„Die Vergangenheit interessiert mich nicht“

Klezmermusik entdeckte Daniel Kahn erst im Alter von 20 Jahren – bei einem Livekonzert in New Orleans. Was der gebürtige US-Amerikaner mit jüdischen Wurzeln da in der Kneipe hörte, klang funky, traurig, lustig und irgendwie jiddisch zugleich. Eine Initialzündung. Denn heute singt Kahn mit seiner Band The Painted Bird selbst alte jiddische Lieder und eigene Stücke, die meist politisch sind. Unpolitische Musik, die gibt es nicht, sagt Kahn, alles sei Ausdruck einer Weltanschauung – auch die Schlager von Helene Fischer

Daniel Kahn in seiner Neuköllner Wohnung: Nach Berlin kam der Klezmermusiker 2005 auch, weil das Leben in der Stadt für Künstler so billig war

Interview Thomas Winkler
Fotos Amélie Losier

taz: Herr Kahn, Ihrem neuen Album haben Sie ein Motto vorangestellt, und zwar den alten SPD-Slogan „Nur die allerdümmsten Kälber wählen ihren Metzger selber.“ Woher kennen Sie den überhaupt als Amerikaner?

Daniel Kahn: Den hat ein Freund zitiert nach der Wahl von Trump.

Mittlerweile hatten auch wir hier eine Wahl, in der die SPD allerdings ziemlich abgeschmiert ist.

Das stimmt. Stattdessen sind ein paar Metzger gewählt worden.

Wer sind die Metzger?

Wissen Sie, wie viele die AfD gewählt haben? Sechs Millionen Deutsche haben diese Partei gewählt.

Macht Ihnen das Angst als Jude?

Angst? Nein, als Jude nicht. Ich bin nicht der Meinung, dass der Antisemitismus in diesem Land etwas Neues ist. (lacht) Aber ich persönlich habe noch keine Veränderung in Deutschland festgestellt. (klopft auf den Küchentisch) Doch ich habe Angst als Mensch. Dass die AfD Teil einer internationalen Bewegung ist, das macht mir Angst. Das ist kein deutsches Problem, das ist ein welthistorisches Problem. Ich sehe keinen großen Unterschied zwischen dem, was hier, in Amerika, in Frankreich oder anderswo in der Welt passiert.

Und was genau passiert da?

Fantasieverlust. Wir träumen nicht mehr, wir haben nur noch Angst. Die Angst schweißt uns alle zusammen, auch wenn wir verschiedene Dinge fürchten. Die einen sagen: Wir fürchten uns vor Flüchtlingen, vor Islamisierung, Kulturwandel und Blabla. Wir – und das ist ein ganz anderes wir – sagen zu diesen Ängsten Blabla, dafür haben wir Angst vor Rassismus, Faschismus, Nationalismus. Aber wir alle wagen es nicht mehr, von einer besseren Welt zu träumen.

Ist das bloß ein Rechtsruck oder stehen wir vor einem Wandel?

Es ist ein Rückruck. (lacht) Ja, klar ist es ein Rechtsruck, aber diese Vorstellung, dass diese Abläufe funktionieren wie ein Pendel, das mal nach links oder nach rechts ausschlägt, ist meiner Meinung nach problematisch. Denn das setzt links mit rechts gleich. Aber es geht um viel wichtigere Fragen wie: Hat der Mensch einen Wert? Gibt es ein Menschenrecht? Diese menschlichen Werte, die werden jeden Tag schwächer. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Solche Ideen zählen weniger und weniger im alltäglichen Diskurs.

Ist dieser Verlust der Grund, warum ihr neues Album, „The Butcher ’s Share“, noch politischer geworden ist als ihre bisherigen Platten?

Sie wirkt vielleicht aktuell, aber der Großteil der Platte ist vor der Trump-Wahl aufgenommen worden. Aber ich glaube generell nicht daran, dass es unpolitische Musik oder überhaupt unpolitische Kunst geben kann. Alles ist politisch, alles ist Ausdruck einer Weltanschauung.

Auch ein Liebeslied ist politisch?

