Der Knopf an ihrer Bluse

Kurz und schmerzlos – Uraufführung von Roland Schimmelpfennig im Deutschen Theater Berlin

Von Katrin Bettina Müller

Eine Partitur für die Magie des Theaters: Vielleicht lässt sich das neue Stück, das Roland Schimmelpfennig für das Deutsche Theater in Berlin geschrieben hat, so am besten zusammenfassen. Denn wenn man versucht, die Geschichte zu erzählen, dann fällt „Der Tag, als ich nicht mehr ich war“ leicht in sich zusammen wie ein Soufflé, dessen Zutaten äußerst banal sind. In einem Häuschen am Stadtrand, noch immer nicht abbezahlt, leben er und sie, Eltern von Zwillingen, und träumen manchmal von einem anderen Leben. So spielerisch aber und so märchenähnlich, wie die Regisseurin Anne Lenk dies auf eine fast zum Kasperletheater verkleinerte Bühne bringt, wird daraus ein lockeres und luftiges Stück, das an keiner Stelle behauptet, mehr zu sein, als es scheint.

Roland Schimmelpfennig schreibt seit fast zwanzig Jahren nicht nur viele Dramen, die häufig gespielt werden, er hat in 2016 und 2017 auch zwei Romane herausgebracht. Wie er mit seinen meist einfach gebauten Sätzen die Fantasie von Leser und Zuschauer an die Hand nimmt und ihn – eins, zwei, drei, hast du’s nicht gesehen – in eine Vorstellungswelt hineinführt, in ein Haus, eine Stadt, ein Leben, mit ein paar Sätzen hingepinselt, das verbindet seine Romane und seine Dramen.

Die Rollen im Theater leben von Behauptungen, a oder b oder x zu sein. Dass daraus selbst ein Thema wird, eine Metapher für die Fragilität von Identitätskonstruktionen, ist eine alte Geschichte für das Theater, von Kleist in seinem Drama „Amphitryon“ bearbeitet. Schimmelpfennigs „Der Tag, als ich nicht mehr ich war“ wirkt wie eine kleinbürgerliche Variante der Geschichte, in der Ehemann und Ehefrau eines Abends von Doppelgängern ihrer selbst besucht werden, die ungeniert das wilde Leben führen, das er als Angestellter und sie als Hausfrau als Sehnsucht oder Wunschbild tief in sich vergraben haben.

Die Schauspieler erzählen und spielen nun mit der gleichen Intensität, was passiert ist und was nicht passiert ist, sie folgen im Spiel der eigenen Erzählung oder weichen von ihr ab, sodass sich aus jeder noch so kleinen und alltäglichen Situation, wie dem Zubettgehen, Varianten entwickeln. Sie sehen ihre Doppelgänger, sie erschrecken und wundern sich dar­über oder nicht, sie ignorieren ihn, sie arrangieren sich mit ihm. Dies geschieht jeweils in wenigen Sätzen, und diesem wendigen Pingpong zu folgen macht ein Vergnügen des Zuschauens aus, ganz wie im guten Boulevard.

In den Stoff, aus dem das Leben ist, scheinen plötzlich viele Taschen eingenäht, die jeweils andere Verläufe bereithalten. Dass die Möglichkeiten des Anderssein, die bis zu dieser Nacht ungelebten Träume von ihm und ihr, von ihrem bis dahin geführten Leben nicht weiter entfernt sind als die Hafenbar von ihrem Haus, macht die Sache anrührend. Das schlichte Setting, mit dem die Geschichte beginnt, das als ereignislos empfundene Leben des Paars nach 25 Jahren, haben Anne Lenk und ihre Kostümbildnerin Sibylle Wallum in blasse Farben und Faltenröcke gepackt, etwas retro, nach den 1950er Jahren sieht das aus. Das mag ein Trick sein, um nicht über die Klischeehaftigkeit der Geschlechterrollenverteilung in diesem Stück zu stolpern. Ein Mann, der davon träumt, sich einen Tag lang in einen Knopf an der Bluse der Empfangsdame in seinem Betrieb zu verwandeln, uff, eine geradezu liebevoll altmodische Fantasie. Aber wie Anne Lenk den Knopf vergrößert über die Bühne wackeln lässt, eben wie im Kindertheater, und er gleich in seinen zwei Versionen hinterherzappelt, reduziert eben auch den Zuschauer auf ein staunendes Kind.

Nach wenig mehr als einer Stunde ist der Spaß vorbei, und das ist auch gut so. In anderen Stücken von Schimmelpfennig geht es um mehr. Aber diese Uraufführung hat trotzdem das Beste aus dem Stoff herausgeholt.