„Deutsche Ästhetik ist plump“

Erinnerung Im zweiten Gespräch der taz-Serie über Bremer Denkmäler spricht Arie Hartog über das Kolonialehremal am Hauptbahnhof.

Hässlich, aber immerhin nicht das Stadtmaskottchen Foto: Ingo Wagner

taz: Herr Hartog, man könnte glauben, der Elefant hätte das Zeug zum Stadtmaskottchen.

Arie Hartog: Dem muss ich widersprechen! Dazu ist er einfach nicht harmlos genug. Mitte der Zwanzigerjahre hatten die Bremer Kolonialverbände den Münchener Bildhauer Fritz Behn mit dem Entwurf beauftragt. Sein Zweck war zutiefst revanchistisch. Deutschland hatte zu dem Zeitpunkt keine Kolonien mehr, es sollte aber der Anspruch auf Kolonien in Afrika behauptet werden. Eine sozialdemokratisch-kommunistische Mehrheit in der Bürgerschaft konnte das eine Weile verhindern, mit den Nazis war das dann jedoch ab 1930 möglich, zwei Jahre später stand es dann da mit der Aufschrift: „Den Deutschen Kolonien“.

Diese Bedeutung hat das Denkmal aber inzwischen verloren.

Die Aufschrift ist heute nicht mehr da. Dieser Elefant ist eine der ganz wenigen gelungenen Umwidmungen von Denkmälern. Es ist ja nicht ungewöhnlich, dass Denkmäler im Laufe der Zeit ihre Bedeutung ändern. In den frühen Achtzigerjahren gab es in Bremen die ersten politischen Aktionen in Richtung des kolonialen Erbes, und in diesem Zusammenhang hat man sich auch auf den Elefanten gestürzt. Die Akteure kamen aus den neuen sozialen Bewegungen. Die Umwidmung zum Antikolonialdenkmal 1990 war dann ganz offiziell. 1996 wurde in Anwesenheit des Präsidenten von Namibia eine Gedenktafel für die Opfer der deutschen Kolonialherrschaft angebracht.

Hat sich allein durch das Anbringen dieser Plakette die Bedeutung des Denkmals gewandelt?

Nicht durch die Plakette, sondern durch das Reden darüber und die Aktionen. Egal was für eine zentrale Bedeutung der Kolonialismus für die Entwicklung dieser Stadt haben mag – er ist nur dann Thema, wenn man auch darüber spricht. Allein durch diese Thematisierung hat sich die Bedeutung des Denkmals geändert. Wenn man heute in Bremen eine Umfrage machen würde, würde wahrscheinlich die eine Hälfte sagen, es sei ein Elefant, die andere, es sei ein Antikolonialdenkmal.

Das heißt, dass die Lobby für den Elefanten als Kolonialehrenmal dann langsam verschwand?

Es muss ab den Siebzigerjahren eine Art Vakuum um den Elefanten herum entstanden sein, eine Phase, in der sich kaum noch jemand für den Bau interessierte. Das wird heute glücklicherweise vom Verein „Der Elefant“ gefüllt, der sich um das Denkmal kümmert. Es gibt da Leute, die fühlen sich dafür verantwortlich, wie über dieses Denkmal gedacht wird.

Bei manchen Aktivitäten rund um das Denkmal kommt leider der ursprüngliche inhaltliche Gehalt der Form des Monuments durch. Beispielsweise fanden dort immer wieder düstere Noise-Konzerte statt. Wenn man in einer Krypta solche Art Musik spielt, hat man eine Messe.

Das sollte man besser nicht tun, man sollte auch vor dem Elefanten keine Doom- oder Gothic-Konzerte veranstalten. Da wird die Ästhetik, die dem Elefanten eigen ist, bedient. Das haben wir von der kritischen Kunstgeschichte der Sechziger- und Siebzigerjahre gelernt: Manche Ästhetik lässt sich nicht entideologisieren, sie bleibt seltsam.

War der Elefant je in irgendeine Art ritueller Praktiken eingebunden?

Die Krypta wurde sicherlich genutzt, denn in ihr wurde etwas Heiliges aufbewahrt – ein Buch mit den Namen der deutschen Toten des Krieges in den Kolonien. Dieser Opfer sollte gedacht werden, gleichzeitig sollten sie ins Recht gesetzt werden, durch den im Denkmal festgelegten Anspruch auf Kolonien. Das ist so absurd.

Arie Hartog

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geb. 1963, promovierte über „Moderne deutsche figürliche Bildhauerei“. Seit 2009 Direktor des Gerhard -Marcks-Hauses.

Ist denn überhaupt eine kulturelle Praxis denkbar, bei der diese ideologisch aufgeladene Ästhetik gebrochen wird?

Aber klar: Als vor ein paar Jahren die Bremer Künstlerin Gertrud Schleising auf den Elefanten hochgeklettert ist, um ihm etwas ins Ohr zu flüstern, sprach man wieder über das Denkmal. Sie hat mit dieser Geste auch dieses Martialische, das diesem Bau, mit seiner Form und der eingebauten Krypta natürlich immer umgibt, unterlaufen.

Welche Bedeutung transportiert seine Ästhetik eigentlich konkret?

In erster Linie geht es um Monumentalität. Es geht um die Frage, wodurch zeichnet sich deutsche Ästhetik aus? Sie ist plump! Das zeigt sich bereits bei Behns erstem Entwurf 1913 für das zen­trale Reichskolonialehrenmal in Berlin, auch hier ein massiges Tier auf einem Sockel, die Form erinnert außerdem stark an die Bismarcktürme. Das Berliner Denkmal sollte Deutschland als Kolonialmacht symbolisieren. Der Elefant besteht hier noch nicht aus Ziegeln, ist mehr organisch, eine Krypta war nicht vorgesehen. Dem Kaiser hat der Vorschlag nicht gefallen, dann war der Erste Weltkrieg verloren, das Denkmal also blieb ungebaut – und die Kolonien waren weg. Die Bremer Wir-haben-keine-Kolonien-mehr-aber-einen-mythischen-Anspruch-darauf-Version bestand dann ganz aus Backsteinen, damit wurde im Norden gebaut, es stammte aus der Umgebung, entspricht diesem Boden und der dazugehörigen Mentalität.

Interview Radek Krolczyk