Es lebe die neue Vielfalt

Ausstellung Mit „Babel 21“ zeigt das Centrum Judaicum in der Oranienburgerstraße eine sehenswerte Schau, in der man Lebenswege und -entwürfe von zwölf jungen jüdischen Kontingentflüchtlingen nachvollziehen kann

Kam aus Odessa nach Berlin: Greta Zelener Foto: Lukas Schmid/Eles

von Klaus Hillenbrand

Da ist Greta Zelener, geboren 1993 in Odessa. Ihr Glücksbringer, ein goldener Ring, liegt in einer der Vitrinen. Den Ring gehörte einmal ihrer Großmutter. Greta kam als jüdischer Kontingentflüchtling im Jahr 1996 nach Berlin. Meytal Rozentals Großeltern stammten aus Ungarn und Rumänien. Sie überlebten die Schoah, der Großvater im nicht deutsch besetzten Gebiet der Sowjetunion, die Großmutter hat Auschwitz überstanden. Meytal (33) ist in Israel aufgewachsen und kam im Jahr 2011 nach Deutschland, weil der Flug aus Tel Aviv gerade so günstig war. Yan Wissmann stammt von Juden ab, die während der NS-Verfolgung rechtzeitig nach Brasilien flüchten konnten. Seit 2015 lebt er in Leipzig.

Große Erfolgsgeschichten

„Babel 21“ in den Räumen des Centrum Judaicum versammelt zwölf solcher Migrationsgeschichten. Elf davon sind jüdisch. Die Schau über diese zwölf jungen Menschen zeigt eine etwas andere Darstellung von jüdischer Migration, als sie geläufig ist. Denn hier geht es nicht um die schwer Beladenen, die sich irgendwo auf der Welt gezwungenermaßen ein neues, unsicheres Zuhause schaffen müssen, entfremdet, isoliert und verfolgt. Auch wenn einige dieser Migranten in ihrer alten Heimat unter Verfolgungen litten – hier wird eine jüdische Erfolgsgeschichte erzählt, repräsentiert von diesem Dutzend Menschen und ihren ganz unterschiedlichen Erfahrungen.

Zugleich eint die zwölf Frauen und Männer ihre Differenz. Identität ist schon lange nicht mehr singulär. Diese Menschen, die sich aus ganz unterschiedlichen Gründen zu einem Leben in der Bundesrepublik entschlossen haben, leben zugleich unterschiedliche Identitäten aus, sei es als Jude, Deutscher, Europäer oder Weltbürger, als Atheist oder Gläubiger. Und sie wissen, dass Identität etwas Veränderbares ist – und dass sie vielleicht in zehn Jahren nicht mehr hier, sondern ganz woanders leben werden.

Die neue Vielfalt steht für die Über­windung der Spaltung im Judentum

Was für ein Unterschied zu den in Stein gemeißelten Zwängen der Vergangenheit, als mensch dazu gezwungen war, eine festgelegte Rolle an einem Ort spielen zu müssen. Was für ein Vertrauensbeweis aber auch gegenüber Deutschland – auch angesichts der Tatsache, dass nahezu alle Protagonisten in ihren Biografien mit der Schoah verbunden sind. Die zwölf repräsentieren auch einen Wandel der jüdischen Gemeinschaft in der Bundesrepublik. Die nachwachsende Generation definiert sich weniger als „deutsch“ oder „russisch“, denn als Teil der eigenen Vielfalt. Es entstünden so „viele neue Judentümer“, so hat es die Leiterin des Centrum Judaicum, Anja Siegemund, bei der Eröffnung der Ausstellung auf den Punkt gebracht. Die neue Generation steht für zweierlei: Einerseits dafür, dass das Judentum in Deutschland eben nicht, wie noch vor 20 Jahren befürchtet, vergreist. Und zum anderen für eine Überwindung der Spaltung zwischen „deutschen“ und „russischen“ Juden in Berlin und anderswo.

Die neue Vielfalt zuzulassen, das sei „die große Herausforderung für die jüdische Gemeinschaft“, so Siegemund. Die neue Vielfalt ist aber auch eine Bereicherung für die ganze Gesellschaft, möchte man ergänzen.

Für Greta Zelener etwa ist das Judentum wichtiger Bestandteil ihres Alltagslebens, zu dem sie erst die jüdischen Institu­tio­nen in Deutschland herangeführt hat. Meytal Rozental dagegen sieht sich nur „wegen der Geschichte meiner Familie und der kulturellen Aspekte“ dem Judentum verbunden. Und Yan Wissmann hofft in der Bundesrepublik vor allem der brasilianischen Unordnung zu entkommen. Mytal Rozental meint über das Sich-Zuhause-Fühlen: „Nicht unbedingt in Deutschland, nicht unbedingt in ganz Berlin, aber in Neukölln schon, weil in Neukölln alle, auf eine Art und Weise, fremd sind.“

„Babel 21“. Migration und jüdische Gemeinschaft. Bis 26. Oktober im Centrum Judaicum, Ora­nien­burger Str. 28/30; Montag bis Freitag 10–18 Uhr und Sonntag 10–19 Uhr geöffnet. Das Buch zur Ausstellung kostet 12,90 Euro