taz🐾thema
: freiwillig helfen

die verlagsseiten der taz

Ella, elle l’a

Benachteiligte Menschen finden erschwert Zugang zu Hilfsmaßnahmen. Besonders krass ist das in den Zonen, die deutlich vom Klimawandel betroffen sind. Rollstuhlfahrerin Ella Bonkongou aus Burkina Faso ist eine davon. Aber sie weiß sich zu behaupten

Mit Rollstuhl braucht sie nur noch vierzig Minuten bis zur Organisation

Von Lea Wagner

Der Nachmittag ist schon fast vorüber, aber die Hitze steht noch immer, an jenem Dienstagnachmittag im März, als wir Ella Bonkongou begegnen. Es ist so heiß, dass wir – eine Gruppe europäischer Journalisten – es nur im Schatten der wenigen Mangobäume aushalten. Eine Kollegin muss sich setzen, der Kreislauf. Da helfen auch die drei Liter Wasser nicht, die wir in uns hineinkippen, in einem Gebiet, wo Wasser knapp ist und Dürreperioden für viele Menschen den Tod bedeuten. Wegen des Klimawandels werden Dürreperioden häufiger.

Ella ist schön. Mit durchgestrecktem Rücken, erhabenem Haupt und stolzem, herausforderndem Blick thront sie in ihrem Rollstuhl und strahlt uns an. Über zwei Stunden hat sie bereits auf uns gewartet, bald muss sie zurück, Abendessen zubereiten. Ihr Heimweg ist lang und beschwerlich.

Das westafrikanische Burkina Faso zählt zu den ärmsten Ländern der Welt: Fast die Hälfte der Bevölkerung lebt laut Weltbank unterhalb der Armutsgrenze, hat also kaum mehr als einen Dollar pro Tag zur Verfügung. Auch Ella Bonkongou lebt in einer ländlichen Gegend: der Provinz Garango, gut zwei Autostunden von der Hauptstadt Ouagadougou entfernt.

Für Ella, 36, ist das Leben besonders hart. Sie ist Epileptikerin und kann bedingt durch eine Hirnhautentzündung im Alter von fünf Jahren nicht laufen. Sie ist nicht allein: Bis zu fünfzehn Prozent der Burkinabé sollen mindestens eine Behinderung haben, schätzt die internationale Hilfsorganisation Light for the World. In Armut lebende Menschen hätten ein deutlich höheres Risiko, behindert zu sein, so die Organisation, die sich um Inklusion in Burkina Faso wie in vielen anderen Ländern weltweit bemüht.

Ella züchtet Mais und Bohnen. Große Erträge hat sie nicht, mit einem Rollstuhl ist es nur schwer möglich, Landwirtschaft zu betreiben. Deshalb stellt sie auch Stoffe her. Sie hat einen kleinen Webstuhl und seit Kurzem auch einen Laden. Den konnte sie sich leisten dank eines Mikrokredits, den ihr eine Frauenrechtsorganisation gewährt hat, die wiederum von Light for the World unterstützt wird. Ohne Kredit hätte sie nie einen Laden eröffnen können; allerdings beträgt der Zinssatz zehn Prozent. Noch hat sie nicht genug verkauft, um den Kredit zurückzahlen zu können. Dennoch verdient sie heute deutlich mehr als früher mit dem bisschen Gemüse, das sie auf dem Markt anbot.

Der Trend geht zur ­Zweitfrau

Ella liebt ihren Laden. Er bedeutet Autonomie für sie, durch ihn ist sie weniger von den Zuwendungen ihres Mannes abhängig. Der hat noch eine zweite Frau. Nicht unüblich in Burkina Faso, wo manche Männer drei oder vier Frauen heiraten. Ella sagt: „Klar nimmt sich ein Mann eine zweite Frau, wenn die andere behindert ist. Die, die mehr arbeitet, liebt er mehr.“ Von der Zweitfrau ihres Mannes muss sich Ella oft beim Wasserholen helfen lassen. „Am Anfang war das schwer zu ertragen“, sagt sie.

