Das Vertraute
im Fremden

Das Porträt als Neuentdeckung der chinesischen Kunst: „Gesichter Chinas“ im Kulturforum zeigt Porträtmalerei vom 1400 bis 1900

Ausstellungsansicht mit den Selbstporträts von Ren Xiong (ca. 1857) und Max Kaus (1935) Foto: smb

Von Brigitte Werneburg

Alles landet am Ende im Museum. Zuletzt auch in China, wo die Porträtmalerei zwar seit jeher einen hohen Stellenwert für die Alltagskultur besaß, doch nach Ansicht der gebildeten und tonangebenden Oberschicht der Literati keine Kunst und damit – jenseits der Familie − nicht sammlungswürdig war. Erst 1925, als die kaiserliche Sammlung zum Museum wurde, setzten Anstrengungen ein, wichtige, im Land verstreute Porträtbilder für das Palastmuseum zu erwerben.

Das Beijinger Museum ist daher neben dem Royal Ontario Museum in Toronto der große Leihgeber der herausragenden Ausstellung „Gesichter Chinas. Porträtmalerei der Ming- und Qing-Dynastie (1368–1912). Sie zeigt über 100 Bilder, die zum größten Teil noch nie in Europa zu sehen waren. Tatsächlich überkommt einem beim Ausstellungsrundgang das schöne Gefühl, endlich einmal wieder etwas ganz und gar Fremdem, Unbekanntem gegenüberzustehen. Gleichzeitig macht die Schau mit den ersten zwei Bildern, mit denen sie die BesucherInnen empfängt, klar, dass durchaus Vertrautes in den Porträts zu finden ist.

In der oberen Halle im Kulturforum, mit dem Fokus auf Adelsporträts und Bildnissen von Beamten und Künstlern, trifft man zunächst auf den Gelehrten Yang Woxing. An seinem roten, wallenden Gewand fallen ein runder weißer Kragen und die quadratischen, mit goldenen Fasanen bestickten Rangabzeichen des Beamten auf. Lebensgroß hat ihn sein unbekannter Maler, dessen Tuschebild in das 16. bis 17. Jahrhundert datiert ist, auf einem Orientteppich platziert. Und auf einen Orientteppich hat auch Anthony van Dyk den Stuhl gestellt, auf dem seine Genueser Dame saß, als er sie 1622/23 in Öl malte. Nun wurde sie aus der Gemäldegalerie geholt und neben Yang Woxing gehängt.

Leider sind nur wenige Damen zu bewundern. Dafür fallen ihre Porträts aber besonders auf, etwa im Fall der Kaiserinwitwe Xiaozhuangwen. Von ihr ist ein Prunkporträt aus dem letzten Drittel des 17. Jahrhunderts zu sehen, das zwei informelle Porträts ergänzen, die in ihrer präzisen, aber zarten Genauigkeit an die Malerei der Neuen Sachlichkeit erinnern. Interessant ist hier die Frontalansicht, in der eines gemalt ist und die die bis dahin einzig richtige Dreiviertelansicht beim Kaiserporträt ablöst.

Neben dem informellen Bildnis lebender Personen ist das Ahnenporträt der in China am häufigsten anzutreffenden Porträttyp, weswegen seine Abwesenheit in den Museen besonders auffällt. Anders als in Europa, wo die Ahnengalerie in fürstlichen Häusern permanent sichtbar ist, wurden in China die Seidenrollen mit den Ahnenporträts nur bei Festen und Gedenkzeremonien entrollt. Das Herrscherbild hatte dabei über seine Funktion im Ahnenkult hinaus Bedeutung als strategisches Mittel im politischen Machtkampf.

Ungewöhnlich ist das Herrscherbild der „Kaiserin Xiaoquancheng in informeller Kleidung mit Kind“ aus dem zweiten Viertel des 19. Jahrhunderts. Die junge, schöne Kaiserin steht in einem bestickten Seidenkleid hinter einem hochbeinigen Tisch, neben ihr eine ihrer Töchter. Obzwar ein bisschen steif gemalt, wirkt die Szene ungezwungen. Das soll dem Einfluss der westlichen Porträtmalerei gedankt sein, die europäische Jesuitenkünstler an den Hof gebracht hatten. Das Bildkonzept von Mutter und Tochter als individualisiertes und auf zwei Personen reduziertes Familienbild nennt der lesenswerte Ausstellungskatalog „ungewöhnlich und in der Geschichte der chinesischen Porträtmalerei äußerst selten“.

Das Ahnenporträt ist der am häufigsten anzutreffende Porträttyp

Europäische Maler arbeiteten auch an den 280 fast lebensgroßen Porträts mit, die der äußerst kriegsfreudige Qianlong-Kaiser von seinen verdienten Militärs anfertigen und in der „Halle des Purpurglanzes“ aufbewahren ließ. Zwei dieser Porträts und die dazugehörigen Vorstudien sind in der Ausstellung zu sehen. Das von einem anonymen europäischen Hofmaler 1756 angefertigte Ölbild des Mongolenkriegers Dawaci stammt aus dem Ethnologischen Museum. Das Bild gelangte nach dem Boxerkrieg von 1900 als Beutekunst nach Berlin. 1945 wurde der größte Teil dieses Konvoluts erneut Kriegsbeute, dieses Mal der siegreichen Sowjetarmee.

Für die Bilder der „Halle des Purpurglanzes“ arbeiteten oft zwei Maler zusammen. So malte Ignatius Sichelbart bei den Porträts von 50 Offizieren aus der Turkestan-Kampagne die Gesichter, während der vom Kaiser hochgeschätzte Maler Jin Tingbao für die Ausgestaltung der Kleidung verantwortlich war. Ähnlich sah die Kooperation der Maler bei den Porträts der Literati und der zu ihrem Kreis gehörenden Künstler aus. Malte der eine die Gesichter, so konzentrierte sich der andere, berühmtere Maler auf die Landschafts- und Gartenansichten im Hintergrund, die tatsächlich als Kunst galten.

Noch ein Bild aus der mit europäischer Malerei, chinesischen Objekten und kunsthistorischen Recherchen aufwändig kontextualisierten Ausstellung sei erwähnt: Die psychologische Selbstdeutung von Ren Xiong von 1857 in der unteren Halle mit Ahnenporträts und Bildern von Privatpersonen. Nahezu lebensgroß steht der Maler, halbnackt und mit kahlgeschorenem Kopf, dem Betrachter frontal gegenüber und sucht fast konfrontativ den direkten Blickkontakt. Die Lebenskrise kommt in einem der Figur zur Seite gestellten Gedicht zum Ausdruck. „Wer ist der Dumme? / Wer ist der tugendhafte Weise?“, fragt der Maler des extrem modern wirkenden Bilds. Deswegen bildet auch Max Kaus’ fast ein Jahrhundert später gemaltes „Bildnis mit weißer Mütze“ 1935, einen stimmigen Vergleich.

Bis 7. Januar, Kulturforum, Di., Mi., Fr. 10–18, Do. 10–20, Sa., So. 11–18 Uhr, Katalog 49,95 Euro