Conchita Wurst in der Philharmonie: Berühmtsein ist nicht nur lustig

Sie gewann 2014 den Eurovision Song Contest. Am Dienstag tritt Conchita Wurst in Berlin auf. Ein Gespräch über persönlichen und künstlerischen Wandel.

Conchita Wurst ist mit ihrem Programm in Leipzig, Berlin und Hamburg zu Gast Foto: Rainer Dröse

In einem Hotel am Bahnhof Zoo zieht sie eine Zwischenbilanz nach Jahren der Dauerpräsenz in den internationalen Medien: Conchita Wurst. Wie es ihr erging nach dem ESC, wie es um das Politische in ihrer Heimat bestellt ist und ob es bald Zeit ist, die Perücken hinter sich zu lassen.

taz: Mit wem spreche ich: mit Conchita Wurst oder Tom?

Conchita Wurst: Ich glaube, ich war noch nie wirklich Conchita (lacht). Ich habe mir so viele Regeln auferlegt, dem Konzept von Conchita zu entsprechen. Ich bin Kompromisse eingegangen, die ich nicht mehr eingehen würde.

Ein Beispiel, bitte?

Das erste Album. Die Songs habe ich on the road abgesegnet oder eben nicht. Nicht falsch verstehen: Da sind gute Songs drauf. Einige davon wären sicher ein Hit geworden, hätte ich sie nicht gesungen. Unterm Strich ist es aber eigentlich nicht mein Album.

Alles Lüge?

Nein. Aber ich dachte damals, ich muss noch perfekter sein als alle anderen. Ich habe eh schon Perücke und Bart und werde schnell mal nicht ernst genommen. Deswegen muss ich noch mehr aus Gaspedal treten. Das macht einen aber nicht glücklich.

Rise Like A Phoenix“ war doch aber nicht fragwürdig?

Conchita – From Vienna With Love feat. National Philharmonic Orchestra Berlin unter der musikalischen Leitung von Wilhelm Keitel: Dienstag, 7. 11., 20 Uhr, Philharmonie, 57,55–80,55 €

Nein, ich singe es ja bis heute. Vermutlich bisher eine Million Mal. Es ist nicht so, dass es mich von Anfang an immer catcht. Aber irgendwann hat es mich einfach immer. Es auszuwählen war eine Bauchentscheidung. Aber nach dem Sieg in Kopenhagen habe ich mich ein Stück verloren, weil ich es zugelassen habe.

Was hättest du denn gerne anders gemacht?

Gar nichts!

Klingt paradox. Ein Jahr nach dem Eurovisionsieg hattest du alles ziemlich satt?

Ich weiß nicht, ob ich mir das damals schon eingestanden hätte. Ich hatte wegen der vielen Termine keine Zeit, darüber nachzudenken. Rückblickend kann ich nicht sagen, ob mir das Spaß gemacht hat oder nicht, weil ich nichts gefühlt habe.

Du hast funktioniert wie ein Rädchen in einer großen Maschine?

Genau. Wenn du in Sydney in der Oper stehst und Standing Ovations weder siehst noch hörst, sondern nur darüber nachdenkst, was die nächste Moderation ist, dann ist das nicht so toll.

Tom Neuwirth aka Conchita Wurst, 1988 im österreichischen Gmunden geboren, tritt seit 2011 in der Öffentlichkeit als Dragqueen Conchita Wurst auf. 2014 gewann sie mit „Rise Like A Phoenix“ in Kopenhagen den 59. Eurovision Song Contest. Seither hat Neuwirth es in aller Welt zur Prominenz gebracht.

Kannst du den Moment umschreiben, an dem du gesagt hast: So geht es nicht weiter.

Als ich mir nach Monaten eingestanden habe, dass es nicht normal ist, wenn man in der Früh aufsteht und grundlos unglücklich ist. Ich hatte eine Phase, in der ich dachte: Was ist los mit mir? Ich saß am Flughafen und habe nur auf meine Hände gestarrt. Wenn das Scheinwerferlicht an war, war ich (schnipst). Da dachte ich, du schaffst das allein nicht, such dir Hilfe. Das habe ich getan, bin in Therapie gegangen und bin froh, dass das so viel bewegt hat in mir.

