wahlen in italien
: Tief entspannt in Rom

Vier Wochen vor der Wahl scheint keines der drei großen politischen Lager eine Regierungsmehrheit erobern zu können. Chaos ist dennoch nicht angesagt

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Michael Braun

ist promovierter Politologe. Er lebt seit 1996 in Rom. Seit 2000 ist er Korrespondent der taz. Er schreibt unter anderem auch für das italienische Wochenmagazin "Internazionale".

Groß war die Sorge um Italien – und damit um Europa – noch vor wenigen Monaten. Am 4. März sind die Bürger des Landes an die Urnen gerufen, und was sollte dabei herauskommen, wenn nicht ein weiterer Vormarsch der Euro-feindlichen „Populisten“, egal ob die Fünf Sterne Beppe Grillos, die mit Marine Le Pen befreundete Lega Nord oder der Evergreen der italienischen Politik, Silvio Berlusconi? Was mithin außer einem dank fehlender Mehrheiten unregierbaren Land, in dem die Gegner der EU und des Euro womöglich ein Übergewicht hätten?

Noch gut vier Wochen sind es bis zum Wahltag, und die Aufregung hat sich gelegt. Jedenfalls der „Spread“, die Zinsdifferenz auf Staatstitel zwischen Deutschland und Italien, sagt uns, dass die internationalen Sorgen gegenwärtig gering sind: Er liegt bei beruhigenden 1,3 Prozent, und das, obwohl das Movimento5Stelle (M5S – 5-Sterne-Bewegung) in allen Umfragen nahe 30 Prozent, die Lega bei 12 bis 13 Prozent, Berlusconis Forza Italia (FI) bei 16 bis 18 Prozent liegen.

Wenn die internationalen Sorgen dennoch eher gering sind, liegt das an einem in Wahlkampfzeiten ungewöhnlichen Prozess. Normalerweise rüsten die Kontrahenten in den Wochen vor dem Urnengang verbal auf – in Italien tun sie das Gegenteil. So gut wie alle bemühen sich, gemäßigter denn vorher zu erscheinen. Das beginnt bei dem M5S, einem der größten Schreckgespenster Europas, seitdem sie aus dem Stand mit 25 Prozent im Jahr 2013 ins Parlament einzogen. Angeführt von dem Rumpelstilzchen Beppe Grillo, ließen sie damals kein gutes Haar an der EU und erst recht nicht am Euro. Und heute? „Keinen Schrecken“ wolle das M5S verbreiten, erklären Vertreter der Bewegung off the record, das bis vor Kurzem noch als Parteilinie geltende Referendum über die Zugehörigkeit Italiens zum Euro ist ersatzlos kassiert.

Als genüge das noch nicht, präsentiert sich die Bewegung mit zahlreichen, rundum seriösen Kandidaten, in vielen Wahlkreisen aufgestellt, auch wenn sie bisher nicht im M5S aktiv waren. Da sind Uniprofessoren genauso wie Generäle, Krebsforscherinnen oder Flüchtlingsaktivisten, der Präsident der Rechtsanwaltsinnung von Rom genauso wie der frühere Chef von Sky News Italien. In der Mitte der Gesellschaft, im Herzen Europas, dies ist die Botschaft, und zu ihr passt der Spitzenkandidat Luigi Di Maio, 31 Jahre jung, adrett, nie laut – das Gegenteil seines Übervaters Grillo. Seit Monaten trifft Di Maio Botschafter der EU-Staaten, reist er durch Europas Hauptstädte, immer mit der Botschaft: Wenn die Fünf Sterne am Ende bei den Wahlen vorne liegen, ist das auch kein Drama.

Einigermaßen neu erfunden hat sich auch ein weiterer Protagonist aus einer ganz anderen Ecke: Silvio Berlusconi. Er war in Europa völlig unten durch, er hatte das Land, zuletzt als Ministerpräsident in den Jahren 2008 bis 2011, vor die Wand gefahren. Er hatte sich schon 2001 von Bill Emmott, dem damaligen Chefredakteur des Economist, bescheinigen lassen müssen, er sei „unfit“, Italien zu führen. Und heute? Heute sagt derselbe Emmott, Berlusconi könne Italien retten, als Bollwerk gegen den Populismus. Eben als solcher Retter verkauft Silvio sich mit Erfolg. Gegen die Fünf Sterne, wenn man ihm glauben darf noch gefährlicher als „die Kommunisten“. Aber auch an der Seite der Lega, die weiterhin den Euro infrage stellt. Macht nichts. Die römische Tageszeitung La Repubblica kolportiert, Berlusconi habe trotz der Wahlallianz keinerlei Absicht, mit der Lega an die Regierung zu gehen, dies habe er EU-Vertretern in Brüssel hoch und heilig versprochen.

Deeskalierend im Wahlkampf wirkt aber auch ein weiterer Faktor. Keines der drei großen Lager – der Mitte-links-Block um Matteo Renzis Partito Democratico (PD), die Rechtsallianz, die Fünf Sterne – hat große Chancen, eine tragfähige Regierungsmehrheit zu erobern. Damit blieben als Ausweg nur zwei Optionen: entweder rasche Neuwahlen oder aber Kompromisse, rund um ein Technokratenkabinett, um eine Minderheitsregierung, womöglich um eine Koalition. Zwar schließt zum Beispiel Renzi ein Zusammengehen mit Berlusconi nach der Wahl kategorisch aus – aber keiner mag ihm so recht glauben. Berlusconi lobt seinerseits den scheidenden, aus Renzis PD stammenden Ministerpräsidenten Paolo Gentiloni schon jetzt über den grünen Klee nach dem Motto, da ginge was. Und selbst das M5S unter Di Maio, bisher strikter Gegner jedweder Allianz mit anderen politischen Kräften, gibt sich gesprächsbereit.

Chaos wird also wohl kaum ausbrechen in Rom, nach dem 4. März. Das Land wird sich ein Mindestmaß an Stabilität bewahren. Eine andere Frage ist jedoch, wie es um Italiens Demokratie bestellt ist. Wenigstens innerparteilich darf sie als weitgehend abgeschafft gelten. Berlusconi hielt es schon immer so seit seinem Eintritt in die Politik 1994: In eigener Machtvollkommenheit suchte er sich willfährige Kandidaten aus. Die PD dagegen hatte im Statut festgelegt, dass Vorwahlen die Auswahl besorgen sollten. Auf diese Norm pfiff Renzi jetzt und machte den Job alleine. Wenigstens das M5S führte für die Listenkandidaten ein Onlinevotum unter den Aktivisten durch. Di Maio aber strich einfach jene von den Listen, die ihm nicht passten.

Man verspricht den Bürgern das Blaue vom Himmel herunter. Doch die wenigsten Wähler glauben daran

So werden alle drei Parteichefs über nibelungentreue Truppen im nächsten Parlament verfügen – eine keineswegs zweitrangige Voraussetzung für die Volten, die dann angesichts unklarer Mehrheitsverhältnisse anstehen. Ihre Macht ist gefestigt, ihre Parteien verwandeln sich darüber in immer pragmatischere Gebilde, von den Bürgern weiter denn je entfernt.

Die sollen jetzt im Wahlkampf mit einem Fiskalpopulismus bei Laune gehalten werden, der die Kampagne aller drei Lager auszeichnet: Man verspricht das Blaue vom Himmel herunter. Die wenigsten Wähler glauben ihnen, wie eine gerade veröffentlichte Umfrage zeigt. Und so dürften alle Parteien zusammen am Wahltag gemeinsam die Quittung erhalten, mit der schlechtesten Wahlbeteiligung seit 1945.