Verstörendes Hobbes-Grübeln

Die Landesbühne Nord zeigt Konstantin Küsperts „Rechtes Denken“. Das Stück ist oft schwer zu ertragen: nicht, weil es misslungen ist, sondern weil es szenisch so aggressiv Thesen plakativ zuspitzt – ohne ironische Brechung

Beängstigend: Küspert lässt ganz unironisch rechte Sprüche skandieren und Lieder singen Foto: Volker Beinhorn

Von Jens Fischer

So wünscht sich das Theater den Dramaturgen. Aus dem kleinsten Alltagseinerlei kommt er zum großen Ganzen, will verstehen – und verstanden werden. Konstantin Küspert, Jahrgang 1982 und aktuell am Schauspiel Frankfurt engagiert, denkt sich so lange und so tief in gesellschaftlich relevante Themen hinein, recherchiert so umfassend, bis er entscheidende Aspekte in angemessener Komplexität inklusive theoretischer Überbau-Schnörkel verständlich vermitteln kann. Findet er dann kein Stück dazu, dem das ebenso gelingt, schreibt er einfach selbst eines. Angenehm moralinfrei skelettiert Küspert den Diskurs, ästhetisiert ihn mit gedankenklarer Lakonie in dicht gepackten Texten auf durchaus pädagogische Art. Auf dass alle Fragen offen – aber präzise gestellt sind.

Am Landestheater Detmold kam jüngst sein Text „Asche“ zur Uraufführung. Ein Monolog, notwendigerweise. Denn der Protagonist scheint der letzte Überlebende auf der postapokalyptischen Erde zu sein – als Mahnung an die Zuschauer, es nicht so weit kommen zu lassen. Küspert kommt in diesem Gedankenexperiment vom konkreten Ausgangskonflikt ins umfassende Hamlet-Grübeln: Sein oder Nichtsein? Wobei das Publikum unmittelbar in die gedankliche Auseinandersetzung eingebunden wird.

Das versucht auch Gregor Tureček für die Landesbühne Nord mit einem älteren Text Küsperts. Aus der Beschreibung, wie „Rechtes Denken“ entsteht und Menschen radikalisiert, kommt der Autor ins umfassende Hobbes-Grübeln: Wie funktioniert Gesellschaft? In einer naiv wirkenden, spielerisch genauen Form des Lehrtheaters erklärt das Ensemble das staatsphilosophische Werk „Leviathan“ (1651) des englischen Denkers.

Mit herrschaftlicher Kopfbedeckung, später auch Polizistenschmuck und dem Ausspruch „Mein Herz ist fest wie Stein“ gibt ein Darsteller den Leviathan, das gewaltsam beschützende Ungeheuer als Metapher für den absolutistisch starken Staat: Nur mit ihm würden Menschen miteinander existieren, also ihren Überlebenskampf und damit den evolutionären Jeder-gegen-jeden-Krieg kontrollieren können.

Dumm nur, so heißt es weiter im Gruppenvortrag, dass verschiedene Menschengruppen stets eigene Leviathane als Schutzmacht etablieren. Gezeigt wird, was folgt: Ab- und Ausgrenzung. Erst teilt ein Schlagbaum die Bühne in das Reich des identitätsstiftend Eigenen und das Reich des bedrohlichen Fremden. Wichtiger als Gemeinsamkeiten sind gemeinsame Feinde. Diskutiert wird auch die Bühnengrenze: Sollen die aus (kultureller) Not ins Theater geflüchteten Zuschauer jenseits der Rampe willkommen geheißen oder ferngehalten werden?

Einige Wortführer beginnen, Zuschauer auszusortieren, die anders seien, nicht hierher gehören. Und überhaupt: Wir sollen nichts anfassen, die Schnauze halten und einfach auf unsere Abschiebung warten. Können aber auch gleich freiwillig gehen. „Sie sehen doch, die Ressourcen sind begrenzt, das Boot ist voll.“ Beim Wiedereinlass nach der Pause kämpfen Menschenfreund- und -feinddarsteller geradezu handgreiflich um den Rausschmiss einiger Besucher. Ironische Brechung: Fehlanzeige.

