Ignorieren oder skandalisieren

Seit die AfD im Bundestag sitzt, stellt sich für Journalisten erst recht die Frage nach dem richtigen Umgang mit den Rechtspopulisten. Wie machen sie es eigentlich in anderen europäischen Ländern?

Ganz großes Medienecho: Alexander Gauland und Alice Weidel bei einer Pressekonferenz der AfD in Berlin Foto: Hans Christian Plambeck/laif

Imagepflege der Faschisten

Italien

Als Beppe Grillos Movimento 5 Stelle (M5S) im Jahr 2013 mit triumphalen 25 Prozent ins Parlament einzog, rissen sich sämtliche Talkshows um die Neuparlamentarier von der Anti-Establishment-Protestbewegung. Bloß: Die Leute aus der Fünf-Sterne-Truppe hatten überhaupt keine Lust, sich mit Politikern anderer Parteien und Journalisten zu zanken. Dementsprechend wurde die Frage, ob die Medien „Populisten“ eine Bühne bieten dürfen, gar nicht erst gestellt. Und mittlerweile ist sie längst beantwortet.

1991 lud ausgerechnet der stramm linke Moderator Michele Santoro den damaligen Chef der neofaschistischen Partei MSI, Gianfranco Fini, in seinen Talk „Samarcanda“ ein. Luciano Lama, Exvorsitzender des von Kommunisten beherrschten Gewerkschaftsbundes CGIL, fand sich zur Konfrontation bereit. Ein Tabubruch. Dann gewann 1994 Silvio Berlusconi mit seiner Forza Italia die Wahlen. Er selbst kontrollierte die drei größten Privatsender des Landes, die Regierung hatte Zugriff auf die drei Sender der staatlichen RAI – die Frage, ob man Populisten eine Bühne bieten dürfe, war damit ganz von selbst vom Tisch.

Heute dürfen sich selbst die Neofaschisten von Casapound Italia (CPI) über Einladungen zu Fernsehdiskussionen freuen. Und diverse TV-Promis finden nichts dabei, mit Diskussionsveranstaltungen im Casapound-Parteisitz den Faschisten bei ihrer Imagepflege zu helfen. Zitat Enrico Mentana: „Nur Trottel entziehen sich der Auseinandersetzung.“ Und der linke Corrado Formigli lobte, die Rechten hätten „die Spielregeln der Demokratie akzeptiert“ – auch wenn Aktivisten aus deren Reihen mit schöner Regelmäßigkeit wegen Körperverletzung oder Bedrohung politischer Gegner verurteilt werden. Michael Braun

Hype und Erregung

Niederlande

Die Partij voor de Vrijheid (PVV) mit ihrer Galionsfigur Geert Wilders weiß die mediale Klaviatur zu bespielen, so viel ist sicher. Sie macht sich einerseits rar, verweigert Gespräche oder leistet sich die nonchalanteste und unverbindlichste Medienabteilung aller niederländischer Parteien, die zeitweise über Wochen nicht erreichbar ist. Andererseits sind da Wilders’ regelmäßige Tweets, die auch in Ermangelung an anderem Material immer wieder zitiert werden und zudem oft einen hohen Erregungsfaktor haben.

Mit den Jahren hat die PVV, gegründet 2006 und im selben Jahr erstmals ins niederländische Parlament eingezogen, einen Hype nach dem anderen kreiert und konnte damit rechnen, dass jeder Einzelne von den Medien bereitwillig aufgesogen wurde. Das liegt nicht zuletzt an einer tiefen Unsicherheit. Diese resultiert zum einen aus der besonderen Situation, dass Wilders effektiv der politische Nachlassverwalter Pim Fortuyns ist, für dessen Ermordung 2002 noch immer viele Niederländer Medien eine Teilschuld geben, weil sie Fortuyn “dämonisiert“ hätten. Zum anderen fällt es manchen Journalisten schwer, die PVV politisch zu lokalisieren. Das Phänomen einer neuen Rechten, die betont israelfreundlich und nicht oder nicht explizit homophob ist, keine Stiefelglatzen im Gefolge hat und im Laufe der Jahre immer prominenter eine soziale Rhetorik vertritt, entzieht sich so manchen alten Kategorien.

Wie sehr Medien sich bisweilen in den Bann der Partei schlagen lassen, sah man etwa nach den Europawahlen 2014: Damals harrten zahlreiche Journalisten in einer engen Kneipe in Den Haag lange vor Beginn der Wahlparty hinter einem Absperrband aus. Manch einer traute sich wegen des Security-Personals nicht mal an die Bar, um ein Getränk zu kaufen.

Tobias Müller

Information gegen Hetze

Frankreich

Für die französischen Medien ist die Geschichte des rechtsextremen Front National (FN) eine Familiensaga mit schier endlosen Fortsetzungen. Einfach abschalten kann das Publikum aber nicht. Und auch die JournalistInnen können nicht einfach wegschauen, indem sie dieses Phänomen in der politischen Welt ignorieren.

