LeserInnenbriefe
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Die veröffentlichten Briefe geben nicht unbedingt die Meinung der taz wieder.

Wider diese Zeiten

Wahlschock Warum sitzen so viele Ossis in der AfD? Und so wenige Frauen im Parlament? Und was haben die Deutschtürken gewählt? Schweigen?

Vor dem deutschen Tor. Noch kein Jamaika-Hut Foto: Stefan Boness/IPON

Lieber die Linke

betr.: „Die späte Rache der Ossis“, taz vom 26. 9. 17

Hier hat eine Ossi ihren Frust abgelassen, ohne das Verhalten der AfD-Wähler verständlicher zu machen. Nicht nur Frau Merkel stammt aus dem Osten, bis vor Kurzem hatten wir auch einen Bundespräsidenten von dort. Warum sollten die Wessis, Herr Gauland, Herr Meuthen und Frau Weidel die Ossis besser verstehen? Eine Wahl der Linken erschiene da logischer. EVI MEISBERGER, Völklingen

Die Ossi-Opfer

betr.: „Die späte Rache der Ossis“, taz vom 26. 9. 17

Ich bin auch erschüttert, schockiert und irritiert und suche nach plausiblen Erklärungen.

Auch ich bin in der DDR geboren, lebe seit 1994 in Köln. Mir ist die Haltung dieser sich selbst „vergessen und abgehängt“ nennenden Deutschen zu einseitig. Diese ewige Opferrolle.

Und wünscht man sich ein Gespräch auf Augenhöhe, wird man arroganter Westdeutscher genannt – und dass man eh keine Ahnung hat, wie es da abgeht. Dann erklärt es mir doch bitte, damit ich es verstehe, und wartet nicht über 20 Jahre, um mir dann, ätsch, mit AfD oder Pegida zu kommen!

Und wann melden sich denn mal die lautstark, denen es scheinbar gar nicht so schlecht geht, die sich nicht abgehängt und vergessen fühlen, die mit ihren Renten Kreuzfahrten unternehmen oder am Eigenheim rumwerkeln?

Interessanterweise höre ich nämlich von denen, die ich aus meiner früheren Heimat noch kenne, eher dieses: „Na ja, die paar Leute pöbeln da rum, da haben wir aber nichts mit zu tun.“ Und wenn ich nachfrage: „Irritiert euch das nicht auch?“ Schweigen und abtauchen ins Private. Wie man das eben auch früher gemacht hat. Übrigens finde ich, sollten Journalist*innen, und besonders solche, die aus dem Osten des Landes stammen, doch bitte selbst mit den Kategorien Ost/West ein wenig behutsamer umgehen. Mich nervt das eh, einerseits sollten wir längst keine neuen Bundesländer mehr haben, und andererseits wird in den Medien auf und ab ständig draufgedroschen. Furchtbar. KATHRIN BECKER, Köln

Die Deutschtürken?

betr.: Nach den Wahlen

Nachdem im Vorfeld der Bundestagswahl medial flächendeckend darüber spekuliert worden ist, wie sich der lange Arm Erdoğans wohl auf unser Wahlergebnis auswirken würde, finde ich jetzt auch nach intensivem Googeln keine einzige Analyse zu diesem Thema.

Wie haben sie denn nun gewählt?

Und warum interessiert das jetzt nicht mehr? Mit ratlosen Grüßen.

CHRISTIANE RATH, Köln

Und die Frauen?

betr.: Frauen im neuen Bundestag

Interessant zu erfahren, dass in Frankreichs Senat weniger als ein Drittel Frauen gewählt wurden. Kein Wort darüber, dass dies im Bundestag jetzt auch geschehen ist. Nur wenige Medien berichten, dass der Frauenanteil auf 31 Prozent gefallen ist. Gefallen. Ist das nicht ein ungeheurer Skandal? Ja, ihr habt vorher darüber geschrieben und auch über die unsägliche Kandidatenaufstellung in Hamburgs CDU. Wo ist jetzt der Aufschrei? ANDREAS STOLTE, Bengaluru

Radikale Fragen

betr.: „Der Chor der Selbstgerechten“, taz vom 27. 9. 17

Tragen die Medien eine Mitschuld am Erstarken der AfD? Die Themen Flüchtlingskrise, Islam, Terrorismus und innere Sicherheit haben in den Medien gerade eine gewisse Dominanz, das ist unumstritten. Diese Agenda ist jedoch politisch nicht neutral, sie ist Werbung für jene Parteien, die diese Themen priorisieren. Eine linke Politik (wie ich sie verstehe) thematisiert eher die Ursachen sozialer Polarisierungen und Konflikte als die Symptome. Bestimmte Fragen bekommen kaum Aufmerksamkeit. Zum Beispiel: Welche Rolle spielt der Verfassungsschutz wirklich beim NSU-Skandal?

