„Wir werden alle sterben, wenn man uns nicht rettet“

20.000 Flüchtlinge, die Libyens Küstenwache auf dem Mittelmeer auf dem Weg nach Europa abgefangen hat, vegetieren in Horrorbedingungen in libyschen Haftzentren, sagt die UNO und kritisiert die EU

Die Vereinten Nationen haben die EU-Politik der Hilfe für die libysche Küstenwache zum Abfangen von Flüchtlingen und Migranten im Mittelmeer scharf kritisiert. Dadurch sei die Zahl der Menschen deutlich gestiegen, die unter entsetzlichen Bedingungen in Haftzentren eingepfercht seien, sagte der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Said Raad al-Hussein, am Dienstag in Genf.

Italien und die EU unterstützen die libysche Küstenwache, die Flüchtlingsboote vermehrt an der Weiterfahrt nach Europa hindert und die Menschen stattdessen in Libyen in Lager sperrt. Nach libyschen Angaben befinden sich in den Lagern 19.900 Menschen. Im September waren es erst 7.000. „Das Leiden von Flüchtlingen, die in Libyen festgehalten werden, ist ein Verbrechen am menschlichen Gewissen“, erklärte der Menschenrechtskommissar. Die internationale Gemeinschaft dürfe nicht länger die Augen verschließen vor dem „unvorstellbaren Grauen, das Flüchtlinge in Libyen ertragen“. Er geißelte „illegale Tötungen im Namen des Migrationsmanagements und des Hinderns verzweifelter und traumatisierter Menschen, die Küsten Europas zu erreichen“.

Seine Mitarbeiter seien nach Besuchen in den Haftzentren der libyschen Antimigrationsbehörde DCIM schockiert gewesen, so al-Hussein. „Sie sahen Tausende ausgemergelte und traumatisierte Männer, Frauen und Kinder, übereinandergestapelt, weggeschlossen in Hallen ohne Versorgung mit dem Nötigsten und ihrer menschlichen Würde beraubt.“ Das Haftsystem für Flüchtlinge in Libyen sei „irreparabel zerstört“, sagte der Menschenrechtskommissar.

Viele seien in den Fängen von Schleppern gewesen, gefoltert, vergewaltigt, entführt und ausgehungert worden. Ein Mann im DCIM-Lager Tarik-al-Matar, wo 2.000 Geflüchtete in einer riesigen Lagerhalle ohne Toiletten zusammengepfercht sind, berichtete: „Wir sind wie eine Schachtel Streichhölzer. Wir schlafen nicht, wir sind krank, wir haben nichts zu essen, wir haben seit Monaten nicht geduscht. Wir werden alle sterben, wenn man uns nicht von hier rettet. Es ist sehr schwer, den Gestank von Fäkalien und Urin zu überstehen. Viele liegen bewusstlos am Boden.“

Eine Frau aus der Elfenbeinküste berichtete von ihrer Vergewaltigung: „Bewaffnete Männer kamen herein und wählten sechs von uns aus, auch mich, und nahmen uns eine nach der anderen nach draußen. Als ich mich weigerte, wurde ich geschlagen und man hielt mir ein Gewehr an den Kopf. Vier Männer vergewaltigten mich draußen. Ich war schon schwanger, ich blutete stark und ich glaube, ich habe mein Baby verloren. Ich habe noch keinen Arzt gesehen.“ (dpa, taz)