Vorwürfe gegen Aziz Ansari: Gab es ein klares Ja?

Ein US-Comedian soll eine Frau sexuell bedrängt haben. Es gibt viel Kritik – an der Berichterstattung und am Fall.

US-Comedian Aziz Ansari bei den Golden Globes

Time's up: Aziz Ansari unterstützte die Frauenbewegung bei der Verleihung der Golden Globes Foto: ap

„Ich ging zu einem Date mit Aziz Ansari. Es wurde die schlimmste Nacht meines Lebens.“ So beginnt der Text, in dem die Vorwürfe gegen Aziz Ansari erhoben werden. Clickbait nennt man das – eine Überschrift, die auf die Sensa­tions­gier der LeserInnen abzielt. Echter Journalismus geht anders. Das Zeit-­Magazin nannte seine Recherchen über die Vorwürfe gegen den Regisseur Dieter Wedel „Im Zwielicht“. Die New York Times blieb in den Überschriften ihrer Weinstein-Berichterstattung stets sachlich und nachrichtlich.

Auch sonst ist der Text journalistisch unsauber. Die Autorin der Ansari-Geschichte hat, so schreibt sie es, mit Grace und ihren FreundInnen gesprochen und den SMS-Wechsel mit Ansari nachgelesen. Aber sie berichtet eben nur über ihren Fall. Der Text beschreibt einen Abend – und nicht, wie beispielsweise die New York Times oder das Zeit-Magazin die Fälle von mehreren Frauen.

Das bedeutet nicht, dass Ansari, wenn sich der Abend wirklich so zugetragen hat, wie die Autorin schreibt, nicht Grenzen überschritten und falsch gehandelt hat. Aber eine Redaktion, die darüber berichtet, muss sich fragen, ob die Geschichte von Grace dann so, in dieser Form, berichtenswert ist.

Der Text beschreibt den Abend in einem Detailreichtum und in einer Explizitheit, dass es an Voyeurismus grenzt. Klar, das liest sich gut, und vor allem klickt es sich gut, journalistisch sauber ist es allerdings nicht. Im Gegenteil: Es ist boule­vardesk und effekthaschend.

Wäre die Geschichte in Deutschland erschienen, hätte Ansari vermutlich gute Chancen, juristisch gegen sie vorzugehen. Der Pressekodex schreibt für solche Fälle, die als Verdachtsberichterstattung gelten können, große Zurückhaltung vor – und zwar weil der Grad zur Denunziation oft schmal ist. Auch im Journalismus gilt in solchen Fällen: Im Zweifel für den Angeklagten und dessen Recht auf Persönlichkeitsschutz.

Gedeckt vom Recht auf freie Meinungsäußerung

In den USA ist das anders. Pressefreiheit und das Recht auf freie Meinungsäußerung stehen dort über den Persönlichkeitsrechten. Deswegen können rechte Hetzseiten wie Breitbart Lügen über PolitikerInnen veröffentlichen, deswegen zogen Boulevardmedien im US-Wahlkampf selbst private Details über die KandidatInnen in die Öffentlichkeit. Alles gedeckt vom Recht auf freie Meinungsäußerung.

Dennoch bedienen sich nicht alle Medien dieser Methoden, wie nicht zuletzt die Weinstein-Berichte der New York Times gezeigt haben. Zu einer fairen Berichterstattung gehört auch, dass der Beschuldigte konfrontiert wird und genug Zeit hat, zu reagieren. Das war bei Ansari nicht der Fall: Eine Reporterin von Babe.net schrieb auf Twitter, die Redaktion habe Ansari und sein Team kontaktiert und ihnen fünfeinhalb Stunden Zeit gegeben, zu reagieren. Nicht besonders viel, um angemessen auf so viele Details und Fragen zu antworten.

Die Redaktion von Babe.net ist noch sehr jung. Gestartet ist die Seite vor gut einem Jahr, gemacht wird sie hauptsächlich von Studentinnen und Uni-Absolventinnen. Die älteste Redakteurin ist laut einem Bericht der Webseite Mashable 25 Jahre alt. Es ist eine Seite „for girls who don’t give a fuck“.

Das steht in dem Text:

Am vergangenen Wochenende veröffentlichte die Webseite babe.net einen Artikel unter der Überschrift „Ich hatte ein Date mit Aziz Ansari. Es wurde die schlimmste Nacht meines Lebens“. Ansari ist ein mehrfach ausgezeichneter Comedian und Schauspieler. Der Artikel erzählt die Geschichte einer 23-Jährigen, die zu ihrem Schutz anonymisiert ist. Die Redaktion nennt sie Grace.

