An der eigenen Qualität gescheitert

Auf dem kleinen Markt der kritischen Fußballpublizistik hinterlässt das eingestellte Magazin „Transparent“ eine große Lücke. Es widmete sich vor allem der politischen Agenda der Fans

„Das war kein Projekt, mit dem wir Geld verdienen konnten“

Chefredakteur Pavel Brunßen

Von Martin Krauss

An Kollegenlob mangelte es nicht, als Transparent, das „Magazin für Fußball und Fankultur“, jüngst nach 22 Ausgaben sein Erscheinen eingestellt hat. Nicole Selmer vom österreichischen Ballesterer spricht von einer „Lücke“, die das kleine Blatt mit seinen 3.500 Exemplaren hinterlässt. Hardy Grüne, der mit Zeitspiel auch ein kritisches Fußballmagazin herausgibt, sagt, niemand habe so gründlich die politische Dimension der Fans, vor allem der Ul­tras behandelt. „Das war ein Novum, denn bislang gab es ja nur ‚Kampfblätter‘, in denen sich die Szenen selbst abfeierten.“

Vierteljährlich war Transparent erschienen, die Auflage blieb stabil klein, die Zahl der Abonnenten betrug zuletzt 800. „Das war kein Projekt, mit dem wir Geld verdienen konnten. Wir haben da viel Begeisterung und Leidenschaft reingesteckt“, sagt Pavel Brunßen, Chefredakteur von Transparent. Die Abonnenten, die für dieses Jahr voll bezahlt hatten, werden nun gefragt, ob es ihnen recht ist, dass eventuell überzähliges Geld an „Champions ohne Grenzen“ gespendet wird, ein Projekt für Geflüchtete. „Der Zuspruch ist enorm“, berichtet Brunßen. „Es ist schön, dass die Leute uns gern gelesen haben.“

Die Besonderheit, die künftig im kleinen Markt der kritischen Fußballpublizistik fehlen wird, ist die Betonung des Politischen. „Konkret waren das Themen wie ‚Kampf um die Kurve‘, die Hooligan- und Ultra-Thematik“, sagt Brunßen. „Das haben wir kontinuierlich behandelt.“ Die explizit politische Ausrichtung von Transparent ist aber nicht der Grund für das Aus des Blattes. Eher ist es der Erfolg, die damit zusammenhängenden Ansprüche der Redaktion an die eigene Qualität und der Umstand, dass dies mit der zur Verfügung stehenden Zeit nicht mehr in Einklang zu bringen ist. „Wir hatten am Anfang alle in der Nähe gewohnt“, berichtet Brunßen. „Jetzt gehen wir beruflich verschiedene Wege.“ Kea Müttel, mit der Brunßen sich die Chefredaktion geteilt hat, arbeitet als Redakteurin bei einer Tageszeitung, Layouter Bastian Bochinski, der für das Erscheinungsbild verantwortlich war, hat sich als Fotograf selbstständig gemacht, und Brunßen will sich in Richtung Wissenschaft orientieren. Die drei und auch die anderen Redakteure leben nun in verschiedenen Städten.

In der Lücke, die Transparent wieder aufreißt, gibt es sehr wohl einen Bedarf. Eine „Unzufriedenheit mit dem existierenden Sportjournalismus“ diagnostiziert Selmer. „Das merkt man an so unterschiedlichen Phänomenen wie Klagen über Sky-Kommentatoren und der Kritik der Ultraszenen an den Medien, die ihre Standpunkte nicht wahrnehmen und aus Polizeiberichten abschreiben.“ Daher sei in Österreich der Ballesterer gegründet worden. Und wie groß der Bedarf hierzulande ist, merkt man daran, dass der Ballesterer – Gesamtauflage 20.000 – in Deutschland viel gelesen wird.

Den Bedarf sieht auch Hardy Grüne: „Wir haben mit Zeitspiel die Erfahrung gemacht, dass kritische Berichterstattung häufig geradezu aufgesogen wird.“ Dabei mag Grüne lieber den Begriff „umfassende Berichterstattung“.

Überhaupt: „Links“ wollen alle ihren Sportjournalismus nicht nennen. Von einem Magazin für linke Ultras zu sprechen, sagt Brunßen, das griffe „deutlich zu kurz“. Und Grüne sagt zum Begriff „links“: „Das ist mir politisch zu aufgeladen, ich sehe den Fußball da ‚freier‘ und ‚offener‘ für breitgefächerte politische Einstellungen“ – rechtsradikale Weltbilder schließt er dabei aus. Selmer ergänzt: „Mit einem politischen Label ist das ja immer so eine Sache.“ Der Ballesterer, den es schon seit dem Jahr 2000 gibt, bekäme das manchmal angeheftet – „positiv wie negativ“. „Aber“, fügt Selmer hinzu, „für kritischen Fußballjournalismus von rechts fällt mir gerade kein Beispiel ein.“

Prominentestes Beispiel für zugleich kritischen wie erfolgreichen Fußballjournalismus sind die 11 Freunde, früher ein Fanzine namens Um halb vier war die Welt noch in Ordnung, dann in einem kleinen Verlag, nun bei Gruner + Jahr. Pavel Brunßen erklärt: „Andere setzen mehr den Schwerpunkt auf Fußballkultur, bei uns waren es mehr die politischen Aspekte.“

Allzu alt ist eine kritische Beschäftigung mit Fußball in Deutschland tatsächlich nicht. Noch in den achtziger Jahren schaute man neidisch nach England, wo es eine Reihe kritischer Fanzines wie When Saturday ­Comes und eine bemerkenswerte Vielzahl an Büchern zu Sozialgeschichte des Fußballs oder Behandlungen seiner Beziehungen zur Arbeiterbewegung gab.

In Deutschland hatte die Neue Linke nach 1968 mit Sport nichts anfangen können. „Fußballsport als Ideologie“ hieß eine Studie, die der Bremer Psychologie Gerhard Vinnai 1970 vorgelegt hatte und in der er zum Schluss kam: „Die Tore auf dem Fußballfeld sind die Eigentore der Beherrschten.“

Erst 1992 erschien mit Dietrich Schulze-Marmelings „Der gezähmte Fußball“ ein Werk, das die spätere Entwicklung begründete. „Es ist der erste ernsthafte Versuch einer Fußballgeschichte in Deutschland, die auch die politischen, sozialen und ökonomischen Bedingungen des Spiels einbezieht und – das ist in diesem Fall sehr wichtig – aus seiner Fan-Perspektive kaum einen Hehl macht“, schrieb in der taz Christoph Biermann damals. Heute ist Biermann Chefredakteur von 11 Freunde.

Der Autor dieses Textes war an dem Buch „Der gezähmte Fußball“ beteiligt.