Winter is coming

Auf einmal kochen alle wieder Marmelade selbst und fermentieren ihre Möhren. Was passiert mit den Nahrungsmitteln, wenn wir sie auf traditionelle Weise haltbar machen?

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Das Leben in den Tropen ist viel bunter. Und wärmer. Auch großzügiger: Immer wächst irgendwas. Bis zu vier Reisernten im Jahr, frisches Gemüse zu jeder Zeit, Früchte sowieso.

In der gemäßigten Klimazone mit ihren Jahreszeiten ist das nicht so. Hier legt die Vegetation knapp die Hälfte des Jahres eine Ruhepause ein. Es ist nicht nur kalt und dunkel, es wächst auch kaum etwas. Essen und Vitamine brauchen wir trotzdem.

Wie geht das? Das Salz soll möglichst an alle Stellen und Zellen der Lebensmittel. Dazu werden sie in Gefäße geschichtet, dazwischen wird viel Salz gestreut. Am Ende wird das Ganze von oben beschwert.

Warum macht es haltbar? Salz liebt Feuchtigkeit und zieht sie aus den Lebensmitteln. Wo kein Wasser ist, da fehlt die Lebensgrundlage für Bakterien und Pilze. Außerdem entsteht eine Salzlake, die per Osmose Zellflüssigkeit aus Schadorganismen zieht und sie abtötet.

Was wird eingesalzen? Alles, was herzhaft ist: Eier werden dadurch zu Soleiern, Schinken wird gepökelt. Mit Oliven, Kapern und Zitronen geht es auch. Enthält das Lebensmittel aber viel Stärke, könnte es zu gären beginnen.

Und sonst so? Gibt man Nitrit und Salpeter hinzu, nennt man das Salzen „Pökeln“. Durch die Zusätze bleibt Fleisch auch beim Erhitzen rosarot, wie etwa Kassler. Außerdem wird die Ausbreitung des Bakteriums Clostridium botulinum verhindert.

Heute ist das einfach. Flugzeuge und Schiffe bringen uns frisches Grün aus anderen Weltregionen, es gibt Konserven- und Tütennahrung und vor allem natürlich den Kühlschrank und das Eisfach. Doch die Konservendose wurde erst im 19. Jahrhundert erfunden. Es dauerte Jahrzehnte, bis die Menschen Vertrauen in diese neue Technologie fassten, die lange mit dem Risiko einer Bleivergiftung behaftet war. Kühl- und Eisschränke sind gar erst seit 50 bis 80 Jahren verbreitet.

Unsere Vorfahren kannten andere Wege, um durch den Winter zu kommen, um eine längere Schiffsreise zu überstehen oder die Ausbeute von erfolgreichen Jagd- und Fischzügen haltbar zu machen. Sie kannten viele Techniken, um Nahrungsmittel zu konservieren: pökeln, salzen, räuchern, einlegen, einkochen, trocknen, dörren, kandieren, fermentieren … Wurde etwas vergessen?

Einkochen

Wie geht das? Gläser – vorher sorgfältig sterilisieren! – werden mit Einmachgut gefüllt, verschlossen und im Wasserbad, im Backofen oder in speziellen Einkochautomaten durcherhitzt.

Warum macht es haltbar?Die Hitze tötet Keime, allerdings nur für den Moment. Durch die Erhitzung dehnen sich Luft und Wasserdampf im Glas aus, beim Abkühlen ziehen sie sich wieder zusammen, ein Vakuum entsteht. Bis das Glas geöffnet wird, ist es abgeschirmt von Bakterien. Das alles bringt aber nichts, wenn man die Gläser nicht vorher sterilisiert hat.

Was wird eingekocht? Vor allem Obst und Gemüse, es geht aber auch mit Fleisch. Wichtig ist, dass die Lebensmittel nicht zu hitzeempfindlich sind, das Einkochen tötet viele Vitamine.

Und sonst so? Die Wörter „einwecken“ und „Weckglas“ sind abgeleitet von dem Namen des Unternehmers Johann Carl Weck, der das Verfahren in Deutschland einführte.

