Stadtgespräch
Mirco Keilberth aus Tunis
: Bei Terror staut sich in Tunesien der Verkehr – und der Frust des Taxifahrers wegen Stillstand und Blödsinn bricht sich Bahn

Der Stau in Richtung La Marsa ist noch quälender als sonst. Die für ihre Ungeduld berüchtigten Taxifahrer stimmen an jeder roten Ampel zu einem noch lauteren Hupkonzert als sonst an. Was ist denn los, fragt ein Passant genervt. „Der Terror ist zurück“, antwortet Mohamed, der endlich seine Zehn-Stunden-Schicht in dem gelb lackierten VW-Polo-Taxi beenden will, das er täglich von einem „Ausbeuter“ mietet und mit dem er jetzt nicht in Richtung des Nobelviertels von Tunis vorankommt.

Eine Stunde vorher hat ein polizeibekannter Islamist zwei Polizisten in der Nähe des Parlaments mit einem Messer attackiert. Die „Tyrannen“, wie die Extremisten Polizei und Armee nennen, reagieren umgehend: scharfe Kontrollen, Blaulicht, gezogene Waffen, vergitterte Mannschaftstransporter. Alarmzustand im sowieso schon seit 2011 von allen Regierungen verlängerten Ausnahmezustand.

„In Tunesien findet ein unsichtbarer Krieg statt. Die Terroristen haben auf den Absturz der Wirtschaft gewartet. Jetzt, wo der Frust am größten ist, schlagen sie zu“, erklärt Mohamed, der nach seinem Studium der Sozialwissenschaften keinen besseren Job fand als Taxifahren. Seit sechs Jahren wartet er wie viele Tunesier darauf, dass die politischen Erfolge Tunesiens seit 2011, von denen die Regierung und die ausländischen Medien immer wieder berichten, sich endlich bemerkbar machen. „Mir sind der Friedensnobelpreis, die neue Verfassung, Frauen- und Bürgerrechte völlig egal“, schimpft der 27-Jährige, der in der Hochhaussiedlung „Menza Sechs“ wohnt. Von seinen Zehn-Stunden-Schichten Taxifahren bringt er monatlich umgerechnet 400 Euro nach Hause.

Der Angriff auf die Polizei in Bardo ist die erste Terrorattacke in Tunis seit drei Jahren. Doch nach dem Verkehrsstau am Mittwochabend ist die Aufregung schnell abgeebbt. Eine Mischung aus Gleichgültigkeit und Frustration hat sich im Vorzeigeland des Arabischen Frühlings breitgemacht.

Meldungen über die Verhaftung von klandestinen Terrorzellen flimmern täglich über die Bildschirme und rufen in Erinnerung, dass noch vor wenigen Jahren schwarze Flaggen an vielen Moscheen hingen. Die Islamisten hatten das tunesische Machtvakuum genutzt, um gegen die Tyrannen in Syrien zu rekrutieren. Sie nutzten die sozialen Spannungen zwischen Arm und Reich, zwischen Nordwesten und Südosten Tunesiens aus, um junge Männer für die saudischen und katarischen Auslegungen des Islam zu gewinnen. Mit Erfolg: Aus keinem Land kommen mehr ausländische Kämpfer des „Islamischen Staates“ als aus Tunesien, in keines kehren nach dem Verlust von Rakka und Mossul mehr zurück.

Aber seit den Attacken auf ausländische Touristen vor drei Jahren haben Tunesiens Sicherheitskräfte, trainiert von europäischen Spezialisten, die Oberhand. Mit einem Problem: Ihr robustes Vorgehen bringt in den 100-Mann-Zellen der Gefängnisse normale frustrierte Jugendliche mit Radikalen zusammen. Hier werden Lebensläufe wie die des Berliner Attentäters Anis Amri produziert.

Mohamed, der Taxifahrer, verliert nicht viele Worte über den neuesten Anschlag in Bardo. Der Terror ist doch längst überall, sagt er. Wie die meisten Tunesier glaubt er, dass fremde Mächte am Werke sind, die Tunesien und die arabische Welt zerstören wollen. Worte wie „Mossad“, „CIA“, „die internationale Bankelite“ fallen bei solchen Gesprächen besonders häufig.

Denn die Durchschnittstunesier sehen sich als Opfer von Dingen außerhalb ihrer Kontrolle. Seit dem Sommer hat der tunesische Dinar fast ein Drittel seines Wertes verloren, die Löhne sinken, die Lebensmittelpreise steigen. Viel schlimmer als die religiösen Extremisten nehmen viele Bürger die Korruption wahr: Verkehrspolizisten stoppen willkürlich Autofahrer, Baugenehmigungen gibt es nur gegen Schmiergeld.

Zuletzt haben die Taxifahrer für drei Tage gestreikt. Zwanzig Euro sollen die Fahrer nämlich zukünftig Strafe zahlen, wenn sie während der Arbeit bedruckte T-Shirts tragen oder Kaffee im Wagen trinken. Die Taxifahrer, so das Verkehrsministerium, sollen das Bild Tunesiens gegenüber Touristen und Investoren nicht verunstalten. Als ob die Taxifahrer schuld wären.