Klar, vor allem Liebeslieder.

Auch Helene Fischer?

Auch Helene Fischer. Auch die ist politisch.

Was ist denn die politische Botschaft von Helene Fischer?

Daniel Kahn

Der Mann: Daniel Kahn wird am 11. 9. 1978 in Detroit geboren, seine Eltern sind liberale Juden, seine Urgroßeltern waren aus Osteuropa in die USA emigriert. Schon mit 12 Jahren beginnt er mit dem Theaterspielen, später studiert er Theater, Literatur und Politikwissenschaften, arbeitet in New Orleans für die Gewerkschaft und zieht 2005 nach Berlin, wo er seitdem lebt.

Der Musiker: In New Orleans entdeckt Kahn den Klezmer, den er fortan in immer wieder wechselnden Formationen bewahrt und zugleich modernisiert. Mit The Painted Bird gründet er seine wichtigste Formation gleich nach der Ankunft in Berlin, für sie gräbt er alte jiddische Lieder aus, aber spielt auch Franz-Josef-Degenhardt oder Arbeiterlieder und schreibt selbst Stücke, die oft historisch sind. Andere Bands, an denen Kahn beteiligt war oder ist, sind Rotfront, The Brothers Nazaroff oder The Disorientalists. Ende November ist das neue Album von Daniel Kahn & The Painted Bird erschienen: „The Butcher’s Share“ (Oriente Musik). Am 15. 12. spielen Daniel Kahn & The Painted Bird ein Konzert im Rahmen von Shtetl Neukölln, dem Festival für jiddische Kultur, in der Werkstatt der Kulturen.

Der Theatermann: Parallel zur Musik arbeitet Kahn weiterhin fürs Theater, in Berlin vor allem für Shermin Langhoff, zuerst am Ballhaus Naunynstraße, nun am Maxim Gorki Theater. Dort ist er nicht nur als Komponist und ­Musikkurator beschäftigt, sondern gelegentlich auch als Schauspieler, so etwa in „Feinde“. Kahn inszeniert und spielt aber auch immer wieder in den USA. (to)

Ich habe sie leider nie gehört. (lacht) Aber auch der Eskapismus, den solche Musik propagiert, hat eine politische Bedeutung. Gerade dass diese Lieder unpolitisch sein wollen, macht sie politisch. Politik heißt doch nichts anderes als: Wie betrachtet man die Welt? Und zu fragen: Welche Wahrheiten werden verbreitet? Welche Machtverhältnisse werden propagiert?

Zugegeben, so gesehen ist alles politisch. Aber Sie machen Musik, die ausdrücklich politisch ist …

Als ich als Teenager die Musik für mich entdeckt habe und Songwriter wurde, habe ich mich sowohl für Punk als auch für Soul interessiert. Und ein Song wie „R.E.S.P.E.C.T.“ von Otis Redding ist keinen Deut weniger politisch als „Nazi Punks Fuck Off“ von den Dead Kennedys. Oberflächlich mag es ein Liebeslied sein, aber gesungen in den sechziger Jahren wird es politisch. Und wenn es eine Frau wie Aretha Franklin singt, dann bekommt es einen Gender-Aspekt und wird noch politischer. Ja, eigentlich geht es um Liebe. Aber der Kampf gegen den Faschismus ist auch ein Liebesdienst.

Aber kann Musik politisch etwas verändern?

Mit meiner Band, The Painted Bird, spielen wir seit zwölf Jahren in sehr verschiedenen Kontexten, an ganz unterschiedlichen Orten. Wir haben uns angewöhnt, am Anfang immer die bösartigen Lieder zu spielen, die Songs, die eher Fragen stellen, als Antworten zu geben. Genau das will ich: Fragen stellen, auch unangenehme. Ein Lied wie „Rosen auf den Weg gestreut“ stellt solche Fragen.

Ein von Hanns Eisler vertontes Gedicht von Kurt Tucholsky, in dem es im Refrain heißt: „Küsst die Faschisten, wo ihr sie trefft.“

Ja, bei mir hat sich mal jemand über das Lied beschwert und mir geschrieben: „Ich bin Antifaschist, und ich finde es keine gute Idee, Faschisten zu küssen. Ich glaube, man muss die bekämpfen.“ Die Geschichte der Welt ist eine Geschichte von Missverständnissen. Und der Humorlosigkeit.

