Kabale und Linke
Ein Drama in fünf Akten: Wie die Linkspartei sich mit sich selbst beschäftigt und den Rest der Welt vergisst

Katja Kipping: „Ich freue mich auf die Debatte“ Foto: Stefan Boness/Ipon

Aus Potsdam Anna Lehmann

Was haben wir da eigentlich gemacht? Und wie erklären wir das unseren Genossen und Wählern in Bremen, in München, in Halle? Das fragten sich viele der 65 Abgeordneten der Linkspartei, die am Donnerstag etwas ratlos ihre Rollkoffer in Richtung Ausgang zogen.

Zwei Tage hatte sich die neugewählte Fraktion der Linkspartei zur Klausurtagung in einem Hotel in Potsdam getroffen. Auf der Tagesordnung standen die Wahl für den Fraktionsvorstand und eine Diskussion zum Umgang mit der AfD. Stattdessen: Intrigen und Rücktrittsdrohungen, Kabalen und Liebe. Um zu erklären, was die Linke zwei Tage lang in Potsdam aufführte, eignet sich wohl am besten die Form des klassischen Dramas.

1. Akt Vorspiel

Auftritt: Katja Kipping und Bernd Riexinger (Parteivorsitzende), Matthias Höhn (Bundesgeschäftsführer), Oskar Lafontaine (Nebenrolle) und sechs weitere Abgeordnete. Der dramatische Konflikt hatte sich schon einige Tage vor der entscheidenden Klausurtagung angekündigt. Bei einer Sitzung des Parteivorstands hatten sich die beiden Parteivorsitzenden über „infame“ Kritik von Oskar Lafontaine beklagt: Lafontaine, Ehemann von Sahra Wagenknecht, hatte der Linkspartei ihre verfehlte Flüchtlingspolitik und den Parteichefs ihren schwachen Rückhalt in der Partei vorgehalten. Und: Bundesgeschäftsführer Höhn habe sich mit der starken Fokussierung im Bundestagswahlkampf auf ebenjene Sahra Wagenknecht sowie den zweiten Spitzenkandidaten Dietmar Bartsch abgefunden. (Regieanweisung: auch Kipping wäre gern Spitzenkandidatin geworden, sie ärgert sich).

Zur selben Zeit arbeitet eine Gruppe von sechs Abgeordneten im Off an Anträgen zur Änderung der Geschäftsordnung der Fraktion. Sie schlagen vor, dass auch die beiden Parteivorsitzenden künftig stimmberechtigte Mitglieder im zehnköpfigen Fraktionsvorstand sind und gleichberechtigt neben Bartsch und Wagenknecht im Bundestag reden dürfen. Die sechs Abgeordneten haben zum Teil politisch wenig mit Kipping gemein, wie sie beteuern. Ihnen geht es darum, der Partei wieder mehr Gewicht zu verschaffen.

2. Akt Steigerung

Auftritt: Sahra Wagenknecht (Fraktionsvorsitzende) und 68 weitere Abgeordnete. Die Situation verschärft sich schlagartig, als am Morgen der Fraktionsklausur eine Mail von Sahra Wagenknecht in den Postfächern aller 69 Abgeordneten der Linkspartei landet. Katja und Bernd, die beiden Parteivorsitzenden, hätten sich nie mit ihr und Dietmar als Spitzenkandidaten abgefunden und versuchten sie nun zu demontieren. Sie stellt die Abgeordneten vor die Wahl, entweder die Geschäftsordnungsanträge abzulehnen oder sie stehe nicht als Fraktionsvorsitzende zur Verfügung.

3. Akt Höhepunkt

Auftritt: Katja Kipping, Bernd Riexinger, Sahra Wagenknecht, Dietmar Bartsch. Der Antrag mit dem Stimmrecht im Fraktionsvorstand wird zurückgezogen, dafür bekommen die Parteivorsitzenden ein herausgehobenes Rederecht. Bedeutet faktisch: „Natürlich haben die Fraktionsvorsitzenden weiterhin das erste Zugriffsrecht auf Reden im Bundestag. Normalität ist wiederhergestellt“, sagt Dietmar Bartsch.

Die beiden Fraktionsvorsitzenden werden wiedergewählt. Für Bartsch als Fraktionsvorsitzenden stimmen 80 Prozent der Abgeordneten, Wagenknecht erhält 75,4 Prozent der Stimmen. Am späten Dienstagabend stellen sich alle vier zusammen vor die Kameras. „Wie – jetzt zu viert?“, fragt Wagenknecht, macht dann aber mit und ergreift gleich das Wort, um Bernd Riexinger in die Schranken zu weisen: „Bernd, das ist die Pressekonferenz der Fraktion.“ Bernd Riexinger starrt zu Boden.

4. Akt Retardierendes Moment

„Ver­knüpfen von inhaltlichen Entscheidungen mit der eigenen

Person ist so … sozial­demokratisch.“

Nicole Gohlke, Delegierte der Linken

Auftritt Sahra Wagenknecht, Sevim Dağdelen. Noch einmal stagniert die Handlung, als Sahra Wagenknecht erneut mit Rücktritt droht. Ihre enge Vertraute Sevim Dağdelen ist im ersten Wahlgang zur stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden durchgefallen. Im zweiten Wahlgang wird sie dann gewählt. Katja Kippings langjährige Freundin Caren Lay akzeptieren die Abgeordneten im ersten Wahlgang als stellvertretende Fraktionsvorsitzende, Jan Korte, ein Getreuer von Dietmar Bartsch, wird Parlamentarischer Geschäftsführer.

5. Akt Schluss

Auftritt: mehrere Abgeordnete. Zum Ende der Fraktionsklausur weicht die Handlung vom klassischen Muster des Dramas ab: Sie kulminiert weder in der Katastrophe und damit als Tragödie noch in der glücklichen Massenumarmung. Etwas verwirrt schleichen die Darsteller über die Bühne. Stefan Liebich, Urgestein und strammer Bartsch-Mann: „Das war eine harte und schmutzige Auseinandersetzung, aber wir hatten schon schlimmere Zeiten.“ Nicole Gohlke, Vertreterin des Linken-Flügels und Wagenknecht-Abtrünnige: „Diese Verknüpfen von inhaltlichen Entscheidungen mit der eigenen Person ist so … sozialdemokratisch.“

Epilog

Die Gesellschaft verändert sich, die Linkspartei steht vor neuen Herausforderungen. Innerhalb der klassischen Flügel brechen andere Konfliktlinien auf, die Partei sortiert sich neu. Wie verbindet man eine digitale Arbeitswelt mit dem Recht auf Arbeit, wie geht man mit dem Rechtsruck um, wie überzeugt man Wähler, die zur AfD abwanderten, neu von sich? Ach ja, die AfD und der Umgang mit ihr – dieser Punkt wurde vertagt. Eigentlich eine Pointe. Vielleicht waren die zwei Tage in Potsdam ja doch eine Komödie.