Ist das Streikverbot noch zeitgemäß?

Das Bundesverfassungsgericht prüft heute, ob Beamte in Deutschland streiken dürfen

Von Christian Rath, Freiburg

Bisher dürfen Beamte in Deutschland nicht streiken. Ob dieses Streikverbot bestehen bleiben kann, prüft das Bundesverfassungsgericht an diesem Mittwoch im Fall von vier beamteten LehrerInnen, die an Warnstreiks der Gewerkschaft GEW teilgenommen hatten. Sie wehren sich gegen die anschließend verhängten Bußgelder von bis zu 1.500 Euro.

Eigentlich ist das Streikrecht im Grundgesetz im Rahmen der Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit (Artikel 9) geschützt. Eine Ausnahme gilt bisher aber für Beamte, denn das Grundgesetz wahrt auch die „hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums“ (Artikel 33, Absatz 5).

Zu diesen Grundsätzen gehört, dass der Beamte eine unkündbare Lebenszeitstellung hat und der Staat ihm amtsangemessene Dienstbezüge und Sozialleistungen zahlt (Alimentation). Im Gegenzug müssen sich Beamte inner- und außerhalb des Dienstes loyal und achtungswürdig verhalten. Die Rechte und Pflichten der Beamten werden per Gesetz festgelegt, nicht per Tarifvertrag. Deshalb haben Beamte bisher auch kein Streikrecht.

„Hergebrachte Grundsätze“

Das Beamtentum gilt als Garant für eine rechtsstaatliche, nur am Gesetz orientierte neutrale Verwaltung. Bei hoheitlichen Aufgaben, die mit Grundrechtseingriffen verbunden sind, muss der Staat zwingend Beamte einsetzen, also bei Polizei, Justiz, Finanzämtern und Ministerien. Bei anderen Bereichen der Staatsverwaltung kann der Staat wählen, ob er Beamte oder Angestellte beschäftigt.

Ein solches Wahlrecht hat der Staat laut Bundesverfassungsgericht auch bei Lehrern. Nur in Bayern schreibt die dortige Landesverfassung vor, dass Lehrer Beamte sein müssen. Einige ostdeutsche Länder wie Sachsen und Berlin verzichten dagegen ganz oder weitgehend auf die Verbeamtung von Lehrern. Bundesweit sind etwa 70 Prozent der Lehrer verbeamtet. Wenn Lehrer Beamte sind, dann gelten für sie automatisch die „hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums“, also auch das Streikverbot.

Bewegung kam in diese Lage 2009 durch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR). Ein allgemeines Streikverbot für alle Angehörigen des öffentlichen Dienstes sei unverhältnismäßig, hieß es in einer Entscheidung zur Türkei. Das Streikrecht könne nur ausgeschlossen werden, wenn Beschäftigte staatliche Hoheitsgewalt ausüben, also insbesondere bei Polizei und Militär. In Deutschland wurde das so verstanden, dass jedenfalls beamtete Lehrer künftig das Streikrecht bekommen müssen. Die GEW unterstützte deshalb Mitglieder, die sich durch die Instanzen klagen.

Erste Urteile gegen das Streikrecht

Im Jahr 2014 entschied das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig, dass das deutsche Streikverbot für Lehrer gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstößt. Der Gesetzgeber müsse handeln. Allerdings gelte das Streikverbot zunächst fort, denn Gerichte seien nicht befugt, hier selbst Abhilfe zu schaffen. Die Leipziger RichterInnen gehen davon aus, dass zumindest die Besoldung von beamteten LehrerInnen und deren soziale Angelegenheiten statt durch Gesetz auch per Tarifvertrag geregelt werden könnten. In entsprechenden Arbeitskämpfen könnten Lehrer dann auch streiken. Dass Lehrer mit Streikrecht nicht mehr Beamte sein können, sagte das Bundesverwaltungsgericht nicht.

Bisher haben die Gesetzgeber in Bund und Ländern noch nicht auf diese Aufforderung reagiert. Das Bundesinnenministerium erklärte auf Anfrage, man warte noch auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts.

Aber auch Oppositionsparteien wie die Linke haben noch keine entsprechenden Gesetzentwürfe für ein Streikrecht der Lehrer vorgelegt.Das Bundesverfassungsgericht könnte nun die Grundsätze des Berufsbeamtentums im Lichte der Straßburger Rechtsprechung neu interpretieren und den nichthoheitlichen Beamten ein Streikrecht zubilligen.

Möglicherweise werden die Verfassungsrichter in Karlsruhe das aber auch ablehnen, etwa weil das EGMR-Urteil zur Türkei nicht auf die Lage in Deutschland übertragbar sei. Dann wollen die GEW-LehrerInnen selbst in Straßburg klagen.