Der lange Arm der Lobby

In der Klimapolitik hat die Öl-, Gas- und Kohleindustrie riesigen Einfluss. Doch allmählich regt sich Widerstand

Ob es sich bei den abgebildeten Personen um Lobbyisten handelt, weiß man nicht. Sicher ist nur, dass die Fidschi-Inseln Gastgeber der Konferenz in Bonn sind Foto: Wolfgang Rattay/reuters

Aus Bonn Bernhard Pötter

Fototermin in der Sonne: Am Sonntag vor Beginn der Klimakonferenz nähert sich eine Gruppe von etwa 20 Radfahrern dem UN-Campus in Bonn. Sie sind auf ihren E-Bikes in acht Tagen von Paris an den Rhein gefahren. Auf den letzten Metern werden sie von der Chefin des UN-Klimasekretariats, Patricia Espinosa, und dem deutschen Umweltstaatssekretär Jochen Flasbarth angeführt. Alle haben sich in enge blau-weiß-grüne Fahrradtrikots gezwängt. Darauf prangt der Name des Sponsors ebenso wie auf den Tafeln im Hintergrund: Iberdrola, der spanische Energiekonzern. Die Gruppe fordert „Klimaschutz jetzt!“. Fotografen schießen eifrig Fotos.

Auch auf den Gängen des Kongresszentrums bringen sich die Sponsoren der Klimaverhandlungen mit großen Stelltafeln in Erinnerung. Neben Iberdrola sind das unter anderem BMW, die Bank BNP Paribas, der brasilianische Energiekonzern Itaipu und die Ethanol-Hersteller. Durch die Gänge flanieren Hunderte von „Beobachtern“, die mit einem offi­ziellen UN-Pass die Klimagespräche für ihre Unternehmen und Verbände beeinflussen. Aber gegen diese Form des Lobbyismus wehren sich immer lauter Politiker, Verbände und einzelne Delegationen: Lobbyisten sollen ihre Interessenkonflikte offenlegen und von den Gesprächen ausgeschlossen werden.

Im Oktober beschloss das Europäische Parlament, den Einfluss von Gruppen zu beschränken, die den Klimaschutzprozess bremsen. Und nach einem Vorstoß von Ecuador und Venezuela vom Mai ist die UN-Konferenz zu „Offenheit und Transparenz“ ihrer Verhandlungen aufgefordert. Ein Jahr lang können Interessierte jetzt Vorschläge machen, wie das aussehen soll. Die USA, Australien und die EU haben dieses Ansinnen seit Jahren bekämpft. Aber nun zeigen mehrere Studien, wie tief der Einfluss der Lobbys auf die Verhandlungen reichen kann.

„Transnationale Konzerne haben den Klimaprozess als Geisel genommen, sie verhindern mehr Anstrengungen, drücken falsche Lösungen durch und blockieren die Finanzierung echter Lösungen“, lautet der Vorwurf der Gruppe Corporate ­Accountability International. Sie attackieren etwa die amerikanische und australische Handelskammer und den Bran­chenverband Business Europe für ­deren Lobbyarbeit und Bezahlung durch die Öl- und Kohleindustrie.

Die Untersuchung „Polluting Paris“ kritisiert die Verquickung von Delegationen und fossiler Wirtschaft. Der Bericht führt Beispiele an, wie Agrarkonzerne wie Monsanto und Syngenta ihre Produkte in die Debatten über „klimasichere Landwirtschaft“ einführen. Auch Artikel 6 des Pariser Abkommens kommt den Firmen sehr entgegen: Darin werden „Marktmechanismen“ zur Lösung der Klimakrise vorgeschlagen – obwohl der Clean Development Mechanism (CDM) des Kioto-Protokolls seit 20 Jahren praktisch nichts zum Klimaschutz beigetragen hat.

Auch die schlechte Klimabilanz der internationalen Schifffahrt kommt nicht von ungefähr. Die zuständige UN-Organisation IMO weigert sich seit 20 Jahren, die Emissionen des internationalen Seeverkehrs zu regulieren – obwohl die Schiffe etwa so viel zum Klimawandel beitragen wie Deutschland und Frankreich gemeinsam – Tendenz steigend.

Einen möglichen Grund fand eine aktuelle Studie des britischen Thinktanks „Influence Map“: Demnach lassen sich in der IMO-Vollversammlung mindestens 31 Staaten direkt von Reedereikonzernen vertreten. Alle Fortschritte zur Erreichung eines Klimaziels wurden von den Konzernen und ihren Branchenvereinen abgeblockt. Die Sitzungen und Beschlüsse der IMO sind nicht öffentlich. Das Ignorieren des Klimapro­blems geht selbst manchen Reedereien zu weit.

