Komm, lass uns Freunde sein!

Neues aus dem Überlebenskampf der Verlage: LeserInnen sollen mehr sein als nur KundInnen. Der Aufwand dafür ist erstaunlich hoch

Kein Trend in dieser Saison: ganz allein Zeitung lesen Foto: Irina Ruppert/laif

Von Daniel Bouhs

Die Begegnung liegt schon ein paar Jahre zurück – dennoch ist Giovanni di Lorenzo voller Ehrfurcht, wenn er an sie zurückdenkt. Als eine Zugbegleiterin das Ticket des Zeit-Chefredakteurs checkte, outete sie sich als Stammleserin. „Können Sie sich vorstellen, wie schwierig es für mich ist, das Geld fürs Abo aufzubringen?“, fragte die Schaffnerin. „Und können Sie sich vorstellen, wie ich mich fühle, wenn ich einen Artikel nicht verstehe?“

Di Lorenzo sagt rückblickend: „Nichts hat mich mehr geprägt.“ Seitdem achte er ­darauf, dass seine JournalistInnen auch wirklich so schreiben, dass ihre Texte alle LeserInnen auf Anhieb verstehen, also ohne zwischendurch noch durch ­Wikipedia oder den Duden ­klicken zu müssen. Vor allem hat di Lorenzo nun eine Offensive gestartet, um LeserInnen nicht nur sprachlich die Hand zu reichen, sondern auch physisch.

AbonnentInnen der Wochenzeitung sollen – so heißt passenderweise auch das Programm – „Freunde der Zeit“ werden. Anfang Oktober mietete sich der Verlag für einen ganzen „Tag der Zeit“ in die Hamburger Uni ein. Die JournalistInnen erklärten, wie sie sich für und gegen Themen entscheiden, wie sie recherchieren und was dabei in die Hose geht. Ein „Freunde“-Team organisiert zudem laufend Redaktionsbesuche und „Freunde-Abende“ – bundesweit.

Di Lorenzo sagt, er bilde sich zwar ein, dass sich sein Haus um den Kontakt zum Publikum „schon sehr bemüht“ habe. Trotzdem höre er eine Klage immer wieder: „Ihr macht ganz viel, um uns als Abonnenten zu bekommen. Aber wenn ihr uns dann habt, dann passiert nicht mehr viel. Und ich finde, an dieser Kritik ist etwas dran.“

Das Programm „Freunde der Zeit“ ist das jüngste Beispiel eines Trends: Verlage versuchen, aus ihren AbonnentInnen echte Fans zu machen – in etwa so wie die taz seit jeher auf ihre GenossInnen als verlässliche Partner setzt und auf Genossenschaftsversammlungen genauso wie im für alle offenen taz.lab und auf der meinland-Tour über den eigenen Journalismus und die Themen redet, die taz-LeserInnen mit „ihren“ JournalistInnen verbinden.

Nicht immer kommen dabei gleich so opulente Happenings wie gerade bei der Zeit heraus. Das Fußball-Magazin 11 Freunde hat allerdings für seine Fans schon früh eine „Dauerkarte“ aufgelegt, verlost etwa Spielbälle und erklärt, wie „ihr“ Magazin entsteht. Die Macher haben auch schon mal Fan-Wohnzimmer besucht und dabei einen Kasten Bier mitgebracht, um über das zu reden, was JournalistInnen und LeserInnen letztlich verbindet: den Fußball.

Die Süddeutsche Zeitung lädt zu einer „Nacht der Autoren“ und hat jüngst ein „Democracy Lab“ gegründet: Diskussionen mit BürgerInnen, darunter: StammleserInnen. In München sind ein paar Lokalredakteure in einen Container gezogen. Die SZ-Verlagsleitung hatte ihre Redaktion neun Jahre zuvor aus dem Münchner Zentrum an den Stadtrand verfrachtet. Der zentraler gelegene Container sollte Verbindung schaffen und war offen für BesucherInnen.

Auch der Spiegel will nicht nur eine journalistische Blackbox an der Hamburger Ericusspitze sein, sondern organisiert Diskussionsabende. Allerdings setzt die Reihe „Der Spiegel live“ nicht zuvorderst darauf, den Spiegel-Journalismus zu entzaubern. Das Fanprojekt bringt stattdessen „hochinteressante Gäste“ auf die Bühne wie PolitikerInnen, UnternehmerInnen und KünstlerInnen. 90 solcher Abende zählt Stefan Buhr bisher, der das Vertriebsmarketing leitet und AbonnentInnen bevorzugt einlädt. Buhr will seine Reihe „weiter ausbauen“.

Das Handelsblatt ist unterdessen ähnlich offensiv wie die Zeit. Vor bald zwei Jahren hat die Wirtschaftszeitung einen eigenen „Wirtschaftsclub“ gegründet. Über Nacht wurden alle AbonnentInnen zu Clubmitgliedern – ob sie das wollen oder nicht. Clubchef Patrick Soulier will damit „die Beziehungen zwischen den Mitgliedern dieser Gemeinschaft – Lesern, Geschäftspartnern, Redaktion, Verlag – stärken“. Die Zeitung will also ein Netzwerk sein.

Der „Wirtschaftsclub“ wirbt unter anderem mit einem „direkten Zugriff auf ein beachtliches Portfolio von Persönlichkeiten“ und lädt zum „Deutschland Dinner“: Zwei Wochen vor der Bundestagswahl diskutierten AbonnentInnen beim Abendessen mit Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD). „Oft ist die Nachfrage viel größer als die Zahl verfügbarer Plätze“, sagt Soulier, der seinen Mitgliedern auch vergleichsweise intime Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel oder ihrem Finanzminister Wolfgang Schäuble (beide CDU) angeboten hat.

„11 Freunde“ bringt Bier vorbei und das „Handelsblatt“ lädt zum Dinner ein

Intim mit den Mächtigen

Diese Entwicklung birgt allerdings ein Risiko: Für ihre Fanprojekte sind Medien auf die angewiesen, über die sie eigentlich kritisch berichten sollten. Wo bleibt bei gemeinsamen Abendessen aus JournalistInnen, AbonnentInnen und PolitikerInnen die Distanz?

„Wirtschaftsclub“-Leiter Soulier verkauft seine Abende als „eine Weiterentwicklung des journalistischen Arbeitens“ und sagt: „Unsere Journalisten müssen den Top-Entscheidern ohnehin begegnen – im Club findet dies öffentlich, transparent und live statt – unter Einbeziehung unserer LeserInnen beziehungsweise Club-Mitgliedern. Daraus entstehen keinerlei Verpflichtungen oder Versprechungen.“

Während die gut betuchten Fans des Handelsblattsoffensichtlich vor allem auf einen besonderen Zugang zu Mächtigen stehen, lockt bei der Zeitvor allem die Nähe zur Redaktion. Herzstück des „Tags der Zeit“ war ein „Leserparlament“ samt Abstimmung: Welche Themen soll die Zeitfür ihre Fans groß recherchieren – und welche nicht?

„Wir wollen uns nicht anbiedern“, sagt di Lorenzo und spricht von „Augenhöhe“ zu seinen AbonnentInnen. Dafür ist der Chefredakteur zum Äußersten bereit: Er tritt sein Privileg, Themen durchzuwinken oder abzulehnen, an Fans ab. Zumindest in kurzen Momenten.