Marina Mai über Korruptionsbekämpfung in Vietnam
: Ein inszenierter Prozess

Vietnams Wirtschaft brummt. Der Lebensstandard der meisten Menschen hat sich nicht nur spürbar verbessert, das Land wurde geradezu in eine andere Entwicklungsstufe katapultiert. Statt über das Telefon beim Dorfbürgermeister, an dem man vor zwanzig Jahren ein paar Stunden anstehen musste, kommuniziert man heute über das Internet. Internationale Investoren und Touristen strömen ins Land. Und doch ist die regierende Kommunistische Partei so sehr um ihr Machtmonopol besorgt, dass sie nicht vor einer Entführung zurückschreckt, um einen entlaufenen Funktionär wegen eines Wirtschaftsdeliktes vor Gericht zu zerren. Wovor haben die Machthaber Angst?

Korruption heißt das Übel der vietnamesischen Gesellschaft. Wer eine Baugenehmigung haben will, sollte vorher den Beamten, der die Genehmigung ausstellt, persönlich gegen gute Bezahlung mit der Bauzeichnung beauftragt haben. Wer ein Bett in einem staatlichen Krankenhaus braucht, tut gut daran, ein paar Geldscheine oder gute Schuhe für die Frau Doktor über den Tisch zu reichen.

Das ärgert viele Vietnamesen und das hat auch Nguyen Phu Trong, der Vorsitzende der Kommunistischen Partei Vietnams erkannt. Er ist ein innenpolitischer Hardliner und der quasi mächtigste Mann im Staat.

Doch statt eine unabhängige Justiz, ein Mehrparteiensystem und Pressefreiheit zuzulassen, wodurch korrupte Beamte wirkungsvoll kontrolliert werden könnten, täuscht er vor, die Kontrolle selbst in die Hand zu nehmen. Alle paar Tage wird ein neuer korrupter Spitzenfunktionär entlassen oder vor Gericht gestellt und Trong verspricht dem Volk, damit etwas gegen die Korruption zu tun. Zufall, dass das oft politische Konkurrenten von ihm waren?

Keine Frage, sein Vorgehen gegen „die Verbrecher“ und selbst die Todesstrafe bedienen in Vietnam das „gesunde Volksempfinden“. Dieser Populismus erinnert an andere autokrate Staatschefs wir Putin, Erdoğan oder afrikanische Diktatoren.

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