Grace habe Ansari auf einer Party kennengelernt. Die beiden flirteten und verabredeten sich für ein Date. Am 25. September gingen Grace und Ansari zusammen essen, im Restaurant soll der Comedian nett, aber schon leicht übergriffig gewesen sein. Anschließend seien sie in seine Wohnung gegangen. Dort habe Ansari sofort begonnen, Grace zu küssen und ihr an die Brüste zu fassen. Grace sei das unangenehm gewesen. Als Ansari ein Kondom holen wollte, habe sie gesagt: „Lass uns langsam machen.“

Ansari habe Graces verbale und körperliche Abwehr mehrfach ignoriert, sie ohne explizites Einverständnis gefingert und geleckt. Mehrfach habe er pausiert und dann wieder angefangen, sie zu bedrängen. Sie sei schließlich geflüchtet, habe ihm Taxi geweint und sich schlecht gefühlt. Sie wolle mit ihrer Geschichte jetzt an die Öffentlichkeit, weil Ansari sich sowohl in seinen Filmen, als auch auf diversen Preisverleihungen immer wieder als Feminist gezeigt habe, heißt es in dem Text.

Das sagt Azizs Ansari:

Er bestreitet nicht im Detail, wie der Abend beschrieben wird, sagt aber, der Sex sei seiner Interpretation nach „komplett einvernehmlich“ gewesen. Es tue ihm leid, wenn das nicht der Fall gewesen sein solle. Er unterstütze aber weiter die „Bewegung, die sich gerade in unserer Kultur vollziehe“. Damit meint er die #metoo-Bewegung. (afro)

Babe.net berichtet über Promis (eine „Exklusiv“-Geschichte über den Affen von Justin Bieber, der noch immer traumatisiert ist von seinem Leben mit Bieber), bringt Tests (Welches Make-up passt 2018 zu mir?) und Meinungsstücke vor allem zu feministischen Themen. Finanziert wird die Seite unter anderem vom konservativen Medienmogul Robert Murdoch. Im Herbst steckte er 6,3 Millionen US-Dollar (5,2 Millionen Euro) in die Mutterseite von Babe.net.

Übergriffiges Verhalten wie das, das Grace Aziz Ansari vorwirft, muss diskutiert werden. Doch mit unsauberen Texten wie diesem schadet man der #MeToo-Debatte – denn man macht sie angreifbar.

Reaktionen und Vorwürfe

Wo ist das Problem? Sie hat doch mitgemacht? In dieser Tonart spielen einige Reaktionen nach der Veröffentlichung der Geschichte. So kommentierte zum Beispiel die CNN-Journalistin Ashleigh Banfield, nach Graces eigenen Schilderungen handele es sich nicht um sexuelle Nötigung oder um eine Vergewaltigung. „Du hattest ein unangenehmes Date und bist nicht gegangen. Das liegt in deiner Verantwortung.“

Banfield sieht keinen Grund für Grace, Ansari öffentlich anzuklagen und dabei selbst anonym zu bleiben. „Sag deinem Date selbst, dass er sich widerlich verhält, geh nicht noch einmal mit ihm aus und heirate auf keinen Fall einen solchen Mann“, sagt sie. Aber diese „unangenehme sexuelle Erfahrung“ reiche noch nicht aus, um damit an die Presse zu gehen. Erst recht nicht, weil Grace nicht in einem direkten Abhängigkeitsverhältnis zu Ansari stehe, sagt Banfield. Sie selbst habe Jahrzehnte sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz erlebt. Mit ihrer Anklage schade Grace der #MeToo-Bewegung.

Diesen Vorwurf erhebt unter anderem auch Bari Weiss in der New York Times. Bei #MeToo ginge es um weibliches Empowerment, hier aber um weibliche Hilflosigkeit. Die Debatte über Ansari lenke vom Wesentlichen ab. Das Einzige, was man Ansari vorwerfen könne, sei die Tatsache, dass er Graces Gedanken nicht lesen könne, schreibt Weiss. „Frauen müssen verbaler werden. Sie müssen sagen ‚Das erregt mich‘ oder ‚Das will ich nicht‘ “.

Caitlin Flanagan wirft in The Atlantic zudem die Frage auf, welche Rolle Ansaris Hautfarbe spielt. Sie sieht eine regelrechte Gefahr in jungen privilegierten Frauen wie Grace, die nicht in der Lage seien, ein Taxi rufen, aber wütend und mächtig genug, um „einen Mann zu zerstören, der es nicht verdient hat“.