Die Idee ist immer die gleiche: Lebensmittel sind organische Dinge und damit permanent im biologischen Zerfall begriffen. Der kommt von außen, durch Bakterien, (Schimmel-)Pilze, Kleinstlebewesen, aber auch von innen: Autolyse nennt man die in Organismen eingebauten Selbstzerstörungsprogramme. Bei alldem verliert das Essen an Nährstoffen und Geschmack, wird ungenießbar und im schlimmsten Fall sogar giftig. Ganz stoppen kann man diesen Verfall nicht, aber verlangsamen, das geht. Man kann die Schadorganismen töten, ihnen den Kontakt verwehren oder die Bedingungen in den Speisen so verändern, dass Bakterien sich dort nicht mehr wohl fühlen.

Wie geht das? Zuvor gesalzene Nahrungsmittel werden in Holzrauch gehängt. Zur Konservierung dient vor allem langes „Kalträuchern“ bei Temperaturen von bis zu 30 Grad im Ofen. „Heißräuchern“ (50 bis 80 Grad) ist eher ein Kochprozess. Nebenbei bekommt das Essen besondere Geschmacksnoten.

Warum macht es haltbar?Der Rauch enthält diverse antimikrobielle Verbindungen wie Formaldehyd oder Phenole. Zudem sorgt er für eine Art Imprägnierung, weil er die Oberfläche des Räucherguts härter macht. Auch der Wassergehalt wird beim Räuchern gesenkt, genau wie durch das vorherige Salzen oder Pökeln.

Was wird geräuchert?Vor allem Fisch, Würste und Fleischstücke, die dadurch zu Speck und Schinken werden. Aber auch Tofu, Käse oder Gemüse lassen sich räuchern, ja sogar Gerstenmalz, aus dem dann das Rauchbier gebraut wird.

Und sonst so?Früher, als es noch keine Kamine und Schornsteine gab, räucherten die Bauern in Mittel­europa direkt unter der Zimmerdecke. Um Fleisch zu räuchern, wird übrigens gern Obstbaumholz empfohlen. Für Fisch dagegen ist Laubholz besser geeignet.

Derzeit erleben all diese Techniken eine Renaissance. Denn viele Menschen fühlen sich entfremdet von der Natur, eben auch infolge der industriellen Nahrungsmittelproduktion. Sie wollen keine Tüten- oder Fertignahrung, sie wollen, was sie essen, wieder selbst anbauen, ernten, kochen, herstellen, spüren, mit den eigenen Händen, wie früher. Und regional soll es sowieso sein.

Wie geht das? Gemüse wird klein geschnitten und gesalzen, bis Saft austritt. Dann wird es – falls nötig – mit Wasser bedeckt, dazu kommen Kräuter und Gewürze für den Geschmack. Dann heißt es abwarten und beim Gären zuschauen. Das kann Tage oder Wochen dauern.

Warum macht es haltbar?Milchsäurebakterien wandeln den Milch- oder Fruchtzucker in Milchsäure um. Das Salz hilft, diese Zucker aus den Zellen zu lösen. Der pH-Wert sinkt, ein saures Milieu entsteht, das für viele Schadorganismen ein No-Go ist. Man kann die Bakterien gezielt zusetzen, oft sind sie aber auch schon in den Lebensmitteln vorhanden. Sie sind anaerob und arbeiten nicht an der Luft.

Was wird fermentiert? Gemüse, wobei sich härtere Sorten am besten eignen. Zu den berühmtesten Fermentationsprodukten gehören Sauerkraut aus Weißkohl und Kimchi (s. Seite rechts).

Und sonst so? Weil fermentiertes Gemüse nicht gekocht werden muss, bleiben fast alle Nährstoffe und Vitamine erhalten, und probiotisch ist der Spaß auch noch. Übrigens spielt die Fermentation auch bei der Herstellung von Käse, Bier und Schokolade eine Rolle – aber das ist eine andere Geschichte.

Die Natur gibt das Tempo vor. Und Sterneköchinnen, Foodblogger, Späthipster, alle folgen ihr. Michael Brake