In den letzten Monaten hat der Klimawandel weltweit deutlich mehr Schäden und Tote verursacht als der Terrorismus und Fukushima zusammen. Trotzdem spielte dieses Thema vor dieser Bundestagswahl in den Medien kaum eine Rolle, und wenn, dann nur als schweres Naturereignis. In Deutschland sterben jährlich Tausende Menschen an Luftverschmutzung. Wie wäre die Bundestagswahl ausgegangen, wenn diese Themen den Platz in den Medien bekommen hätten, den die innere Sicherheit oder der Aktienmarkt täglich haben?

DAVIDE BROCCHI, Köln

Nahles wie Merkel

betr.: „Die Anti-Merkel“, taz vom 27. 9. 17

Sehr geehrte Redaktion, das Porträt über Andrea Nahles kann nicht überzeugen. Zum einen gebührt der Titel der einflussreichsten Frau in der 154-jährigen Geschichte der deutschen Sozialdemokratie immer noch Rosa Luxemburg, auch wenn sich jene später dem Kommunismus zugewendet hat. Zum anderen passt das Attribut der „Anti-Merkel“ nicht, da auf einer inhaltlichen Ebene zwischen beiden Politikerinnen gerade beim Pragmatismus eine ziemliche Übereinstimmung herrscht, wie etwa das Beispiel des Mindestlohns zeigt, bei dem nachträglich auch für die als besonders betrugsanfällig geltenden Branchen die Dokumentationspflicht gelockert wurde. Deshalb sollte die SPD eher auf frische Gesichter setzen, die glaubwürdiger einen Neuanfang verkörpern, zumal ebenfalls andere relevante gesellschaftliche Gruppen – wie beispielsweise Personen mit Migrationshintergrund – in Führungspositionen der Partei ziemlich rar gesät sind! RASMUS PH. HELT, Hamburg

„Reichstag“? Stopp

betr.: „Soll man die AfD eine Nazipartei nennen?“, taz vom 27. 9. 17

Liebe taz, habe ich etwas versäumt? Ich bin an manche formalen und sprachlichen Schreibfehler in der taz gewöhnt. Ich bin seit Jahrzehnten eine unerschütterliche Leserin, die sich über die Breite des linken Meinungsspektrums in der taz freut. Häufig denke ich, dass ihr einziger Fehler darin besteht, so viele interessante und wichtige Artikel zu bringen, dass ich es nicht schaffe, alles, was mich interessiert, täglich zu lesen. Aber nun war ich doch verblüfft: Da zitiert ihr in der Meldung „Wolfgang Schäuble im Gespräch für das Amt“ kommentarlos den CDU-Innenexperten Armin Schuster mit seinen Worten: „Genau die parlamentarische Autorität, die jetzt im Reichstag guttäte.“ Und in eurem Artikel „Soll man die AfD eine Nazipartei nennen?“ zitiert ihr Minister Gabriel ebenfalls kommentarlos, er sei traurig angesichts der Vorstellung, dass „zum ersten Mal nach 1945 im Reichstag am Rednerpult echte Nazis stehen“. Sollte das AfD Denken bereits auf geheimnisvollen Kanälen ins Unterbewusstsein von Politikern und Journalisten eingesickert sein? Übrigens verstehe ich Nazi als ein Schimpfwort, dass die historischen deutschen Nationalsozialisten bezeichnet. Ich halte es für unklug, heutige politische Richtungen, die sich demokratiefeindlich, rassistisch, menschenverachtend etc. verhalten, mit diesem historisch besetzten Ausdruck zu belegen. Ich denke, als glaubwürdiger Demokrat sollte man sich mit beleidigenden/herabsetzenden Ausdrücken wie Wutbürger, Pack etc. sehr zurückhalten und immer wieder das Gespräch mit diesen Menschen versuchen. INGIRD BECKER-ROSS, Hamburg