Präsident Erdoğans neuestes PR-Desaster

Ein US-Gericht befindet einen staatsnahen türkischen Banker für schuldig, die Iran-Sanktionen umgangen zu haben. Ankara ist empört und sieht darin den langen Arm der Gülen-Bewegung

Diese Zeichnung aus dem Gerichtssaal in New York zeigt den schuldig gesprochenen Mehmet Hakan Atilla mit seiner Frau Foto: dpa

Aus Istanbul Jürgen Gottschlich

„Beispiellose Einmischung in unsere inneren Angelegenheiten“, „gefälschte Beweise“, gar ein „Coup“ gegen die Türkei – die Regierung in Ankara ist empört, dass die US-Justiz es trotz aller Proteste und diplomatischer Demarchen gewagt hat, das Land wegen illegaler Iran-Deals an den Pranger zu stellen.

Noch vor wenigen Tagen hatte Präsident Recep Tayyip Erdoğan sich gegenüber türkischen Journalisten überzeugt gezeigt, dass das Gericht in New York den früheren stellvertretenden Chef der staatlichen türkischen Halk-Bank, Mehmet Hakan Atilla, freisprechen werde. Doch Mittwochnacht verkündete die New Yorker Jury nach tagelangen Beratungen, Atilla sei in fünf von sechs Anklagepunkten schuldig, darunter Bankbetrug und Täuschung der US-Aufsichtsbehörden. Das Strafmaß werde Anfang April verkündet.

Dieses Urteil ist für die Türkei nicht nur ein öffentliches Desaster. Abgesehen davon, dass Mehmet Hakan Atilla vermutlich für Jahrzehnte ins Gefängnis muss, wird das Gericht wohl milliardenschwere Geldstrafen gegen die Halk-Bank verhängen. Nach Befürchtungen von Experten könnte dies das türkische Bankensystem ins Wanken bringen.

Doch neben diesen ökonomischen Auswirkungen hat das Urteil auch eine erhebliche politische Dimension. Es bestätigt praktisch die enormen Korruptionsvorwürfe, die Ende 2013 von türkischen Staatsanwälten gegen die Chefs der Halk-Bank, aber auch mehrere Minister und letztlich auch gegen den damaligen Ministerpräsidenten Erdoğan selbst erhoben wurden.

Danach soll Erdogan gebilligt haben, dass staatliche türkische Banken dem iranisch-türkischen Geschäftsmann Reza Zarrab dabei halfen, dass Sanktionsregime gegen den Iran zu umgehen und damit Milliarden zu verdienen. Im Zentrum des ganzen Skandals stand und steht immer noch die schillernde Figur des Gold -, Öl- und Gashändlers Reza Zarrab. Mit Verbündeten in der iranischen Regierung baute er ein System auf, mit dem Iran trotz der westlichen Sanktionen sein Öl und Gas über die Türkei auf den Markt bringen konnte und dafür in Goldbarren bezahlt wurde.

Damit das Geschäft lief, zahlte Zarrab an türkische Minister und Bankiers Hunderte Millionen Dollar Schmiergeld, wie er in dem Prozess in New York darlegte. Dafür musste er nicht selbst auf die Anklagebank, sondern durfte als Kronzeuge auftreten. Deshalb war es dann Mehmet Hakan Atilla allein, der auf der Anklagebank saß. Weitere Beschuldigte leben in der Türkei, sind aber für die US-Justiz nicht greifbar.

Reisediplomatie Am Samstag besucht der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu „seinen Freund“ Sigmar Gabriel in Goslar, um die gegenseitigen Beziehungen wieder ins Lot zu bringen. Am Tag zuvor trifft Präsident Recep Tayyip Erdoğan in Paris den französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Angesichts der Probleme mit den Vereinigten Staaten will die Türkei zumindest das Verhältnis zur Europäischen Union kitten. (JG)

Erdoğan hatte 2013 die gesamten Korruptionsermittlungen als angebliches Komplott gegen seine Regierung bezeichnet und alle Ermittlungen niederschlagen lassen. Tatsächlich gehörte der Großteil der Ermittler und Staatsanwälte zum Netzwerk der islamischen Gülen-Sekte, mit der sich Erdoğan nach jahrelanger enger Zusammenarbeit gerade überworfen hatte. Aus Sicht der türkischen Regierung war der Prozess deshalb nichts anderes als die Fortsetzung eines Gülen-Komplotts.

Erschwerend kommt aus türkischer Sicht hinzu, dass nach dem „Korruptionskomplott“ die Gülen-Sekte im Juli 2016 den gescheiterten Militärputsch initiierte, während ihr Chef, Fethullah Gülen, unbehelligt in den USA lebt. Die US-Behörden weigern sich aus Sicht der Türkei nicht nur bis heute, Fethullah Gülen auszuliefern, sondern haben jetzt auch noch auf Basis der damaligen Gülen-Ermittlungen die Türkei wegen Umgehung der Iran-Sanktionen verurteilt.

Für Präsident Erdoğan ist das ein klarer Affront. Vize-Ministerpräsident Bekir Bozdağ erklärte deshalb am Donnerstag, der Schuldspruch habe die Beziehungen der Türkei zu den USA ernsthaft beschädigt. Auf Twitter fügte Bozdağ hinzu, die Entscheidung sei der Beweis dafür, dass die USA, ihr Geheimdienst CIA und das FBI mit dem Netzwerk der Gülen-Sekte zusammenarbeiten. Indirekt beschuldigt Bozdağ damit die US-Regierung, an dem Putschversuch im Juli 2016 beteiligt gewesen zu sein – keine guten Aussichten für eine Verbesserung der Beziehungen der beiden Nato-Partner.