Das sofortige Ende von Ansaris Karriere, das auch einige andere prophezeiten, scheint erst einmal nicht einzutreten. Die Reaktionen auf die Anschuldigungen sind differenziert. Viele stellen sich jetzt öffentlich hin und sagen: Ich bin FeministIn und unterstütze Ansari.

Eine Form des Victim Bamings

Doch diese Position ist nicht ganz unproblematisch. Sicher, die Geschichte ist, so wie auf Babe.net erschienen, in vielen Dingen angreifbar. Aber die Vehemenz, mit der einige nun die Verantwortung in Richtung der Frau schieben, ist eine Form des Victim Blamings: Sie hat Schuld, weil sie nicht Nein gesagt hat. Sie hat Schuld, weil sie mit ihm nach Hause gegangen ist, sich ausgezogen hat.

Weiss hat Recht, wenn sie schreibt, dass es in diesem Fall um weibliche Hilflosigkeit geht. Wenn man der Geschichte und ihren Details Glauben schenkt, hat Grace jedoch nonverbal zu verstehen gegeben, dass sie keinen Sex mit Ansari will. Und ist dann doch immer noch einen Schritt weitergegangen, bis sie sich letztendlich dazu durchringen konnte, die Wohnung zu verlassen und in ein Taxi zu steigen.

Viele Frauen kennen solche Erlebnisse, in denen sie sich zu einer sexuellen Handlung überreden, überfordern oder bedrängen lassen. In dieser Hinsicht ist die Geschichte universell. Das schreiben auch die Guardian-Autorinnen Jessica Valenti und Jill Filipovic. „Ansaris Verhalten war normal, und genau hier liegt der Horror“, schreibt Filipovic.

Denn das gesellschaftliche Narrativ von Sex erlaubt, subtile und nonverbale Zeichen der Ablehnung übersehen zu dürfen. Es ist die Erzählung der männlichen Eroberung und des Verführens, in der weiblicher Widerstand nur ein zu überwindendes Hindernis darstellt. So gesehen passt diese Episode doch ganz gut in die #MeToo-Debatte.

Ja heißt Ja

Was wurde sich über das geplante schwedische Ja-heißt-Ja-Gesetz hierzulande lustig gemacht. Am dümmsten trieb es die Welt, die Schweden als „das unromantischste Land der Welt, gleich hinter Saudi-Arabien und dem Iran“ bezeichnete. Am besten sei es, vor dem Akt einen Vertrag zu schließen, hieß es bei der Springer-Zeitung. Quelle: „schwedische Internetforen“.

All der Quatsch mit dem Vertrag oder dass er fragen und sie „ja“ sagen müsse, steht natürlich so nicht in dem Gesetzentwurf. „Der Unterschied zur bisherigen Gesetzgebung besteht darin, dass zukünftig jede sexuelle Handlung, die nicht im gegenseitigen Einverständnis geschieht, strafbar wird“, schreibt die Schwedische Botschaft.

Das dürfte eigentlich Konsens sein. Und der Fall von Grace und Aziz Ansari ist ein gutes Beispiel dafür, was eine Ja-heißt-Ja-Regelung womöglich bringen könnte: Erstens hätten die beiden dann vielleicht in irgendeiner Form klarer miteinander kommuniziert. Zweitens müsste man Ansari im Nachgang nicht fragen, ob er die Signale nicht richtig gelesen habe, ob er das Nein nicht verstanden habe. Sondern die simple Frage im Sinne des Ja-heißt-Ja müsste lauten: Welche Handlung von Grace haben Sie als klares Ja interpretiert?

Natürlich schafft das nicht alle Probleme aus der Welt. Natürlich weiß auch durch solch eine gesetzliche Regelung niemand, was genau hinter einer verschlossenen Tür passiert. Aber es dreht die Richtung der Fragen um, die womöglich nach solch einer Nacht, wie sie zwischen Grace und Aziz Ansari passiert ist, entstehen.

Nicht in Richtung des vermeintlichen Opfers: Warum haben Sie nicht Nein gesagt? Sondern in Richtung des vermeintlichen Täters: Wie kommen Sie darauf, dass der Sex einvernehmlich war? Wie wurde Ihnen ein Ja vermittelt?

Wenn der Text über Grace und Ansari zu etwas gut sein könnte, dann dazu, dass durch ihn wieder mehr über eine solche gesetzliche Regelung diskutiert wird. Auch wenn Deutschland dann im Welt-Ranking der (un)romantischsten Länder Schweden sogar überflügeln könnte – und gleich hinter Saudi-Arabien und dem Iran stünde.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.