„Wir Daytrader sind keine schlechten Menschen“

Etwa 10.000 Menschen wetten in Deutschland privat auf Aktienkurse. Sie bräuchten einen verbindlichen Börsenführerschein, sagt Finanzprofi Andreas Mueller

Foto: privat

Andreas Mueller,

geboren 1977 in Thüringen, interessierte sich schon mit 14 für Finanzmärkte. Der Betriebswirt ist einer der kommunikativsten Daytrader. Er bloggt auf www.bernecker1977.de.

taz: Herr Mueller, der Angeklagte in Dortmund soll versucht haben, mit dem Anschlag den Kurs der BVB-Aktie zu beeinflussen, um damit ein Vermögen zu verdienen. Er war offenbar als privater „Daytrader“ aktiv. Was sind das für Leute, wie funktioniert das?

Andreas Mueller:„Daytrading“ bedeutet so viel wie „Tageshandel“. Kurz gefasst, handelt es sich um Wetten auf Kursschwankungen. Ich mag das Wort „Wette“ aber nicht, bezeichne es lieber als das spekulative Beobachten von Preisentwicklungen. Ein Daytrader beschäftigt sich nicht zwingend nur mit Aktien, sondern auch mit Optionen, Futures oder Währungsgeschäften. Wenn es gut läuft, kann er damit in kürzester Zeit deutliche Gewinne machen, manchmal sogar binnen weniger Minuten, das nennt man „scalpen“. Es funktioniert genauso, wie es auch die großen institutionellen Anleger machen, Fonds-Gesellschaften zum Beispiel.

Nur, dass einzelne, freiberufliche Daytrader wie Sie ganz allein zu Hause vor ihren Computern sitzen. Angeblich gibt es rund 70.000 Menschen bundesweit, die damit ihren Lebensunterhalt verdienen.

Einen Computer braucht man dazu nicht mehr, ich selbst erledige die meisten Geschäfte längst über mein Smartphone. Die Zahl 70.000, die immer wieder kursiert, ist falsch, sie umfasst wohl eher die Summe aller Daytrading-Konten, die in Deutschland registriert sind. Betrieben werden diese aber nur von etwa 10.000 Personen, fast ausschließlich Männern. Nicht alle sind ausgebildete BWLer, ich kenne auch Mechaniker, Lehrer, Menschen aus ganz verschiedenen Berufsgruppen, die das Traden zu ihrem Brotjob gemacht haben.

Es sind also Laien, die den Großanlegern Konkurrenz machen?

Generell hat jeder die Möglichkeit dazu. Man muss sich bei einer Handelsplattform, einem Onlinebroker anmelden. Große Anbieter wie Comdirect, eine Commerzbank-Tochter, bieten diesen Service ohnehin auch für Privatpersonen an. Aber sie verlangen hohe Gebühren. Geübtere Daytrader nutzen günstigere Plattformen, bei denen man ganz auf sich selbst gestellt handeln muss. Wenn man das ernsthaft betreiben, gar davon leben will, braucht man nicht nur Disziplin und Konzentration – sondern auch Zeit. Meine Arbeitstage richten sich nach den Börsen. Das Xetra-Handelssystem, auf dem die meisten Werte gehandelt werden, ist werktags von 9 bis 17.30 Uhr geöffnet. Das sind dann auch meine Arbeitszeiten.

Zahlen Sie denn eigentlich Steuern?

Ja, natürlich. Wie jeder Freiberufler muss ich Einkommensteuer abführen, hinzu kommt die Kapitalertragssteuer. In der Szene gilt der Erfahrungswert 90-90-90: 90 Prozent der Daytrader verlieren 90 Prozent ihrer Einlagen innerhalb von 90 Tagen. Manche haben sich damit ruiniert. Man braucht eine starke Psyche, muss sich kontrollieren können. Oft denke ich: Es müsste so etwas wie einen verbindlichen Börsenführerschein geben.

Neben Journalist*innen und Politiker*innen zählen Spekluant*innen zu den Berufsgruppen mit dem schlechtesten Image. Wie gehen Sie damit um?

Inzwischen recht gelassen. Der Handel mit Wertpapieren ist legal, gesetzlich geregelt – und er pumpt Liquidität, Bewegung in die Märkte. Es gibt, wie in allen Branchen, auch schwarze Schafe, klar. Was den Prozess in Dortmund angeht: Die Tötung von Menschen in Kauf zu nehmen, um davon zu profitieren, ist absolut indiskutabel. So wie Lkw-Fahrer nichts dafür können, dass Terroristen mit Lkw Menschen töten, so können Daytrader nichts dafür, dass es zu diesem Anschlag kam. Wir sind keine schlechten Menschen.

Interview Katja Kullmann