Kolumne Über Ball und die Welt: Analogien im Abseits

In der Qualifikation zur Fußball-WM wird auch für und gegen die Freiheit gekämpft. Das zeigt sich an Syrien und den USA. Oder doch nicht?

Fußballspieler knieen am Boden

Spieler der syrischen Nationalmannschaft freuen sich nach einem Tor Foto: dpa

Gekämpft und doch verloren. So lässt sich manches bilanzieren: Politisches etwa, wie der Arabische Frühling. Fußballerisches, wie der Auftritt der syrischen Nationalmannschaft bei der WM-Qualifikation.

Ein historischer Erfolg war schon die erstmalige Teilnahme Syriens an den Playoffs der WM-Qualifikation. Nach einem 1:1 gegen Australien im „Heimspiel“ in Malaysia verlief auch das zweite Spiel in Sydney, bei dem die Gastgeber erst in der Verlängerung das 2:1 erzielten, auf Augenhöhe. Noch am Dienstag schien ein Ausscheidungsspiel Syrien – USA möglich – es wäre gegen den Viertplatzierten der Concacaf-Gruppe gewesen. Zu Syriens Australien-Niederlage aber gesellte sich am Dienstag noch das US-amerikanische Scheitern gegen Trinidad und Tobago.

Richtig geraten, es geht um Analogien: Spiegelt der vergebliche Auftritt Syriens beim Versuch, im Weltfußball Anerkennung zu finden, die Situation des zerrissenen Landes wider? Wenn ja, steht die Auswahl an der Seite der Diktatur? An der Seite der Opposition? Zeigen sich im Spiel gar beide Seiten?

Es war ausgerechnet der Iran, den das Team Anfang September hätte schlagen müssen, um sich direkt für die WM zu qualifizieren. Das Spiel endete unentschieden – wie der Krieg, ist man versucht zu schreiben. Schließlich war der Iran nicht nur bereits für die Fußball-WM qualifiziert; er ist ja – wie WM-Gastgeber Russland auch – involviert in den Bürgerkrieg.

Auch der syrische Fußball war von Beginn an in die Rebellion gegen die Diktatur des Baschar al-Assad eingebunden. Das Regime versuchte sich mit den Erfolgen der Nationalelf zu schmücken und instrumentalisierte das Team in seinem Sinne als internationales Aushängeschild für eine nationale Einheit. Zugleich aber sind die Stadien Orte, in denen sich die Opposition machtvoll zeigt: Nicht grundlos wurde die Saison 2010/2011 abgebrochen, als der Arabische Frühling ausbrach. Und, auch diese Information zeigt, dass es keinen unpolitischen Fußball geben kann: Mindestens 38 Fußballer der ersten und zweiten syrischen Liga wurden seit dem Ausbruch des Bürgerkriegs getötet, nicht wenige durch Folter.

Der Sport ist nicht irgendeine geschichtsfreie Arena. Es wird weiterhin darum gekämpft, wie emanzipatorisch oder wie unfrei er ist

Wer will, kann sich das in dieser WM-Qualifikation offenbarende politische Szenario so zurechtanalogisieren: Russland dürfe im nächsten Jahr das mindestens 10 Milliarden Euro teure Event ausrichten und so den schönen Sport instrumentalisieren. Der Iran könne dort mit seinem Islamismus in kurzen Hosen so tun, als symbolisierten die Prinzipien der Mullahs den Geist des Weltsports. Und der Trump’sche Isolationismus zeige sich nun auch im Fußball, weswegen die USA zurecht fehlten.

Solche Analogien vermitteln jedoch genau das, was sie kritisieren: Auch sie sehen im Fußball an sich etwas Unpolitisches; sie bemängeln nur, dass böse Mächte ihn instrumentalisierten. Der Sport aber ist nicht irgendeine geschichtsfreie Arena. Es wird weiterhin – nicht nur in Syrien – darum gekämpft, wie emanzipatorisch oder wie unfrei er ist. Und auch wenn „nur“ etwas Sportliches gemeint ist, steht es manchmal auch für eine Katastrophe.

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Jahrgang 1964, Mitarbeiter des taz-Sports schon seit 1989, beschäftigt sich vor allem mit Fußball, Boxen, Sportpolitik, -soziologie und -geschichte

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