„Kaum mehr als eine aufwendige Wahlkampf- aktion“

Das bleibt von der Woche Auf dem Charité-Gelände fahren autonome Minibusse ganz von selbst, die „Kirche des fliegenden Spaghettimonsters“ darf keine Hinweisschilder aufstellen, der Modellversuch für eine Gesichtserkennungssoftware sorgt für Diskussionen, und bei einem neuen Springturnier treten die Töchter reicher Väter an

Vielleicht wirklich smart

Autonome Busse

In erster Linie soll es wohl ein Zeichen dafür sein, dass Berlin modern ist

Dass die Charité, die ihre Altehrwürdigkeit schon im Namen trägt, ihre Kernaufgaben mit modernster Technologie erfüllt, versteht sich, da es um Hauptstadt-Universitätsmedizin geht, von selbst. Dass das in absehbarer Zeit auch für den Verkehr an ihren beiden Großstandorten Mitte und Virchow gilt, auf die Idee wäre man vielleicht nicht so schnell gekommen. Aber schon ab 2018 sollen dort knuffige kleine Elektrobusse mehrere Campuslinien bedienen. Der Clou des Pilotprojekts, das Senat, BV und Charité am Montag vorstellten: Die Dinger fahren ganz von selbst.

Von der Antriebstechnologie her ist das nur zu begrüßen: Berlin will bei der Entwicklung von E-Mobilität Druck machen, also werden neue Einsatzbereiche geschaffen. Dass die deutsche Automobilindustrie da kaum etwas im Angebot hat und der Charité-BVG-Auftrag wohl an einen Schweizer oder französischen Hersteller geht, ist durchaus als Entwicklungsanreiz zu verstehen. Dazu passt, dass Berlin und Hamburg eine Einkaufsgemeinschaft für „richtige“ E-Busse eingegangen sind, die potenziellen Produzenten eine gesicherte Nachfrage nach batteriebetriebenen Fahrzeugen bieten soll.

Aber was bringt der hochoffizielle Einsatz für das „autonome Fahren“? In erster Linie soll es wohl ein Zeichen dafür sein, dass Berlin modern, zukunftsorientiert, „smart“ ist. Ob die algorithmusgesteuerte Fortbewegung wirklich das kommende Boomgeschäft ist, kann derzeit noch niemand sagen. Zu groß sind die Unwägbarkeiten in Sachen Sicherheit.

Da ist möglicherweise der Einsatz der kleinen autonomen Charité-Schleicher genau das richtige Konzept. Maximal 20 km/h langsam und vollgestopft mit Sensoren, werden sie kaum großen Schaden anrichten. Sie könnten aber den Beweis erbringen, dass die autonome Mikrobeförderung von Personen mit eingeschränkter Mobilität funktioniert. Nicht über große urbane Distanzen, sondern in einem geschützten Nahbereich – wenn unsere Gesellschaft bereit ist, die Kosten dafür zu tragen.

Und außerdem, wie taz-Kolumnist und Behindertenaktivist Christian Specht vor Kurzem zu dem Thema schrieb: „Die BVG könnte mit Elektrobussen die Umwelt schonen, und die Busfahrer könnten einer anderen Arbeit nachgehen, die weniger stressig ist für sie. Ich fahre jeden Tag Bus, und mir ist aufgefallen, dass die Fahrer meistens schlecht drauf sind, weil das ja ein anstrengender Job ist.“

Claudius Prößer

Brandenburg versteht keinen Spaß

Spaghettimonster-Urteil

Es gibt eine anerkannte Satirepartei, warum nicht auch eine Satirekirche?

Das Erfreulichste an dem Urteil des Oberlandesgerichts Brandenburg vom Mittwoch ist, dass Bruder Spaghettus trotzdem nicht aufgeben will. Allerdings dürfte den 66-jährigen Rentner, der mit bürgerlichem Namen Rüdiger Weida heißt, die Entscheidung auch nicht wirklich überrascht haben. Es wäre mehr als eine Sensation gewesen, wenn die Richter seiner „Kirche des fliegenden Spaghettimonsters“ bescheinigt hätten, dass ihr die gleichen Privilegien zustehen wie den christlichen Kirchen.

