Abstrus und gefährlich

Die Behörden schauen mit Sorge auf die Reichsbürger-Szene: Diese verstärke ihre Widerstandsaufrufe

Von Konrad Litschko

Seit Oktober wird Adrian Ursache im Landgericht Halle der Prozess gemacht. Versuchten Mord wirft die Anklage dem 43-Jährigen vor. Im August 2016 soll er auf einen Polizisten geschossen haben, als die Beamten sein Grundstück in Reuden (Sachsen-Anhalt) zwangsräumten. Ursache behauptet, er habe nur eine Waffe in der Hand gehalten, geschossen hätten die Polizisten. Mehr noch, er hält das Gericht gar nicht für seinen Fall zuständig, gehöre er doch dem Staat Ur an – einem von vielen Fantasiegebilden der Reichsbürger.

Ein „erhöhtes Gefährdungspotenzial“ spricht das Bundesinnenministerium den Reichsbürgern in Deutschland zu – ein Beispiel ist der Fall Ursache. Die Szene lehne nicht nur diesen Staat ab, sie sei auch gewaltbereit und waffenaffin – eine brisante Melange. „Wir nehmen die Bedrohung sehr ernst“, heißt es aus dem Ministerium. Alle Reichsbürger eint, dass sie die Bundesrepublik nicht anerkennen, sich stattdessen eigenen Fantasiestaaten zugehörig fühlen. Rund 15.000 Reichsbürger zählen die Sicherheitsbehörden aktuell bundesweit – etwa 5.000 mehr als vor einem Jahr. Das hat seinen Grund: Denn erst seit Kurzem schaut der Verfassungsschutz genauer hin.

Auslöser war auch der Fall Adrian Ursache. Zwei Monate später sorgte ein zweiter Fall für Aufruhr: Im bayerischen Georgensgmünd erschoss der Reichsbürger Wolfgang P. einen Polizisten, als Beamte Waffen in seinem Haus beschlagnahmen wollten. Auch P. hatte zuvor sein eigenes Reich ausgerufen und seine Ausweispapiere bei der Gemeinde abgegeben. Inzwischen ist der 50-Jährige wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt worden.

Seit den Schüssen durchkämmen die Verfassungsschutzämter systematisch die Szene. Von teils „völlig abstrusen Thesen“ und „zersplitterten“ Strukturen spricht der Geheimdienst. Aber auch von einer „bemerkenswerten Dynamik“: Die Szene wächst – auch aufgrund eines „verbreiterten ideologischen Angebots“. Der Brandenburger Reichsbürger-Experte Dirk Wilking sieht noch einen anderen Grund: Der Zuwachs sei auch der Pegida-Bewegung geschuldet, die stetig die demokratischen Strukturen im Land delegitimiere. „Da sieht die Reichsbürger-Klientel für sich freie Fahrt.“

Was die Sicherheitsbehörden noch mehr beunruhigt: eine „verschärfte staatsfeindliche Agitation“ der Szene. Zudem besäßen Reichsbürger viele Waffen. Rund 1.000 Anhänger verfügen laut Innenministerium über eine entsprechende Besitzerlaubnis.

Erst am Donnerstag durchsuchten Polizisten einen Reichsbürger in Straubing, weil er einer Finanzbeamtin gedroht hatte, sie zu erschießen. Im Dezember drohte ein Reichsbürger in Alsdorf, sein Haus in die Luft zu jagen, ein anderer schoss in Dietmannsried um sich. Nach taz-Informationen prüfen Sicherheitsbehörden derzeit auch, ob sich in Ostdeutschland Reichsbürger gar zu einer Art paramilitärischer Gruppe zusammengefunden haben. „Ziel ist es, den Waffenbesitz von Reichsbürgern zu minimieren“, betont eine Sprecherin des Innenministeriums. Etwa 330 Anhängern seien bereits die Waffenerlaubnisse entzogen worden.

In Schleswig-Holstein hatte man noch eine andere Idee: Dort verlangen Ämter seit Oktober 2016 fünf Euro pro Tag für zurückgegebene, gültige Ausweise – eine Reichsbürger-Marotte. 29 Personen hätten seitdem versucht, ihre Ausweise abzugeben, so ein Ministeriumssprecher. Nach dem Hinweis auf die Gebühr hätten 21 die Ausweise wieder mitgenommen.

Experte Wilking nennt das „letztlich Symbolpolitik“. Wichtiger wäre, die Demokratie wieder zu beleben: Bürger mehr an Entscheidungen zu beteiligen, Parteien zu öffnen. Das würde den Reichsbürgern ideologisch den Boden entziehen.