Auf einer weiteren Erzählebene fragen Jugendliche am kleinbürgerlichen Familientisch ihre Vorzeigetoleranzeltern nach Verantwortung, Ordnungsprinzipien – und ernten Schweigen. Also hören sie sich selbst mal um. „Wir werden uns auf die Suche begeben nach Strukturen, die uns die Sicherheit und das Wertesystem geben können, welches wir in dieser hyperkomplexen Gesellschaft, deren Zusammenhänge wir nicht verstehen, wiewohl wir ihre Ungerechtigkeit entsetzlich stark spüren, so dringend benötigen.“

Bis Breivik alle killt

Darsteller rennen durchs Parkett, singen eine Pegida-Hymne, tanzen zum Fascho-Punk-Hit und schämen sich nicht des Hitlergrußes

Da ist er, der empfundene Hass auf den existierenden Staat und die Sehnsucht nach einem „Vaterland“. Küspert exerziert beispielhaft durch, wie aus Orientierungslosigkeit nach rechtsnationalen Ködern geschnappt wird. Hat dazu à la Dokutheater im O-Ton reichlich Passagen aus einschlägig rechten Medien gesammelt, die auf der Bühne ungebrochen leidenschaftlich skandiert werden. Beängstigend. Bald rennen die Darsteller mit Blumenpräsenten durchs Parkett und machen offensiv Wahlwerbung für die NPD, singen eine Pegida-Hymne, tanzen zum indizierten Fascho-Punk-Hit und schämen sich nicht des Hitlergrußes. Keine Karikierung, nirgends. So wird dem Publikum zu keiner Sekunde abgenommen, sich zu positionieren. Was die Eltern auf der Bühne verweigern. Nämlich zwanghaft versuchen, wegzugucken. „Ach, das sind doch noch Kinder.“ Später erwacht sogar der elterliche Stolz auf sie, ihre Tatkraft, ihre Wehrhaftigkeit. Zeichen eines schleichenden gesellschaftlichen Gesinnungswandels. Schwer zu ertragen ist das. Soll es sein.

Die dritte der prima ineinander collagierten Erzählebenen entspannt nicht wirklich. Eine eher linke Jugendgruppe will zeigen, worauf rechtes Denken hinausläuft, und macht Theater auf dem Theater: Hitler dröhnt, ein Eichmann-Darsteller verkörpert die Banalität des Bösen, Beate von der NSU tritt auf, bis schließlich Anders Breivik alle niedermäht. Nur ein Burschenschaftlerjunge hat was verstanden, kündigt den dumpfen Korpsgeist auf und resümiert: „Den eigenen Gott, die eigene Freiheit und das eigene Vaterland kann man auch noch wunderbar mit denen der anderen Menschen vergleichen, also ist in diesen Werten doch schon von vornherein der Schwanzvergleich eingebaut. Immer gibt’s ein Besser und ein Schlechter. Und das führt in der Regel zu Spannungen, zu Gewalt.“ Ein szenisch aggressiver, Thesen plakativ zuspitzender Abend entsteht so aus Küsperts dramatischem Gedankenkreiseln um die Notwendigkeit, Möglichkeiten und Gefahren des leviathanischen Denkens.

Und was all das für jeden Einzelnen bedeutet, wird wiederum in „Asche“ zum Grübelgegenstand. Dank einer genau die roten Fäden der Textfläche sezierenden Sprachregie Kathrin Mayrs ist es in Detmold die poetische Klarheit der Sprache, die dem handlungslosen Diskurs gebannt folgen lässt. Die „Mensch“-Figur ist hin und her gerissen, ob sie Selbstvernichtung als des Menschen Weisheit letzter Schluss akzeptieren soll, sich also einfach hinlegen und dem Untergang erliegen und sich als lebensunwürdig euthanasieren – oder gilt es, sich zu wehren? Schließlich funktionieren Körper und Geist „noch leidlich“, auch der Nicht-aufgeben-Trieb tut seinen Dienst.

Es wuchern Erinnerungen in den Sprachfluss an glücksselig erinnerte Tage bei Oma auf dem Bauernhof: sollen Mut machend den Drang zum Leben als etwas Kostbares aufzeigen. Als Imperativ, sich zurück in die Zukunft höher zu entwickeln – als es dem suizidal von Krieg zu Krieg eilenden Homo sapiens gelungen ist.

„Rechtes Denken“: Sa, 24. 2., 20 Uhr, und Mo, 5. 3.,20 Uhr, Stadttheater Wilhelmshaven; weitere Termine: landesbuehne-nord.de

„Asche“: Sa, 14. 4., und Di, 17. 4., Landestheater Detmold