Im konkreten Fall geht es um die Gottesdiensttafeln an Ortseingängen, geregelt in einer Richtlinie des Bundesverkehrsministeriums. Da sollten im uckermärkischen Templin nicht nur die Hinweisschilder der evangelischen und der katholischen Kirche hängen, sondern auch das für seine freitägliche „Nudelmesse“, findet Bruder Spaghettus. Aus Gründen der Gleichberechtigung.

Das klingt absurder, als es ist. Denn seine „Kirche“ hat einen rationalen Kern. Die „Pastafari“, wie sich die „Gläubigen“ des Teigwarenkults nennen, sind keineswegs eine esoterische Sekte. Vielmehr wollen sie parodistisch demonstrieren: Ihr Pastafarianismus ist nicht weniger plausibel als jede andere Religion. Wer an irgendeinen Gott glaubt, kann genauso gut auch an ein fliegendes Spaghettimonster glauben.

Doch da versteht das rot-rot regierte Brandenburg keinen Spaß. Also verbot es die Nudelmesse-Schilder an den Templiner Ortseingängen. Das Oberlandesgericht gab ihm nun recht. Die Begründung: Die „Kirche des fliegenden Spaghettimonsters“ sei weder eine Religionsgemeinschaft, weil in ihrer Satzung der dafür charakteristische Gottesbezug fehle, noch eine Weltanschauungsgemeinschaft, weil es ihren Mitgliedern an einer „gemeinsamen Weltanschauung“ mangele.

Das erste ist ein lustiges, das zweite ein fragwürdiges Argument. Denn die Pastafari haben sehr wohl eine gemeinsame Weltanschauung – und zwar die, dass es für sie eben kein irgendwie geartetes „höheres Wesen“ gibt. Stattdessen propagieren sie einen „evolutionären Humanismus“. Damit dürfte ihre „Kirche“ die einzige sein, die sich uneingeschränkt der Aufklärung verpflichtet fühlt.

Wie auch immer: In Deutschland gibt es eine anerkannte Satirepartei, die sogar ins Europaparlament gewählt wurde und zur Bundestagswahl antritt. Warum sollte es dann nicht auch eine Satirekirche geben können? Pascal Beucker

Science-Fiction am Südkreuz

Gesichtserkennung

Wirklich Gesuchte können die Gesichtserkennung leicht austricksen

Am Bahnhof Südkreuz hat in dieser Woche ein sechsmonatiger Modellversuch mit drei Kameras begonnen. Die Bundespolizei testet, ob Gesichtserkennungssoftware in der Lage ist, Personen in der vorbeihastenden Menge zu erkennen. 300 Freiwillige ließen sich vorab fotografieren. Der Test soll herausfinden, ob sie regelmäßig identifiziert werden.

Es gab viel Kritik, auch sehr grundsätzliche. Datenschützer betonten das Recht auf Anonymität in der Öffentlichkeit. Der Staat solle keine Bewegungsbilder der Bevölkerung anfertigen.

Alles richtig. Aber mit dem konkreten Versuch hat das wenig zu tun. Dort geht es darum, gesuchte Personen in der Menge zu finden. Schon das ist schwierig genug, etwa in der Dämmerung. Es geht nicht darum, die Bewegungen der gesamten Menge zu erfassen. (Das ist übrigens Teil der Vorratsdatenspeicherung, wobei die Standortdaten jedes Mobiltelefons anlasslos vier Wochen lang festgehalten werden sollen. Wer sich gruseln will, soll es bitte dort tun.)

Bei der Suche nach bestimmten Personen werden zwar alle anderen auch kurz erfasst, aber sie werden nicht positiv identifiziert, sondern nur mit den Fotos der Gesuchten verglichen. Dann werden die Daten der Nichtgesuchten sofort wieder gelöscht. Das ist allenfalls ein sehr kleiner Eingriff in die Grundrechte. Es bleibt vielleicht bei manchen ein abstraktes Gefühl des Überwachtwerdens, bei anderen aber ein Gefühl des Behütetseins.

