„Es gibt quasi kein Entrinnen“

Fotofahndung nach G20-Gegnern

Von Marco Carini

Am vergangenen Montag entschloss sich die Hamburger Polizei die umfangreichste Foto-Fahndung aller Zeiten zu starten, um mutmaßliche Straftäter im Zusammenhang mit dem G20-Gipfel zu identifizieren. Sie veröffentlichte die Bilder von 104 potentiellen GewalttäterInnen und PlünderInnen, für jede Bildveröffentlichung hat sie einen richterlichen Beschluss in der Tasche. Fast alle Hamburger Printmedien drucken die Fahndungsfotos ab, flankiert von Texten, die die Unschuldsvermutung die für jedeN BeschuldigteN gilt, außer Acht lassen. So hebt die Bild-Zeitung das Foto einer – wie sich später herausstellt, 17-jährigen Hamburgerin – auf ihre Titelseite und bezeichnet die junge Frau als „Krawall-Barbie“.

Die Mammut-Fahndung löst geteilte Reaktionen aus. Foto-Fahndungen sind laut Strafprozessordnung das letzte Mittel, um jemanden, der verdächtigt wird, eine schwere Straftat begangen zu haben, ausfindig zu machen. Es ist beispiellos, dass eine solche Fahndung, die das Recht am eigenen Bild massiv einschränkt, nicht nur bei Mord oder schwerem Raub, sondern auch bei Vorwürfen wie Landfriedensbruch und versuchter Körperverletzung eingesetzt wird, zudem Minderjährige per Massen-Steckbrief gesucht werden.

Die Linke verurteilt die Massenfahndung als „kriminalisierend, stigmatisierend und vorverurteilend“, der Hamburger Justizsenator Till Steffen (Grüne) verteidigt die Fahndung im Grundsatz, warnt aber zugleich: „Durch Facebook, Twitter, Instagram und Co wird eine Öffentlichkeitsfahndung zu jeder Tages- und Nachtzeit allgegenwärtig. Es gibt quasi kein Entrinnen.“ Auch Hamburgs Datenschutzbeauftragter Johannes Casper kritisiert, „als massenhaft einzusetzende Standardmaßnahme für die Strafverfolgung sei die Öffentlichkeitsfahndung gerade im Internetzeitalter nicht angemessen“.

Die Polizei hingegen feiert sie als Erfolg: Innerhalb von vier Tagen hat sie über 200 Hinweise auf die Gesuchten erhalten, neun von ihnen wurden eindeutig identifiziert oder stellten sich selbst der Polizei.