Kolumne Durch die Nacht: Für 5 Euro gibt’s nur Ramsch

Früher hat es Spaß gemacht auf dem Flohmarkt in Kisten nach Platten zu kramen. Aber seit dem Vinyl-Hype ist Plattensammeln Schwerstarbeit.

Die erste Schallplatte der Kölner Band "Tommy Engel und die Sandwich" zeigt am 27.07.2017 in seinem Keller in Bedburg (Nordrhein-Westfalen) Plattensammler Wahnfried Weiss.

Für Plattensammler brechen harte Zeiten an Foto: dpa

Ich bin Schallplattendigger. Also jemand, der ständig im Plattenladen oder auf dem Flohmarkt rumwühlt in der Hoffnung, Vinylschnäppchen zu machen. Doch seit überall von der Vinylkultur die Rede ist und das Schallplattenhören als Teil der angesagten Hygge-Lebensphilosophie verhandelt wird und in deren Sinne gar zur Erhöhung unserer Lebensqualität beitragen soll, ist das Diggen kein Spaß mehr, sondern Schwerstarbeit.

Früher bin ich über den Flohmarkt gelatscht und habe entspannt die Plattenkisten begutachtet. Jetzt stehe ich wie all die anderen Digger am Wochenende zu grotesk früher Uhrzeit auf, damit ich nicht der Letzte auf dem Markt bin, und hetze durch die Gegend, um mit den anderen Schritt zu halten, deren Interesse es ist, unbedingt vor mir jemanden auszumachen, der ein paar Schallplatten loswerden möchte.

Vinyl boomt einfach. Um die neunzig Plattenläden gibt es wieder in Berlin, und die Preise ziehen immer weiter an. Neulich fragte ich einen Händler, wie es eigentlich sein kann, dass bei ihm ein alter Klassiker von David Bowie – keine Rarität, sondern ein Millionenseller – 50 Euro kosten soll. Er meinte, Vinyl sei das neue Bitcoin; und so wie sich bei der digitalen Währung der Kurs über Angebot und Nachfrage definiere, sei es eben auch bei Schallplatten. Demnach scheint es heutzutage nicht ausgeschlossen zu sein, dass jemand dazu bereit sein könnte, für „Low“ von David Bowie eine irre Summe hinzublättern.

Weil der Vinylkurs so weit oben ist, ist das Gerangel um die Ware eben auch dementsprechend. Ich habe mich schon selbst bei würdelosem Verhalten ertappt, das dem neuen Konkurrenzdruck geschuldet ist. Eine trostlose Streiterei ­darüber, wer nun zuerst an die Kiste randarf – und ich bin mittendrin in der Auseinandersetzung, die nur kurz vor Handgreiflichkeiten endet. So wollte ich nie enden.

Das Diggen hat im hart umkämpften Berliner Markt einfach seine Unschuld verloren. Das Vergnügen, in einer 5-Euro-Kiste eines Plattenladens noch etwas zu finden, gibt es nicht mehr. Für 5 Euro gibt es heute nur noch echten Ramsch. Und die Leute interessieren sich für Platten, die sie nicht kennen, nicht mehr, weil ihnen das Cover so gut gefällt oder ein Lieblingsmusiker in den Liner-Notes aufgelistet wird, sondern dann, wenn ihnen die über Smartphone aufgerufene Datenbank mitteilt, gerade etwas von Wert in Händen zu halten.

Wenn das alles so weitergeht mit dem Vinylboom, steige ich aus. Es lohnt sich und es geht einfach nicht mehr.

Mit dem Vinyl in Berlin verhält es sich langsam so wie mit der hiesigen Immobilien­branche. Früher, als sich noch niemand für Eigentumswohnungen interessierte und die Mieten unten waren, hätte man sich sein eigenes Habitat kaufen müssen, so lautet heute die Erkenntnis von Millionen Berlinern. Früher, als Vinyl billig war, hätte man so richtig zuschlagen sollen. „Low“ war mal eine 10-Euro-Platte. Wie es gerade aussieht, wird es das so nie wieder geben. Zum Glück für mich gibt es im Netz aber alles kostenlos. Bei der Wohnsituation fehlt mir leider eine vergleichbare Ausweichmöglichkeit.

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