Aber allzu oft ist Musik eben nicht Mittel der Aufklärung, sondern bloß Unterhaltung …

Nein, Musik ist nie nur Unterhaltung. Und natürlich ist auch Unterhaltung wichtig. Musik, Theater oder Kino sind immer noch ein Wunder für mich: Fremde gehen miteinander in einen dunklen Raum, um gemeinsam etwas zu erleben. Das ist und bleibt wunderbar. Selbst das Handy ist toll, weil es Menschen auf der ganzen Welt verbindet und Gemeinschaft schafft. Den unterhaltenden Aspekt von Kunst abzulehnen, das ist prätentiös, das ist Bullshit. Deshalb singe ich nach den unangenehmen Liedern dann auch Lieder, die einfach schön sind, Lieder wie „Arbeter Froyen“…

Ein altes jiddisches Arbeiterlied, ein ungebrochenes Hohelied auf die „Arbeiterfrauen“.

Ich liebe dieses Lied. Die Welt braucht solche Lieder, selbst wenn sie in erster Linie „preaching to the choir“ sind. Natürlich ist Musik oft ein „preaching to the choir“, man rennt offene Türen ein. Aber der Chor braucht bessere Lieder und muss besser singen lernen. Denn der Chor muss stärker werden.

Jede Revolution braucht Lieder, die man auf der Barrikade grölen kann?

Ja, klar. Wir haben vor Kurzem in São Paulo gespielt vor einem Publikum, das vor allem aus der oberen Mittelschicht bestand. Dann haben wir „99%“ gespielt, in dem es um Gentrifizierung und Ungleichheit geht, darum, dass ein Prozent die restlichen 99 Prozent ausbeuten. Anschließend hat mich ein Journalist gefragt, ob es denn nicht komisch wäre, so ein Lied vor so einem Publikum zu spielen, dem es im Vergleich zu anderen in Brasilien sehr gut geht. Ich habe gesagt: Aber auch die gehören nicht zu diesem einen Prozent, auch die obere Mittelschicht gehört zu den 99 Prozent. Wir werden vielleicht nicht alle gleich gefickt, aber wir werden alle gefickt.

Diese alten Arbeiterlieder sind also immer noch aktuell? Seit hundert Jahren hat sich nichts verändert?

Technologisch schon, grundsätzlich nicht. Im Westen gibt es keine industrielle Gesellschaft mehr, aber es gibt auf dieser Welt immer noch Milliarden Menschen, für die die Bedingungen dieselben sind wie im 19. Jahrhundert. Klar kann ich sagen, Gewerkschaften sind eine Idee von vorgestern. Aber Tatsache ist: Milliarden Menschen haben eine Gewerkschaft bitter nötig. Die Idee Gewerkschaft war doch noch niemals zeitgemäß: Das war immer ein Kampf, Leute sind gestorben. Gerade dort, wo sich niemand vorstellen kann, eine Gewerkschaft zu gründen, werden sie am dringendsten gebraucht.

Sie haben in New Orleans für eine Gewerkschaft gearbeitet.

Ja, aber nur kurz. Für eine Gewerkschaft in New Orleans zu arbeiten, das ist wie eine Zeitreise ins 19. Jahrhundert.

Warum nur kurz?

Die öffentlichen Krankenhäuser in Louisiana wurden privatisiert, und wir haben versucht, die Krankenpfleger in der Gewerkschaft zu organisieren.

Und hat es geklappt?

Nein, gar nicht. (lacht) Ja, ich war tief enttäuscht. Und da habe ich gemerkt, dass ich kein guter Organisator werden kann, wenn ich emotional zu sehr involviert bin. Der Job ist es eben nicht, an die gute Sache zu glauben, sondern etwas zu erreichen.

Haben Sie sich aufgrund dieser frustrierenden Erfahrung für die Musik entschieden?

