Eskalation der Gewalt in Calais

Schwerverletzte mit Schusswunden nach Auseinandersetzung zwischen Geflüchteten

Von Rudolf Balmer, Paris

Bei ungewöhnlich gewalt­samen Zusammenstößen zwischen Migranten aus Afghanistan und Eritrea sind am Donnerstag in Calais über zwanzig junge Männer zwischen 16 und 18 Jahren verletzt worden: Vier Eritreer schwebten am Freitag noch in Lebensgefahr. Gewalt und Streit hatte es in Calais wegen Rivalitäten zwischen Mi­gran­ten schon früher gegeben. Dass nun aber fünf der als Notfälle ins Krankenhaus Eingelieferten schwere Schusswunden aufweisen, ist neu. Um weitere Konfrontationen zu verhindern, wurde die Polizei am Freitag durch zusätzliche 150 Mitglieder der CRS-Ordnungstruppe verstärkt.

In den Auseinandersetzungen zwischen Migranten und organisierten Schlepperbanden sei in Calais ein „nie dagewesener Grad der Gewalt“ erreicht worden, erklärte vor Ort der französische Innenminister Gérard Collomb. Er beschrieb die Situation als „völlig unerträglich für die Bevölkerung und die Migranten selber“.

Laut Angaben des Ministers wurden die Revolverschüsse aus den Reihen einer Gruppe von Afghanen abgegeben, die von bis zu 150 mit Knüppeln und Eisenstangen bewaffneten Eri­tre­ern angegriffen worden waren. Ein als Schütze identifizierter 37-jähriger Afghane wurde von der Polizei zur Fahndung ausgeschrieben. Die Behörden und die französischen Medien vermuten, dass bei der Schießerei Mitglieder von Schlepperbanden involviert waren, die aus der bezahlten Hilfe bei der Überquerung des Kanals in einem Lastwagen ein lukratives Geschäft machen und sich auch für Unterkünfte und Verstecke bezahlen lassen. Gewisse Parkplätze sind so zu Territorien geworden, die von Schleppern gegen rivalisierende Banden oder „Unbefugte“ notfalls mit Waffengewalt verteidigt werden.

Donnerstagnachmittag war es bei einer Essenausgabe zu ersten Zusammenstößen und auch zu Schüssen gekommen. Offenbar wollten sich die Migranten aus Afrika später bei einem anderen humanitären Treffpunkt in der Nähe des Krankenhauses an den Afghanen rächen, die bestimmte Reviere in der Nähe des ehemaligen „Dschungels“ kon­trol­lieren. Seit der Räumung des Flüchtlingslagers im Osten von Calais halten sich dort zwar weniger Menschen auf, die nach Großbritannien wollen, doch auch die Chancen für eine Überfahrt als blinder Passagier haben sich drastisch verringert, und die Lebensbedingungen der Migranten sind prekär geworden. Angeblich halten sich derzeit rund 800 aus Afrika und dem Mittleren Osten Geflüchtete in der Umgebung des Hafens von Calais auf.

Die Polizei hat aus Paris den Befehl erhalten, die Bildung von Camps oder Ansammlungen aller Art zu verhindern.