Rechtlich entscheidend ist in dieser Konstellation die Zahl der Fehlalarme: wenn die Technik also jemand fälschlicherweise als gesuchte Person „erkennt“ und dies zu einer Kontrolle oder zumindest einem digitalen Vermerk führt. Diese Fehlalarme würden bei flächendeckender Anwendung täglich Tausende Personen betreffen. Sie wären auch nicht zu rechtfertigen, da die wirklich Gesuchten die Gesichtserkennung mit Sonnenbrille oder gesenktem Kopf leicht austricksen können.

Das wird am Ende auch der Berliner Modellversuch ergeben. Er ist deshalb kaum mehr als eine aufwendige (staatlich finanzierte) Wahlkampfaktion von Innenminister Thomas de Maizière (CDU).

Trotzdem ist Gesichtserkennung für die Polizei relevant, etwa wenn sie hoch aufgelöste Fotos von unbekannten Verdächtigen mit den Lichtbildern von 3,5 Millionen erkennungsdienstlich behandelten Personen in der Interpol-Datei abgleicht. Das aber ist schon seit rund zehn Jahren erlaubt und ständige Praxis. Christian Rath

Startgelder von zwei Millionen

Neues Springturnier

Töchter gut betuchter Väter haben sich in diesen Glitzerwett­bewerb eingekauft

Hufe klappern, Pferde traben, und jetzt springen sie auch wieder über den Wassergraben: Seit letztem Wochenende ist die Stadt Berlin um eine Sportveranstaltung reicher: Das Springturnier Global Jumping Berlin, Teil der Deluxe-Serie Global Champions Tour, feierte seine Premiere. Erfolgreich: ein Drittel mehr Besucher als erwartet, acht Vertreter aus den Top Ten der Weltrangliste, Erweiterungspläne fürs nächste Jahr.

Eine Randsportart im Aufschwung – das passiert zu einem interessanten Zeitpunkt. In den vergangenen Wochen waren es vor allem die Leichtathleten, die laut über die wachsende sportliche Monokultur in der Stadt schimpften. Natürlich vor allem als taktisches Argument in der Debatte ums Olympiastadion, nach dem Motto: Wer unsere Wünsche nicht erfüllt, fördert die Monokultur.

Berlin als trauriges sportliches „Monsanto“-Feld, ist da was dran? Für den Breitensport ist das populistisch und falsch: Es gibt über 2.000 Vereine, die rund 130 verschiedene Sportarten im Programm haben, und ein sich ständig ausdifferenzierendes Angebot. Vermutlich konnte man nie zuvor in Berlin so viel und vielfältig Sport treiben. Allerdings gibt es mit den Riesen Hertha und Union durchaus eine Monokultur im öffentlichen Diskurs. Wenn also nun ein Randturnier große Erfolge feiert, zumal in einer Sportart mit nennenswert weiblichem Anteil, kann das nur gut sein – oder?

Doch so einfach ist es nicht. Die Lizenz für die Global Champions Tour kostet pro Team rund 2 Millionen Euro. Ja, wirklich. Töchter gut betuchter Väter – von Springsteen über Bloomberg bis Gates – haben sich in diesen Glitzerwettbewerb eingekauft. Den Fairness-Gedanken führen die Eintrittshürden ad absurdum, den sportlichen Wettbewerb auch. Diese Champions League für reiche Reiterkids und deren Sponsoren ist ein Schatten von einem Sportturnier. Mit den Preisgeldern in Millionenhöhe werden nebenbei Stars von kleineren Turnieren abgeworben. Und nicht zuletzt geht es um ein Event, bei dem Pferde zu tierschutzrechtlich streitbaren Leistungen gebracht werden, natürlich nicht aus freien Stücken.

Kritisches zum Global Jumping aber war, mit positiver Ausnahme der Morgenpost, in der Berliner Presse wenig bis gar nicht zu lesen. Schade. Es geht nicht nur um vielfältigen Sport in der Stadt. Es geht auch darum, welchen Sport die Stadt will. Es wäre wirtschaftlich unrealistisch, ein Turnier wie das Global Jumping abzulehnen. Aber kritisches Hinterfragen darf und muss Berlin können.

Alina Schwermer