Ella trägt ein weißes T-Shirt mit Snoopy-Motiv, ihre schwarzen Haare liegen in Zöpfen um ihren Kopf, ein bunt gemustertes Tuch hält sie zusammen. Sie hat eine kräftige, dennoch weich klingende Stimme. Wenn sie spricht, dann sprechen nicht nur ihre Hände mit – Ella wird dann auch ein Stück weit größer, weil sie sich im Rollstuhl aufrichtet, sobald sie ein Thema bewegt. Die anderen Frauen um sie herum werden dann ganz still, um Ella zu lauschen. Ella ist die Wortführerin der Gruppe, die rund siebzig Mitglieder zählt. Anwesend sind heute um die dreißig, viele mussten irgendwann weg, aber Ella hat auf uns gewartet. Auch weil sie sich bedanken möchte bei Light for the World.

Lange Zeit hatte sie keinen Rollstuhl. Auf allen vieren sei sie gekrochen, erzählt sie. Ein Rollstuhl ist teuer: um die 150.000 westafrikanische Francs, umgerechnet rund 230 Euro. Hätte sie sich nie leisten können. Eine katholische Organisation aus Frankreich hat ihr einen geschenkt. Ihr Leben ist leichter, ihre Wege sind kürzer und weniger beschwerlich. Mit Rollstuhl braucht sie nur noch vierzig Minuten von ihrem Haus bis zur Frauenrechtsorganisation.

Heute Nachmittag haben Ella und die anderen Frauen eine Art Basar aufgebaut, um ihre Ware zeigen zu können: Stoffe, Schals, Taschen, Mäppchen, Bronzestatuen, Schlüsselanhänger, Mangos und Seife. Viele Frauen haben für die Produktion, oder um einen Laden zu eröffnen, einen Mikrokredit erhalten. Die meisten sitzen im Rollstuhl, manche mit Baby im Tragetuch oder auf dem Arm. Die, die laufen können, gehen fast alle am Stock. Auch die Stöcke hat die französische Organisation gespendet. „Vorher sind wir gekrochen, nun gehen wir aufrecht“, sagt eine schüchterne, etwas rundliche Frau mit sanften Augen.

Die Rollstühle und Stöcke haben es ihnen auch ermöglicht, wählen gehen zu können. Für viele war es das erste Mal.

Ellas größter Wunsch ist ein Rollstuhl, der gut fährt – „auch durch Sand“. Ihr Rollstuhl sieht ziemlich behelfsmäßig aus, es ist eine Art Dreirad mit Armlehnen aus rostigem Blech.

Langsam wird das Licht milder, und die Hitze nimmt ein wenig ab, auch wenn es immer knapp vierzig Grad sind, auch am Abend, auch in der Nacht. Bald geht die Sonne unter, und die Natur erscheint weniger lebensfeindlich. Grillen zirpen, Schafe blöken, Kinder quietschen. Es sind die Kinder der Basarfrauen. Wenn sie weinen, werden sie mit einer Mango getröstet, an der sie dann gierig lutschen und sich im Anschluss die Finger ablecken.

Ein Mann legt seine Hand auf Ellas Schulter. Ella blickt nach oben und strahlt noch mehr. Es ist ihr Ehemann. Er ist gekommen, um sie nach Hause zu begleiten.

Und um uns zu sehen. Ella ist stolz. Sie hält seine Hand und streckt die Brust raus und das Kinn nach oben. Der Mann grinst schüchtern und ein wenig spitzbübisch. Neben ihr sieht er fast wie ein kleiner Junge aus. Ein Kind hat sie ihm noch nicht geschenkt, dennoch hofft sie, dass er bei ihr bleibt.

Sieben Kinder bekommen burkinische Frauen im Schnitt. Über die Hälfte der Bevölkerung ist jünger als fünfzehn.

Ella und ihr Mann falten ihre Stoffe und legen sie in einen Korb. Dann ziehen sie los, sie rollend, er neben ihr hergehend, die Schulter auf ihrem Arm.

Die Reise wurde von Light for the World finanziert.