Ein erbitterter Kulturkampf

Der Vorstand der Zentral- und Landesbibliothek Berlin betreibt Outsourcing. Künftig soll der Großbuchhändler Hugendubel den Großteil der Medien der Bibliothek liefern. Es hagelt Kritik dafür. Dabei geht es um mehr Effizienz und Service – und vor allem um die Zukunft von Bibliotheken

Teil der ZLB: die Amerika-Gedenkbibliothek in Kreuzberg Foto: Vincent Mosch/ZLB

Von Susanne Messmer

Die Haare im Nacken zu einem Knoten gesteckt, graues Kostüm, leicht weltfremder Blick: Meist sitzt die Bibliothekarin, wie wir sie aus Filmen und Romanen kennen, mit säuerlicher Mine am Auskunftsschalter – stets bereit, den störenden Besucher zu mehr Ruhe zu ermahnen.

Im Augenblick spielt sich in der Zentral- und Landesbibliothek Berlins (ZLB) ein erbitterter Kulturkampf ab – und viel hat dies damit zu tun, was wir uns unter der Arbeit des Bibliothekars vorstellen und darunter, ob und in welchem Maße er sich in Zukunft wird verändern müssen. Wie Ende August bekannt wurde, hat der Vorstand der ZLB dem als konservativ bekannten Großbuchhändler Hugendubel den Zuschlag erteilt, in Zukunft den Großteil der Medien der Bibliothek zu liefern.

Bislang waren für die Auswahl der Medien zu einem größeren Teil hausinterne Lektoren, also Bibliothekare, zuständig. Ein Aufschrei ging durch Medien wie Teile der Belegschaft. Einige meinen, die Lektoren würden entmachtet, die ZLN vergebe ihre Kernkompetenz an die Privatwirtschaft. Andere sind der Ansicht, sie würden entlastet, könnten sich nun mehr dem Publikum widmen.

Der Streit, der ums Outsourcing in der ZLB tobt, ist nicht neu. Bereits Anfang 2015 kochte er unter dem seit 2012 agierenden Vorstand und Managementdirektor Volker Heller hoch, als die ZLB beschlossen hatte, etwa die Hälfte ihrer Buchbestellungen an die EKZ-Bibliotheksservice GmbH (EKZ) in Reutlingen auszulagern. Schon damals wurde überall laut, die Bibliothek brauche eine zweite Leitung mit bibliothekarischem Sachverstand.

Lektoren erstellten Profile

Doch die Zusammenarbeit erwies sich als nicht effizient genug, die Auslieferung war zu pauschal, erfolgte in standardisierten Paketen und es gab zu viele Doppelungen. Darum ließ die ZLB von ihren Lektoren Profile erstellen, was die Bibliothek braucht und wünscht. Dann folgte die europaweite Ausschreibung, die Hugendubel gewonnen hat.

„Der Auftrag an Hugendubel-Fachinformation ist anders gestaltet als der an die EKZ“, sagt Anna Jacobi, Pressesprecherin der ZLB. Wahrscheinlich werden mindestens 70 Prozent der gekauften Neuerwerbungen von Hugendubel geliefert werden. Von diesen Einkäufen werden ein Drittel auf Grundlage der genannten Profile automatisch generiert werden; der Fachbegriff lautet Standing Order. Weitere 20 Prozent können sich die Lektoren aus einer von Hugendubel zusammengestellten Liste in einen Warenkorb legen. Und dann haben einige Sachgebiete noch ein Budget, mit dem sie weiterhin ihre eigenen Bestellungen tätigen können.

