 Landtagsabgeordneter, seit 2007 Staatsminister des Inneren. Seit Heimatminister Söder in Ungnade gefallen ist und Agrarministerin Aigner keine Ambitionen zeigt, ist Herrmann Horst Seehofers Favorit. Wenn die Union die Regierung bildet, gilt er als nächster Bundesinnenminister als gesetzt.

Verheiratet ist Joachim Herrmann mit Gerswid Terheyden. Die Bremerhavenerin hat er beim Studium kennengelernt, sie haben drei Kinder. Einer seiner Söhne machte vor ein paar Jahren als Gangsta-Rapper von sich reden. Kinder halt.

Sonst weiß man privat wenig über Joachim Herrmann. Schokolade mag er, und zur Entspannung schaut er sich – kein Witz – gern Krimis an. Und ein Hobby gibt es laut Welt, das er mit Horst Seehofer teilt: seine Modelleisenbahn. Marke Fleischmann, Spur H0, eine elf Quadratmeter große Anlage. Der Rest ist Politik.

Nun steht also Herrmanns zweiter Anlauf bevor, in die erste Reihe vorzurücken. Bundesinnenminister soll er werden, auch wenn er selbst als einziger noch darauf besteht, dass es zu früh sei, über Posten zu reden. Für seine Partei ist er die Idealbesetzung, und mittlerweile scheint auch er sich in seine Rolle zu finden. Früher machten sie sich auch in der eigenen Partei noch lustig über seine langsame, behäbige Art. „Balu“ nannten sie ihn, nach dem Bären aus dem „Dschungelbuch“.

Doch das ist vergessen. Herrmann hat unverkennbar Fahrt aufgenommen. Für mitreißende Bierzeltreden mag es vielleicht noch nicht reichen, doch seine Auftritte sind energischer geworden, er spricht schneller und lauter als früher. Seine Forderungen, zum Beispiel in der Abschiebepolitik, sind dabei nicht unbedingt weniger hart als die von Generalsekretär Andreas Scheuer oder Finanzminister Markus Söder, aber freundlicher formuliert.

Qua Amt ist er ohnehin der Law-and-Order-Mann. Doch den Ultrakonservativen nimmt ihm Rinderspacher nicht ab: „Er ist kein klassischer Scharfmacher.“ Als Mensch stehe Herrmann eigentlich für die Liberalitas Bavariae, das Problem sei nur: Er traue sich nicht, dafür auch die Stimme zu erheben. Er sei keiner, der in der eigenen Partei auch mal gegen den Strom schwimme, habe zu wenig eigenes Profil entwickelt.

„Herrmann ist ein Ankündigungsminister, er wird seinen eigenen Ansprüchen nicht gerecht“

SPD-Fraktionschef Markus Rinderspacher

Mitte Juli, Klausurtagung in Kloster Banz. Zum Abschluss tritt Gerda Hasselfeldt, die Vorsitzende der CSU-Landesgruppe in Berlin, gemeinsam mit Herrmann vor die Presse. Während Hasselfeldt spricht, blickt Herrmann regungslos in die Runde. Das Beweglichste an ihm sind seine Augenbrauen, die sich bisweilen erstaunt heben. Als er dann dran ist, spricht er von den „fürchterlichen Bildern von Hamburg“, dem „brutalen Geschehen“ während des G20-Gipfels. Blauer Anzug, grau-weiß-gestreifte Krawatte, das silberne Haar akkurat zurückgekämmt. „Meine Polizeibeamten“, sagt er immer wieder, und dass er noch nie eine so hasserfüllte Provokation erlebt habe.

In der Öffentlichkeit bewegt sich Herrmann mittlerweile routiniert, er ist ja auch omnipräsent. Ob Amoklauf, Hochwasser oder Busunglück: Wenn einer stets zur Stelle ist, dann er. Und auch wenn die Katastrophen glücklicherweise mal ausbleiben, gibt es kaum einen Tag, an dem sich der Minister nicht der Öffentlichkeit präsentiert.

Im Deutschen Museum München eröffnet er die Ausstellung „200 Jahre Radfahren“, in Ansbach gibt es einen Empfang zur Bachwoche, und in Heideck spricht Herrmann beim Gelöbnis der Luftwaffe zu den Soldaten. Die Haupttribüne der Spielvereinigung Greuther Fürth muss eröffnet, die Aufklärungskampagne für Rettungsgassen vorgestellt werden. Und zwischendrin wird noch eine neue Broschüre seines Ministeriums beworben. Das Thema lautet: Die Qualität der Ziegelbauweise.

Im April hat Horst Seehofer angekündigt, dass er weitermacht. Neben ihm steht damals in der CSU-Zentrale Joachim Herrmann. Grinsend, aber ansonsten regungslos. Seehofer stellte ihn als den Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl vor. Und rühmt die Leidenschaft seines Ministers: „Da brennt’s“, sagt er. Das ist der Moment, in dem Herrmanns Augenbrauen wieder nach oben gehen.