Helmut haut ihn rein

Nach dem Traumtor von Sebastién Haller hofft die Frankfurter Eintracht, dass sich der Angreifer noch bezahlt machen könnte

Ein Seitfall­zieher ins Glück: Sebastién Haller gelingt der Kunstflug mit Ball Foto: imago

Aus Frankfurt Frank Hellmann

Das Erdgeschoss der Frankfurter Arena hat kürzlich eine Renovierung erlebt. Beim Marsch aus der Kabine schreiten die Profis seit dieser Saison über einen schwarzen Kunstrasen, vorbei an schwarz getünchten Wänden mit Adler-Wappen und Konterfeis der einstigen Helden. Alexander Schur ist hier ebenso verewigt wie Uwe Bindewald. Aber natürlich auch Jürgen Grabowski und Bernd Hölzenbein, dazu unvermeidlich diejenigen Koryphäen, die einst den „Fußball 2000“ zelebrierten: Uwe Bein oder Jay-Jay Okocha.

Es ist eher unwahrscheinlich, dass irgendwann auch Sebastién Haller in dieser Ahnengalerie erscheint, aber der bislang nicht gerade durch Eleganz aufgefallene Mittelstürmer hat beim Last-Minute-Sieg gegen den VfB Stuttgart (2:1) in der dritten Minute der Nachspielzeit ein Tor erzielt, das wie ein Reminiszenz an diese Zeiten wirkte. Ein sagenhafter Treffer. Ein famoser Fallrückzieher, der auch in der zehnten Zeitlupe nichts von seiner Magie einbüßt.

So eine tollkühne Aktion als finalen Akt hinzulegen, wie es der Franzose tat, schaffen nicht viele. Der Schlusspfiff von Schiedsrichter Brych ging im Jubelorkan unter; direkt am Mittelkreis herzte die halbe Mannschaft ihren Matchwinner für das „super-super-schöne Tor“ (Marc Stendera). „Ich versuche eigentlich sehr häufig Seitfallzieher. Ich habe nicht groß nachgedacht und einfach draufgehauen. Es war perfekt“, erklärte der 22-Jährige im ersten Fernsehinterview, um später den Bogen ein bisschen weiter zu spannen. „Solche Tore sind schwierig zu erklären, ich kann gar nicht sagen, wie der Ball kam: Es war ein natürlicher Reflex; ein Instinkt, wie er im Strafraum vorkommt – man hat keine Zeit, sich da Gedanken zu machen.“

Geübt hat er das Kunststück angeblich nicht; auch nicht in den vielen geheimen Eintracht-Einheiten hinter blickdichten Planen. „Im Training habe ich das so noch nicht gesehen“, gab Trainer Niko Kovač zu. „Umso schöner natürlich, dass es jetzt vor 50.000 Menschen passiert ist. Zeitzeugen sind also da.“ Die meisten konnten das Happy-End kaum fassen, schließlich befanden sich die Hessen nach einem Platzverweis von Simon Falette (64.) in Unterzahl und hatten die besten Chancen in der Schlussphase schon verschludert. Unter anderem auch durch ihre Nummer 9, die offen bekannte: „Manchmal ist das mein Problem: Die Leichten mache ich nicht rein, die Schweren offenbar eher.“

„Es war ein natürlicher Reflex; ein Instinkt“

Torschütze Haller

Tatsächlich wird beim FC Utrecht erzählt, wo das Stürmertalent in der vergangenen Saison spielte, dass der 1,92-Mann speziell in Heimspielen oft lange nicht zu sehen war, um dann in einem einzigen Augenblick seine Klasse im Abschluss zu offenbaren. Genau deshalb war die Eintracht auch bereit, rund 7 Millionen Euro für einen lange noch nicht ausgereiften Stürmer auszugeben, der den Unterschied ausmachen kann. Kovač sagte: „Wir haben in Sebastién investiert, weil wir der Meinung sind, dass er ein außerordentlich guter und talentierter Stürmer ist.“ So eine Bewerbung zum „Tor des Monats“ gibt auch den Verantwortlichen das Gefühl, dass der Preis nicht zu hoch gewesen ist.

„Dieses Tor war eine Riesen­er­leichterung für mich und die Mannschaft. Früher oder später wird man belohnt“, sagte Haller, den viele in der Mainmetropole nicht beim richtigen Vornamen, sondern „Helmut“ nennen. Eine Anspielung auf Helmut Haller, die Legende vom FC Augsburg. Aber Sebastién Haller stammt aus einer anderen Zeit. Und so einer reklamierte erst gar nicht den Klaus-Fischer-Gedächtnispreis für sich, sondern berief sich auf eine Ikone der Neuzeit, die schon häufiger solch spektakuläre Scherenschläge hingelegt hatte: Zlatan Ibrahimović.

Als Sebastién Haller eine Stunde nach seiner bislang spektakulärsten Tat auf deutschem Boden seinen Treffer im Beisein von Journalisten noch einmal sah, da konnte der junge Mann gar nicht anders, als zu grinsen wie ein Honigkuchenpferd.