Die Zentral- und Landesbibliothek Berlin (ZLB) ist mit 1,5 Millionen Besuchern jährlich die am besten besuchte Kultur- und Bildungseinrichtung Berlins. Sie ist mit 3,4 Millionen Medien die größte öffentliche Bibliothek Deutschlands und hat eine Sonderstellung zwischen öffentlicher und wissenschaftlicher Bibliothek, auch ihre Filmsammlung genießt Kultstatus. 28.000 Medien im Jahr bekommt sie als Geschenke und Pflicht­exemplare von Berliner Verlagen. 42.000 werden jährlich gekauft. (sm)

Jacobi beschreibt, wie genau die Profile sind, die die Lektoren in Workshops erstellt haben. Sie beinhalten detaillierte Beschreibungen der Zielgruppen der einzelnen Sparten, schreiben Empfehlungslisten wie literaturkritik.de oder perlentaucher.de vor, bevorzugte wie auszuschließende Verlage. Hinzu kommt, dass sie kontinuierlich evaluiert und angepasst werden sollen.

Auf die Meinung, die viele Literaturliebhaber von Hugendubel haben, reagiert Jacobi gelassen. Die Auslieferung erfolge durch eine Tochter von Hugendubel, die Hugendubel-Fach­information heißt und auch wissenschaftliche Bibliotheken versorge. Man beziehe die Bücher über eine Filiale in Steglitz, sodass der Stadt keine Steuergelder verloren gehen. Einzig ein Argument lässt sie gelten: Die Zusammenarbeit mit dem lokalen Buchhandel wird weitergeführt, aber der Umfang wird sich verringern.

Verständnisvoll äußert sich Jacobi gegenüber Kollegen, die Verflachung befürchten. Sie sagt, sie verstehe die Angst mancher Bibliothekare vor Veränderung. Was sie allerdings nicht versteht, ist die Angst vor Entmachtung. „Entmachtet ist kein Mensch, wenn er strategische Dinge formuliert, anstatt jedes Jahr in so großer Zahl Bücher einzeln zu bestellen“, sagt sie. Das sieht auch Manuel Seitenbecher so, Abteilungsleiter des Bereichs Bestandsentwicklung. „Unsere Ausrichtung bleibt nach wie vor in der Hand unserer Lektoren“, sagt er.

Das Argument ist klar: Hier geht es um mehr Effizienz und Service, längere Öffnungszeiten auch – wobei man sich schon fragen kann, warum es in einer wachsenden Stadt mit wachsendem Kulturetat nicht mehr Geld für Bibliothekare gibt. Bibliotheken, so die Angst, werden zunehmend um ihr Publikum kämpfen müssen. Sie werden sich immer mehr zum öffentlichen Orten des Arbeitens und Kommunizierens entwickeln, in dem es dank Digitalisierung immer weniger nur ums Ausleihen gehen wird. Besonders im multikulturellen Berlin kommen verstärkt Menschen in die Bibliothek, die noch nicht so gut Deutsch sprechen. Der Bibliothekar soll auch diese in der Lage sein zu beraten, zu ermächtigen, zu vermitteln. Darum sei das Outsourcing des Bestandsaufbaus in anderen Bibliotheken des Landes längst Usus, so Anna Jacobi.

„Was aber sollen wir vermitteln, wenn der Bibliotheksbestand nicht mehr im Mittelpunkt steht“, fragt dagegen Peter Delin, der bis zu seiner Pensionierung 2014 Fachlektor für Film in der ZLB war. Schon 2015 engagierte er sich gemeinsam mit seiner ehemaligen Kollegin und Frau gegen das Outsourcing in der ZLB, verteilte mit ihr 13.000 Flugblätter vor den Standorten am Blücherplatz in Kreuzberg und in der Breiten Straße in Mitte. Ihnen ist es zu verdanken, dass mehrere tausend Berliner eine Petition zur Rettung der ZLB unterschrieben, die trotz der 20.000 Unterschriften allerdings nicht die ersehnten Folgen hatte.