Die EU, die sich gern als Vorreiter des Klimaschutzes sieht, sieht sich einer massiven Lobbyattacke der Gasindustrie gegenüber. Über 100 Millionen Euro haben die Gaskonzerne in den letzten Jahren in Brüssel ausgegeben, um den Brennstoff in der Langfristplanung der EU zu verankern. Das hat eine Untersuchung der konzernkritischen Gruppe Corporate Europe Observatory ergeben. Europa riskiere damit, „noch einmal 40 bis 50 Jahre abhängig von fossilen Brennstoffen zu werden“, befürchten die Kritiker. Die Gaslobby, darunter Konzerne wie ExxonMobil und Shell, schafften es mit etwa 1.000 Lobbyisten und Anwälten, in drei Jahren 460 hochrangige EU-Vertreter zu treffen. Die Kritiker des großen Gasrauschs dagegen brachten es nach dieser Studie im Vergleich zu den Energiekonzernen nur auf 3 Prozent des Geldes und auf etwa 10 Prozent der Anwälte und der Treffen mit entscheidenden Personen.

Für das UN-Klimasekretariat ist das alles kein Grund, den Lobbyisten ihre begehrten Hausausweise abzunehmen. Solange sich Industrievertreter über einen Branchenverband anmelden und sich an die Hausordnung halten, gebe es keinen Grund, jemandem die Akkreditierung zu entziehen, heißt es offiziell. Einem Klimaaktivisten, der im Plenum der Konferenz für mehr Klimaschutz demonstriert, wird im Zweifel Hausverbot erteilt – gegen einen Lobbyisten, der im Hinterzimmer den Klimaschutz torpediert, wird nichts unternommen.

Das könnte sich mit dem Pariser Abkommen ändern, meint Christoph Bals von der Entwicklungsorganisation Germanwatch. Seit das Abkommen internationales Recht darstelle, könne man jedem den Zugang zu den Klimaverhandlungen untersagen, der offen und eklatant gegen die völkerrechtlich vereinbarten Ziele des Abkommens agitiere.

Transnationale Konzerne haben den Klimaprozess als Geisel genommen

„Man könnte argumentieren, dass er nicht in good trust, also fair, bei den Verhandlungen auftritt, und ihm die Akkreditierung als Beobachter entziehen“, schlägt Bals vor.

Das würde der offiziellen Linie des UN-Sekretariats wider­sprechen, alle Interessengrup­pen gleichberechtigt zu be­han­deln. Schon die frühere Amtschefin Christiana Figueres hatte in ihrer Amtszeit keine Berührungsängste mit der Kohle- und Ölindustrie und sprach auf deren Veranstaltungen. „Sie sind Teil des Problems, also müssen sie auch Teil der Lösung sein“, war ihr Credo. Das gilt noch heute.

Aber die UN sind sensibler dafür geworden, mit wem sie sich einlassen. So sind die Konzerne, die die Bonner Konferenz sponsern, offenbar auf dem Weg zu einer Transformation: Iberdrola etwa erzeugt nach eigenen Angaben 60 Prozent seines Stroms aus Erneuerbaren. Für das Wasserkraftwerk Itaipu wurden zwar 40.000 Menschen umgesiedelt, aber es liefert CO2-freien Strom. Und die Bank PNB Paribas hat gerade beschlossen, aus der Finanzierung von Kohle und von gefracktem Öl und Gas auszusteigen und massiv in Erneuerbare zu investieren.

Nicht alle Umweltgruppen sind begeistert von der Idee, die Vorschriften für Lobbyisten zu verschärfen. Denn erstens zweifeln einige an den Motiven von Staaten wie Ecuador oder Venezuela, die diese Änderungen vorantreiben wollen – oft ist die Politik dieser Regierungen alles andere als transparent und inklusiv. Und zweitens könnten bei einer Neuordnung auch die angestammten Rechte der Öko-Lobbys angezweifelt werden.

Mit den schlagkräftigsten Interessenvertretern der fossilen Energien wird die UNO sich ohnehin nicht anlegen. Denn das sind ihre eigenen Mitglieder. Staaten wie Saudi-Arabien, China, Iran und Venezuela tun alles, um ihre Einnahmen aus Kohle, Gas und Öl zu sichern. Und die US-Delegation hat mit dem direkten Einfluss von Lobbyisten sowieso kein Problem.