Dennoch werden sie immer wieder beschuldigt, sie hätten das Phänomen FN überhaupt erst fabriziert, indem sie selbst mit kritischen Berichten dieser Randpartei zu einer öffentlichen Tribüne verholfen hätten. Bei diesem Vorwurf wird allerdings übersehen, dass gerade die heute als Rechtspopulismus verniedlichte extreme Rechte ihre eigentliche Kraft nicht aus dem Medienüberbau schöpft, sondern aus den sozialen und wirtschaftlichen Problemen der französischen Gesellschaft – und mehr von der Machtlosigkeit der Staatsmacht oder Unfähigkeit der offiziellen Politik profitiert als vom Medienecho. Dem Argument mancher Le-Pen-SympathisantInnen, dass der FN, der nie die Regierungsverantwortung geteilt hat, die einzig wahre Opposition zum „System“ sei, hatten die Parteien und Medien oft wenig entgegenzusetzen.

Das gilt erst recht für die Linie von Marine Le Pen. Mit einigem Geschick hat sie versucht, den FN als Opfer einer systematischen Verteufelung durch die Medien darzustellen. Sie konnte dabei auch darauf setzen, dass viele extreme Ansichten aus ihrer Parteipropaganda mittlerweile auch von weiten Teilen der konservativen Wählerschaft geteilt werden. Die Medienarbeit zur Entlarvung der rechtsextremen Demagogie wurde dadurch zweifellos etwas komplizierter. An der Notwendigkeit, der propagandistischen Verdrehung und Hetze mit einer systematischen Information zu begegnen, ändert das aber nichts.

Rudolf Balmer

Höhenflug dank Medien

Österreich

Mit einer Art Angstlust und einem Gemisch von Abscheu und Bewunderung haben Zeitungen und elektronische Medien zum Aufstieg der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) beigetragen, seit Jörg Haider 1986 putschartig den Parteivorsitz übernahm. Die Zeitschriften mit Haider auf dem Cover hätten sich „fantastisch verkauft“, sagt Erhard Stackl, der damals für das Wochenmagazin profil schrieb und dann stellvertretender Chefredakteur beim Standard war. Heute, so Stackl, brauche die FPÖ die normalen Medien nicht mehr in diesem Maße, weil sie ihre eigenen habe.

Mit dem Boulevardblatt Kronen Zeitung ging Haider eine Symbiose ein, die beiden nützte. Und auch Haiders Epigone, der heutige FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache, versteht es virtuos, mit der Krone Pingpong zu spielen. Krone-Online-Chef Richard Schmitt hat das vergangenes Jahr in einem Interview mit dem Fleisch Magazin zugegeben: „Wenn Strache einen normalen Bericht von uns auf Facebook teilt, dann merken wir, das haut die Quote auf das 1,5-fache hoch. Und umgekehrt kriegt er natürlich auch mehr Traffic, wenn wir ihn pushen.“

Alexandra Föderl-Schmid, lange Jahre Chefredakteurin der Tageszeitung Der Standard, sagte jüngst auf einem Podium in Berlin, man habe im Umgang mit der FPÖ seit den 1980er Jahren alles versucht – sie ignorieren, sie ausschließen, sie einladen, sie konfrontieren –, sei aber mit allem gescheitert. Die Berichterstattung, auch die negative, habe die FPÖ nie geschwächt. Inzwischen habe sie ihr eigenes Mediensystem aufgebaut, und die etablierten Medien hätten nun das Nachsehen, weil es nun so aussieht, als würden sie die FPÖ nicht zu Wort kommen lassen – dabei bekommen sie einfach keine Interviews mehr.

Ralf Leonhard

Blick nach Dänemark

Schweden

Die richtige Balance beim Umgang mit den Schwedendemokraten zu finden ist seit Jahren ein Dauerthema in der schwedischen Mediendebatte. Auf keinen Fall wollte man den Fehler Dänemarks wiederholen, wo sich die Parteien für parlamentarische Mehrheiten von Anfang an gern auf die Rechtspopulisten gestützt und die Medien der Dänischen Volkspartei bereitwillig als Resonanzboden gedient hatten. Resultat: Die Partei war bereits 2001 mit 12 Prozent drittstärkste Kraft im Folketing geworden. „God natt Danmark!“, kommentierte damals die Tageszeitung Dagens Nyheter: Gute Nacht, Dänemark!

Schweden wollte es besser machen. Zum Wahlsonntag 2010 zierte die Titelseite des Stockholmer Expressen ein zerknülltes Plakat der Schwedendemokraten und ein fettes „NEJ!“. Vier Jahre später ein „Stimmt Nein zum Rassismus!“ über die gesamte Frontseite. Und Aftonbladet, Schwedens auflagenstärkste Zeitung, akzeptierte keine Wahlanzeigen dieser Partei – sie will es auch 2018 nicht tun.

Nimmt man das Wahlresultat als Maßstab, half die klare Kante aber nicht viel. Die meisten Medien hätten ihre Ablehnung der Schwedendemokraten wirklich nicht verhehlt, meint der Göteborger Journalistik-Professor Jesper Strömbäck. Trotzdem hätten sie dazu beigetragen, die Partei groß zu machen, indem sie ihr Aufmerksamkeit widmeten – wenn auch negative.

Was man der Mehrheit der schwedischen Medien aber zugutehalten kann: Sie haben bislang nicht den Fehler Dänemarks begangen, wo, so der Sozialpsychologe Lars Dencik, eine „Debattenkultur ohne Grenzen“ herrsche, sich die Presse an die „offen vulgäre Rhetorik“ der Rechtspopulisten angepasst und deren fremdenfeindliche und rassistische Aussagen „unkritisch weitervermittelt“ habe.

Reinhard Wolff