Peter Delin sagt, ein guter Bibliothekar in der ZLB kenne im Unterschied zu den Angestellten bei Hugendubel noch die speziellsten Wünsche der einzelnen Besucher. Auch müsse er am Ball bleiben. Wenn er seine Bücher nicht mehr selbst auswählt, verliert er mit der Zeit den Überblick über den Buchmarkt. Er nennt ein Beispiel: Kürzlich habe er beim Fernsehen einen Kritiker der reinen Marktwirtschaft entdeckt, Karl Polanyi, der – obwohl bereits 1964 gestorben – nun wieder diskutiert werde. Als Lektor würde er sofort diese neueren Diskussionen zum Bestand hinzufügen – auch mit älterer Literatur, aber so etwas gehe eben nur, wenn man die Buchauswahl selbst in der Hand hat.

Die ZLB ließ von ihren Lektoren Profile erstellen, was die Bibliothek braucht & wünscht

Auch für ZLB-Personalratsvorsitzenden Lothar Brendel kann ein gewinnorientierter Buchhandelskonzern, der zudem ohne bildungs- und kulturpolitischen Auftrag handelt, eine qualifizierte Medienauswahl nicht in gleicher Weise leisten wie die Fachlektoren der ZLB. „Oder soll man sich vorstellen, dass die wenigen dafür zuständigen Angestellten bei Hugendubel 29 verschiedene Wissensgebiete für die größte öffentlich-wissenschaftliche Bibliothek in Deutschland differenziert bearbeiten können?“

Brendel sagt, der Personalrat wende sich seit 2014 konsequent gegen eine Privatisierung der Medienauswahl an den Großbuchhandel. Nach seiner Aussage haben erst im Mai 2017 mehr als zwei Drittel der verbliebenen Fachlektoren an Kulturstaatssekretär Torsten Wöhlert geschrieben, man sei gegen das anvisierte Outsourcing für die gesamte ZLB.

Jana Seppelt, Gewerkschaftssekretärin für Bildung bei Verdi Bildung, Wissenschaft und Forschung Berlin-Brandenburg, sieht das genauso. Sie ist nicht nur einfach empört, dass eine öffentliche Institution Kernaufgaben an die Privatwirtschaft übergibt, befürchtet wie Peter Delin und Lothar Brendel die Entprofessionalisierung und Entmachtung der Lektoren und den Qualitätsverlust des berühmten Bestands an der ZLB.

Der Senat trägt für Frau Seppelt auch eine Verantwortung: „Es ist ein politischer Skandal, dass der Kultursenat keine kulturpolitische Grundsatzentscheidung für eine gut sortierte allgemeinwissenschaftliche Bibliothek fällt.“

Man habe eine Grundsatzentscheidung getroffen, hält Daniel Bartsch, Sprecher von Kultursenator Klaus Lederer, dagegen – nur sei diese eben eine andere. Man begrüße die Neuerungen in der ZLB. Im Wahlprogramm zur Abgeordnetenhauswahl 2016 hatten die Linken noch angekündigt, das alte Outsourcing an die EKZ rückgängig zu machen, da „mit dieser Entscheidung die zentrale Kompetenz einer guten allgemeinwissenschaftlichen Bibliothek weitestgehend vernichtet“ werde.

Idealzustand: zufriedene ZLB-Besucherin. Es dürften allerdings mehr sein Foto: ZLB

Nun ist man im Kultursenat der Ansicht, dass „Veränderungen im Arbeitsbild aufgrund der sich wandelnden Informationsbedürfnisse“ unvermeidbar seien. Einige Mitglieder der Berliner Linken, so heißt es, sehen das durchaus anders.

So oder so: Am Streit in der ZLB zeichnet sich ein Kulturkampf ab. Es sieht so aus, als sei die weltfremde Bibliothekarin mit der dicken Brille auf der Nase tatsächlich vom Aussterben bedroht.

Das Problem ist nur: Diese Bibliothekarin hatte auch noch eine andere Seite. Wenn man ihr die richtigen Fragen stellte, bekam man die erstaunlichsten Antworten.

Anders gesagt: Ein Bibliothekar des neuen Typs wird womöglich schnittiger auf sein Publikum zugehen. Er wird aber vielleicht seine Fragen nicht mehr so gut beantworten.