Zu Boden gehen, aber mit Stil

Der Tanzstil Voguing, entstanden in der schwulen Subkultur, wird immer beliebter. Fluch und Segen, findet der US-Produzent MikeQ

Streng lineares Schreiten wird beim Voguing durch ausdrucksvollen Hüftschwung gebrochen

Von Sarah Ulrich

Wenn der akkurate Viervierteltakt mit einem brachialen Crash abschließt, ist das auf einem Ballroom-Event das Zeichen für die TänzerInnen. Dann verharren sie in exzentrischer Pose oder schmeißen sich in einem dramatisch-eleganten „Death Drop“ zu Boden – je nach individuellem Stil. Taktgebend ist dabei immer die Musik: frenetischer Ballroom-House, der durch repetitive Elemente und punktierte Beats schon fast ein musikalisches Szenenbild konstruiert.

Der in New Jersey geborene Michael Cox produziert diesen Sound nicht nur, sondern entwickelt ihn auch fortwährend weiter. Unter dem Namen MikeQ ist er einer der Künstler, der die zunehmende Prominenz der ursprünglich in New Yorker Schwulenclubs entstandenen Ballroom-Kultur maßgeblich prägt. Auf zahlreichen kompetitiven Bällen, bei denen Dragqueens, Butch-Queens, Transfrauen und Queer People of Color in verschiedenen Tanz- und Fashion-Kategorien wie „Soft and Cunt“, „Femme Queen Vogue“ oder „Runway“ gegeneinander antreten, steuert MikeQ den Soundtrack bei.

Was durch Rufe wie „yass, bitch“ und „work that pussy“ angetrieben wird, ist eine durch Exzentrik, Selbstbewusstsein und Sexyness lebende Show. Ästhetik und Stil stehen dabei im Zentrum der Performance, die dem von DJ und den Kommentaren des MC vorgegebenen Takt folgt. „Ein Ballroom-Abend lebt von der Triade aus DJ, Kommentator und Performer, alles ist perfekt funktional aufeinander abgestimmt“, sagt MikeQ.

Prägendes Performance-Element ist das elegant-theatralische Voguing – ein Tanzstil, der Modelposen auf dem Laufsteg nachempfunden ist. Streng lineares Schreiten wird durch ausdrucksvollen Hüftschwung gebrochen, blitzschnelle Armbewegungen vollenden genau durchdachte Drehungen. Der sogenannte Crash ist sowohl beim Voguing als auch bei fast jedem Ballroom-House-Track das tonangebende Element. Oftmals wird er durch den charakteristischen „Ha“-Ruf begleitet, der seit dem 1991 von Masters At Work veröffentlichten Track „Ha-Dance“ zum wichtigsten Stilelement der Ballroom-Musik wurde. Seit der Neuinterpretation durch den Ballroom-Produzenten Vjuan Allure findet man ihn als Sample in nahezu jedem Stück wieder.

„Alte Ballroom-Tracks waren treibend und gut tanzbar“, sagt MikeQ. „Ich greife das in meinen Produktionen auf. Aber ich bin nicht derjenige, der Ballroom erfunden hat.“ Immer wieder erzählt er davon, dass eine große Portion Glück zu seinem Erfolg gehört. Während MikeQs Sets auf modernen Ballroom-Events klaren Mustern und Rhythmen folgen, experimentiert er in seinen eigenen Produktionen mit verschiedensten Genres und lässt neben den eingängigen Clubsounds auch Pop-, HipHop- und R-’n’-B-Elemente einfließen. Sein Begabung, den ekstatischen Stil des fordernden Ballroom-House mit den Klassikern des Genres zusammenzubringen, bescherte ihm in den vergangenen Jahren Bekanntheit weit über die Ballroom-Szene hinaus.

Als Teil des Labels Fade to Mind sowie mit der Partyreihe „GHE20G0TH1K“ hat MikeQ einen bedeutenden Teil dazu beigetragen, dass die Ballroom-Kultur sich von einem Untergrund-Phänomen zu einem internationalen Veranstaltungskonzept entwickelt hat. Um dieser Entwicklung eine Plattform zu geben, hat er 2005 das Label-Kollektiv Qween Beat gegründet, das den extravaganten Stilmix aus Ballroom-House, Club, HipHop und R ’n’ B einem breiteren Publikum zugänglich machen will.

„Ich will die Musik nicht nur weiterentwickelt, sondern auch den echten Ballroom-Stil erhalten und verbreiten“, sagt der 31-Jährige über seine Ambitionen. Mit zunehmendem Erfolg. Durch Mixtapes, Remixe und Produktionen hat MikeQ der Szene maßgeblich zu Popularität verholfen. Im März trat er gemeinsam mit der „Berlin Voguing Out“-Dancecrew beim renommierten Festival CTM auf.

Größere Beliebtheit führt auch zu mehr Kommerzialisierung – ein Zwiespalt, der gerade dem ursprünglich progressiven Grundgedanken der Ballroom-Events einer schwarzen LGBTQI-Subkultur widerspricht. „Natürlich ist es schwierig, wenn alles kommerzialisiert wird. Generell finde ich es aber gut, wenn die Ballroom-Kultur eine Art Öffentlichkeit und Anerkennung erlangt“, sagt der DJ und Produzent. Wichtig sei vor allem, dass die Kultur respektiert und auf die richtige Art und Weise gefördert wird. Denn: „Ballroom ist kein Kommerzphänomen.“

MikeQ live, 21. 10., St. Georg, Berlin, mit Kingdom, Leonce, RUI HO, Brat Star, Nico Adomako und Simon Kaiser