„Ich habe Prügel einstecken müssen“

Der frühere Nationaltorhüter Andreas Thiel spricht über die Grenzen des Frauenhandballs

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Andreas Thiel

57, trug als Handballnational­torhüter (256 Länderspiele) wegen seiner Reflexe den Beinamen „der Hexer“. Heute arbeitet er als Rechtsanwalt.

Interview Johannes Kopp

taz am wochenende: Herr Thiel, wie intensiv verfolgen Sie die Frauenhandball-WM?

Andreas Thiel: Intensiv. Mit Ausnahmen des Spiels gegen China habe ich alle Partien der Deutschen gesehen. Beim Auftaktspiel gegen Kamerun war ich vor Ort in Leipzig.

Wie waren Ihre Eindrücke?

Es war richtig, die Vorrunde an Leipzig, einen traditionellen Handballstandort, zu vergeben. Die Halle war voll, die Stimmung gut.

Und wie fällt ihre sportliche Vorrundenbilanz aus?

Wir haben gut verteidigt, vorne haben wir noch Entwicklungspotenzial. Die Verletzung von Kim Naidzinavicius im Auftaktspiel war fatal. Auch angesichts anderer Ausfälle ist es nachvollziehbar, dass spielerisch nicht alles Zucker war.

Der Erfolgsdruck ist immens. Bob Hanning, der Vizepräsident des Deutschen Handballbundes, sagte, das Turnier sei die letzte Chance für den Frauenhandball.

Das ist dem klaren Fokus von Hanning auf den Männerhandball geschuldet. Unabhängig vom WM-Abschneiden wird der Frauenhandball in Deutschland weiter mit seinen regionalen Traditionsstandorten in der württembergischen Gegend, Leverkusen, Leipzig, Buxtehude und anderswo bestehen bleiben.

Sie machen sich keine Sorgen?

Andreas Michelmann, der DHB-Präsident, hat das Ziel für 2024 ausgerufen, mit den Männern Olympiasieger zu werden und mit den Frauen eine Medaille zu holen. Dann muss weiter gefördert werden, auch wenn das Team im WM-Achtelfinale ausscheiden sollte.

Bob Hanning hat in seiner Funktion als Manager der Füchse Berlin beim Rückzug des Frauenteams aus der Bundesliga auch gesagt, es werde immer über Gender geredet. Fakt sei, es gebe weder ein Zuschauer- noch Sponsoreninteresse am Frauenhandball.

Ich habe kürzlich dafür Prügel einstecken müssen, weil ich gesagt habe, dass die Frauen weiter nur regional Aufmerksamkeit generieren werden – ganz egal wie sie bei der WM abschneiden.

Wer hat sich daran gestört?

Herr Michelmann sagte, dass ich dummes Zeug erzähle. Im Grunde hat sein Vizepräsident, wie ihr Zitat zeigt, nichts anderes erzählt. Das ist aber nicht nur ein handballspezifisches Phänomen. Der gesamte Frauen­spielsport hat in Deutschland keine bundesweite Aufmerksamkeit. Für die WM hat der Verband aber gute Bedingungen geschaffen.

Und darüber hinaus?

Was soll ich sagen, ohne wieder in einen Fettnapf zu treten. Es ist schade, dass die Mädels nicht die Nr. 1 beim Verband sind, aber das erklärt sich aus der Einnahmesituation. Der Verband generiert sein Geld hauptsächlich mit dem Männerteam. So lange wie das Frauenteam ordentlich mitläuft, ist das alles auch in Ordnung.

Wie sind Sie zum Frauenhandball gekommen?

Als ich 2000 meine Karrie­re beendet habe, fragte mich Renate Wolf, die Trainerin von Bayer Leverkusen, ob ich nicht als Torwarttrainer anfangen wolle.

Sie sind immer noch dabei. Warum?

Es hält mich im Kopf jung. Mittlerweile könnten das ja alles meine Kinder sein. Und es erinnert mich viel an meine Anfangszeit in Gummersbach. Die Frauen investieren unglaublich viel, um neben ihrer Vollzeitarbeit oder Studium noch Leistungssport zu betreiben. Da kann ich nur meinen Hut davor ziehen.

Was sagen Sie als früherer Torwart zu den Leistungen der Torhüterinnen?

Wir sind auch im Frauenhandball oberste Liga in der Welt. Das ist ein deutsches Phänomen. Das liegt womöglich an der guten Ausbildung. Was Katja Kramarczyk bei der WM bislang gehalten hat, ist internationales Spitzenniveau. Und mit der 22-jährigen Dinah Eckerle steht schon die nächste große Torhüterin bereit.