Ich habe die ganze Zeit über parallel Musik gemacht. Und auch noch Brecht in New Orleans auf die Bühne gebracht. Ich habe „Mann ist Mann“ und „Das Elefantenkalb“ in einer Punk-Lagerhalle inszeniert mit Schrottkostümen. Das war 2002, die ersten Tage des Afghanistankriegs, und wir haben dieses Stück von Brecht gespielt, in dem es darum geht, wie man einen normalen Menschen zu einem Mörder macht. Seitdem hat mein Land immer wieder neue Kriege begonnen …

Und Sie sind ausgerechnet in die „Stadt der Mörder“ geflohen.

Jede Stadt ist eine Stadt der Mörder. Aber es stimmt schon: In Berlin wird man an jeder Ecke an den Holocaust erinnert.

Warum sind Sie trotzdem gekommen?

Das wollen alle wissen. Die kurze Antwort: 2005 dachte ich, die politische Lage in Amerika kann nicht noch schlimmer werden. Aber ich war zu optimistisch.

Und die lange Antwort?

Ich war 2005 tief frustriert von Amerika, aber nicht einmal so sehr von der politischen Lage. Sondern eher von der allgemeinen Stimmung. Die Angst saß so tief in den Menschen. Man vergisst das heute angesichts von Trump gern mal, aber es war schlimm in der Bush-Zeit, man vergisst, wie blutig und erbarmungslos die Kriege waren. Und wir leben immer noch in dieser Zeit. Trump ist vielleicht vulgärer, obszöner, spektakulärer, der Umgangston ist vielleicht ein anderer, aber grundsätzlich hat sich nichts verändert, das ist immer noch dieselbe Bewegung. Aber ich habe es schon gesagt: Uns fehlt die Fantasie, dieser Bewegung eine Alternative entgegenzusetzen. Aber selbst das Wort Alternative haben sie uns ja jetzt geklaut. (lacht) Wir haben keine Alternativen zu dieser Alternative.

Und Sie setzen dieser Bewegung Lieder aus der guten alten Zeit, einen linken Neo-Traditionalismus entgegen?

Spielt nicht nur Klezmer: Daniel Kahn

Vielleicht, aber wenigstens ist die linke Tradition eine Antitradition. Aber ich kämpfe jeden Tag mit diesem Dilemma. Mir geht es wie Franz Josef Degenhardt in der zweiten Strophe der „Großen Schimpflitanei“. Kennen Sie das? Ein tolles Lied: „Sprücheklopfer und Ästhet ohne Progressivität, kleiner Hofnarr, Bürgersohn, hast nur Alibifunktion. Konterrevolutionär, Feigling, Spießer, Kleinbürger, auf dem Einzelgängertrip mit der Klampfenpolitik, mieser Traditionalist, dass du bald verrecket bist.“ Das ist die Gefahr, wenn man ein bürgerlicher Protestsänger ist. Es gibt leider kein gutes deutsches Wort für Hypocrisy.

Scheinheiligkeit.

Ja, aber das trifft es nicht ganz. Ihr Deutschen braucht unbedingt ein gutes Wort für Hypocrisy. Aber natürlich: Wenn es nur sentimental um die schöne alte Zeit ginge, dann wäre das schrecklich. Und es stimmt: Die Linke ist viel zu nostalgisch. Aber ich versuche das so zu sehen: Die Vergangenheit interessiert mich nicht. Was mich aber interessiert, sind die vielen verschiedenen Zukünfte, die in dieser Vergangenheit mal möglich erschienen. Und was mich interessiert, ist die Unvergangenheit der Vergangenheit. Denn ich stelle fest, dass die alten Lieder noch taugen, dass ein Lied von 1880 über Frauenrechte heute noch relevant ist, dass in den alten Liedern schon Strategien beschrieben sind, die heute immer noch funktionieren. Wir sind nicht die Ersten, die mit Faschismus, Rassismus, Sexismus, mit Gier oder Krieg konfrontiert sind. Ich singe die alten Lieder nicht, weil es früher besser war, sondern weil es früher auch schon schlimm war. Der Kampf für die gute Sache muss immer weitergehen, denn auch wenn es gerade schlimm ist, wäre es noch schlimmer, wenn vor uns niemand gekämpft hätte. Das ist Widerstand.