Die entscheidende Erkenntnis war?

Dass ich mich immer auch ein bisschen für mich geschämt und mir gedacht habe, ich müsse bescheiden sein. Viele haben dieses Leben nicht, das ich führe. Ich hab als Kind schon gewusst, dass ich auf die Bühne muss. Es ist das Einzige, was ich kann.

Du trittst nun unter anderem in Berlin auf. Was unterscheidet diese Performances von solchen, die wir aus der Zeit nach Kopenhagen kennen?

Ich habe jetzt eine Band. Ich kannte das nicht, Teamarbeit. Dass man sich auch als Personen kennt, macht unheimlich viel Spaß.

Wie war es vorher? Playback?

Playback oder Bands und Orchester, die ich vorher nicht kannte, mit denen ich nur für einen Abend gespielt habe.

Du wirst bei den Gigs aber schon noch „Rise Like A Phoenix“ singen?

Natürlich! Dieses Lied werde ich immer singen!

Hast du mal darüber nachgedacht, dass der ESC-Sieg 2014 der Zenit deiner Karriere gewesen sein könnte? Dass es so rasant nicht immer weitergehen wird?

Momentan hätte ich kein Problem damit, wenn es in diesem Tempo weitergeht. Es geht mir gut, habe keine Sorgen. Ich bin schon draufgekommen, dass Berühmtsein nicht nur lustig ist. Ich weiß , dass ich immer auf einer Bühne sein und in diesem Genre arbeiten muss, denn es ist das Einzige, was ich kann. Ich habe aber kein Problem damit, wenn es doch nicht die Weltkarriere wird. Ich bin mir nicht sicher, ob mir das in letzter Instanz gut tut.

In Österreich haben wir eine politische Situation, die nicht sehr libertär ist. Stimmt es, dass dir die österreichischen Nationalen übelnehmen, dass du und nicht Andreas Gabalier die Eurovision gewonnen hat?

(lacht laut) Ich bin davon überzeugt! Und das erfüllt mich ja mit Freude. Ich finde es amüsant, dass die, die Menschen wie mich nicht mögen, mit mir leben müssen bis in alle Ewigkeit.

Hattest du damals von Konservativen und Nationalen Glückwünsche bekommen?

Nein. Herr Strache (Spitzenpolitiker der rechtspopulistischen FPÖ, d. Red.) sagte nur: Ich gratuliere dem Künstler Tom Neuwirth zum Sieg.

Viele Künstler scheuen ja politische Bekenntnisse. Sie glauben, dass sie damit ihre Kundschaft verprellen.

Meine Kundschaft kann ich nicht verprellen, weil ich so eindeutig in eine Richtung gehe. Ich würde nie ultrakonservativ wählen. Das wäre dumm.

Ist es denkbar, dass du ganz ohne Perücke auftrittst?

Ich weiß es nicht. Es würde mich reizen. Ich genieße es aber immer noch sehr, nicht erkannt zu werden.

Und ist ein Album in Planung?

Ja. Seit Gezeiten.

Wie heißt es?

Ich weiß es nicht. Mein Arbeitstitel ist „Me, Myself and I“ (lacht).

Könntest du dir eine Performance vorstellen, bei der du auf der Bühne deine Perücke vom Kopf nimmst?

Das haben schon so viele getan. Jede Drag-Revue endet mit „I Am What I Am“. Diesen Gag kann man in den heutigen Zeiten, mit all den Handykameras, nur einmal machen. Wenn es eine Demaskierung oder ein Ende gibt, dann ist es die Kaiserin, die in ein Grab fällt. So in etwa.

Andererseits wirst du ja noch viele Jahre leben.

Absolut. Ich kann mir auch Dinge vorstellen, die nicht auf einer Bühne stattfinden und keine Perücke er­fordern.

Dieser Text erscheint im taz.plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg immer Donnerstags in der Printausgabe der taz

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