Lebendige Werkstatt

Der Verein medico international, 1968 gegründet, feiert sein 50. Jubiläum mit einem Neubau am Frankfurter Osthafen

Interessante und kluge Ideen aus diesem Haus sollen Stadt­gespräch werden Foto: medico international

Von Rudolf Walther

1968 wurde der Verein medico international gegründet. Zum 50. Jahrestag konnte nun am Frankfurter Osthafen das neue Domizil des Vereins eingeweiht werden. In den von einem wüsten Bauboom geprägten Stadtteil haben die Architekten DW Dreysse und Manfred Wenzel vom Team Tektonik sowie Andrea Steinwedel und Thomas Glatter vom Bauträger Lang & Cie nicht einfach ein weiteres Bürohaus gesetzt, sondern einen eleganten siebenstöckigen Kubus, der die rundum ­entstandene Banalbauerei alt aussehen lässt. Im Erdgeschoss des Gebäudes gibt es einen ­großen Saal für sozialpolitische, kulturelle und gesellschaftliche Debatten, die so aus der lebendigen Werkstatt am Rand der Innenstadt in den behäbigen Frankfurter Kulturbetrieb im Stadtzentrum dringen sollen.

Medico ist, was oft vergessen wird, nicht nur dem Jahrgang nach ein 68er-Projekt, sondern ein genuines Kind im Geist jener Zeit – und zwar im Unterschied zu vielen 68er-Projekten ein gelungenes und bis heute prächtig gedeihendes, wie der Neubau in seiner ästhetischen Qualität und seiner Zielsetzung belegt. Anlass für die Gründung waren der Vietnamkrieg und der Bürger- und Hungerkrieg Nigerias gegen die Provinz Biafra, in der ein bis zwei Millionen Menschen starben. Medico war damals noch dem klassischen Katastrophenhilfekonzept verpflichtet und lieferte Medikamente nach Afrika, finanziert durch Spendengelder, die mit emotional-aufrüttelnden Fernseh- und Pressebildern aus dem Katastrophengebiet mobilisiert wurden.

Angefangen hat alles sehr bescheiden – wie der langjährige Geschäftsführer Thomas Gebauer ausführte, der daran erinnerte, dass man damals mit drei festen Mitarbeitern und doppelt so vielen (billigen) Zivildienstleistenden in Baracken und Hinterhöfen mehr hauste als residierte. Bis 2004 gab es nur den Verein medico international, der sich über Spenden finanzierte und gelegentlich staatliche Zuschüsse erhielt.

2004 wurde die Stiftung medico international gegründet, um größere – im Gegensatz zu Spenden nichtzweckgebundene – Vermächtnisse einzuwerben. In den letzten 14 Jahren sind so viele Stiftungsgelder eingegangen, dass der Neubau über ein ingeniöses Finanzierungskonzept realisiert werden konnte. Um ganz ohne Bankkredite auszukommen, suchte man vom Anfang an „verwandte“ Organisationen als Untermieter zu gewinnen, die die Baukosten der Stiftung refinanzieren und das Projekt unabhängig machen vom immer verrückter agierenden Bankensystem. Zu den Medico-Untermietern gehören momentan die Evangelische Wohnraumhilfe, der Frankfurter Arbeitskreis Trauma und Exil (FATRA), der Verein berami, der die berufliche Integration von Migranten fördert, die Akademie für Heilberufe, die Ärztinnen und Ärzten aus dem Ausland bei der Anerkennung ihrer Ausbildung hilft.

Medico folgt dem umfassenden Begriff von Gesundheit der WHO-Deklaration von 1978

Spätestens seit der Deklaration der WHO von Alma Ata im Jahr 1978, als sich 134 Staaten auf einen umfassenden Gesundheitsbegriff verständigten, der physische, psychische, kulturelle, soziale und ökonomische Dimensionen einbezog und nicht nur auf die Abwesenheit von Krankheit und Hunger abhob, änderte sich das Hilfskonzept. Seither setzt Medico auf dieses umfassende Gesundheitsverständnis, wie die Vereinsvorsitzende Anne Blum darlegte. Medico betreibt ­keinen medial verstärkten Katastrophensoforthilfe-Aktivismus, sondern betreibt nachhaltige und langfristig angelegte Hilfe vor allem durch solidarische Kooperation mit einheimischen Hilfsorganisationen. In der Tradition von 68 fördert Medico individuelle Emanzipation und genossenschaftlich-kollektive Selbstverwaltung.

Ramona Lenz, die bei Medico die Bereiche Flucht und Migration betreut, stellte das umfangreiche Veranstaltungsprogramm vor, mit dem Medico im Jubiläumsjahr Konflikte der Gegenwart ebenso zur Debatte stellt wie zentrale Zukunftsfragen. Das Programm umfasst unter anderem eine Diskussion mit dem streitbaren Schweizer Soziologen und Politiker Jean Ziegler über das Thema „Warum wir die kannibalische Weltordnung stürzen müssen“, eine Debatte über „Trauma und Widerstand in Zeiten globaler Selbstoptimierung“ sowie eine Tagung darüber, was Emanzipation heute bedeutet. Gratulation zum Neubau und zum Jubiläum.