War die politische Lage in den USA der einzige Grund, nach Berlin zu kommen?

Natürlich wollte ich auch von der Kunst leben können – und das war hier damals viel einfacher als anderswo, weil Berlin so billig war. Und ein Grund war natürlich: Wenn man Klezmermusik machen will, dann ist man in Deutschland näher dran.

Sie haben die jiddische Kultur aber erst sehr spät entdeckt.

Das Jiddische war immer da, aber nicht präsent. Ich war amerikanischer Jude oder jüdischer Amerikaner, aber das Jüdische war immer nur Hintergrund. Ich komme aus Michigan, aus dem Mittleren Westen, nicht aus New York. Wir waren assimiliert. Das Jiddische war verdrängt. Ich musste zwanzig Jahre alt werden, um Klezmermusik das erste Mal live zu erleben – und das war in einer Kneipe in New Orleans.

Eine Initialzündung?

Ja, ich war hin und weg. Ich dachte: Das ist irgendwie jiddisch, aber toll. Funky und kantig, traurig und lustig. Ich stellte fest, dass ich keine Ahnung hatte von der jiddischen Kulturbewegung, die es seit den 70er Jahren gab. Als ich sie dann entdeckte, war das für mich eine Tür in eine Welt, die mir vertraut und zugleich fremd war. Ich fühle mich noch heute wie ein Emigrant in Jiddischland.

Wie haben Sie Jiddisch gelernt?

Zuerst durch das Hören von Liedern, später durch das Übersetzen von Liedern, dann habe ich die Sprache studiert in New York am Yivo, einem jüdischen Institut. 2005, als ich nach Berlin kam, habe ich zusätzlich mit Deutsch angefangen. Deutsch und Jiddisch gleichzeitig zu lernen verursacht böse Kopfschmerzen. Ich versuche die beiden Sprachen zu trennen. Aber „trennen“ heißt auf Jiddisch „ficken“. Man muss sehr gut trennen, um nicht getrennt zu werden. (lacht)

War der Umzug nach Deutschland auch eine Identitätssuche?

Die Identität hat mich gesucht und gefunden. Ich habe versucht, mir zu folgen. Ich habe versucht, mein Leben so frei wie möglich zu leben, damit ich mir folgen kann. Aber ich habe kein Ziel – und wenn, dann ist das keine heldenhafte Reise ins eigene Ich. Nein, das interessiert mich nicht. Es geht um die Lieder, um Geschichte und um Geschichten. Ich sehe mich gern als Teil eines Gesprächs, als Teil einer Auseinandersetzung.

Diese Auseinandersetzung findet allerdings zum großen Teil in einer sterbenden Sprache statt.

Das ist ein Klischee, ein falsches zudem. Jiddisch ist keine sterbende Sprache, Jiddisch ist modern. Es gibt mehr als eine Million Sprecher, und es werden mehr. Es gibt eine jiddische Weltliteratur, jiddische Poesie und Philosophie, zeitgenössisches Theater und Oper. Rock’n’ Roll auf Jiddisch funktioniert großartig.

Sie fühlen sich nicht als Sachwalter?

Natürlich ist Jiddisch eine historisch verwundete Sprache, sie ist vielleicht etwas einsam, sie braucht mehr Hörer. Aber Jiddisch ist großartig, eine moderne Sprache, in der man alles sagen kann. Man kann auch Sachen sagen, die man in anderen Sprachen nicht sagen kann.

Sind Sie religiös geworden im Zuge ihrer jüdischen Identitätsfindung?

Nein, überhaupt nicht. Aber den Schabbes finde ich eine sehr gute Idee. Ein Tag in der Woche, an dem man nicht arbeitet. Das ist die beste Idee, die die Menschheit je hatte: die Erfindung des Wochenendes. Aber bin ich religiös? Nein. Glaube ich an Gott? Nein. Esse ich koscher? Nur wenn ich muss.