Charme von Pornorap

Timo Blunck ist Mitglied der Bands Die Zimmermänner und Palais Schaumburg. Unter anderem über deren goldene Zeiten hat er jetzt ein Buch geschrieben. Aber warum?

Was Timo Blunck zu dieser Text- und Musik- Compilation bewegt hat: rätselhaft Foto: Elliot Blunck

Von Nils Schuhmacher

Ein Mann schreibt ein Buch. Warum? Vielleicht, um seinen zeitgleich erscheinenden namensgleichen Tonträger nicht so nackt dastehen zu lassen. Ein Mann macht eine Platte. Warum? Vielleicht, um jedem Kapitel seinen ganz eigenen Sound zu verpassen. Dies mag ein guter Ansatz sein, in diesem Fall spielt sich allerdings mehr die Frage in den Vordergrund, welche inhaltliche Idee eigentlich dahintersteckt. Wie man es dreht und wendet, von welcher Seite aus man Timo Bluncks Text-Musik-Compilation „Hatten wir nicht mal Sex in den 80ern?“ (Heyne, 464 S., 22 Euro/Tapete Records) in den Blick nimmt: Die Sache bleibt rätselhaft.

Dies hat zunächst einmal mit den Referenzen und dem biografischen Inventar des Urhebers zu tun. Blunck gehört zur goldenen Generation des hiesigen New Wave und war beziehungsweise ist Mitglied mal mehr (Palais Schaumburg), mal etwas weniger (Die Zimmermänner) bekannter Bands. Beiden lässt sich zurecht musikalische Innovation, textliche Clever­ness und ein avantgar­distisches Gemüt nachsagen. Es sind also – warum auch nicht? – gewisse Erwartungen vorhanden. Diese werden jedoch hier auf eine Art ausgebremst, die letztlich wenig Spaß bereitet.

Bluncks, mit autobiografischen Sequenzen ausgestattetes Buch präsentiert sich als popliterarisch zu verortender Ritt durch ein Leben, das habituell und lifestylemäßig seinen Ankerpunkt in den Hochzeiten der oben genannten Bands besitzt. Die Zutaten sind Musiker, Bands, bedeutungsvolle Popsongs und -zitate, Drogengebrauch, Abstürze, viele (sehr viele) Fickgeschichten, auch ein wenig Liebe und die im Prozess des Alterns sich dann quasi zwangs­läufig einstellenden Introspektionen und therapeutischen Aufarbeitungs­be­darfe des Ganzen.

Steter Begleiter des Geschehens ist ein „Knirpsi“ genanntes Teufelchen, das im Kopf des Erzählers haust, einen großen Teil der Abweichungen von guten Vorsätzen verantwortet und damit zum eigentlichen Hauptverantwortlichen der Lebensführung avanciert. Unter diesen Umständen einbezogener externer Ziehkräfte kann nicht immer alles gelingen. Genau genommen gelingt vieles nicht. Aber in der Gesamtschau entfaltet sich doch ein rasantes, aufregendes, von Exzessen gesäumtes und auch irgendwie bitteres „Leben ohne Filter“, für dessen Darstellung sich Blunck nicht weniger als stolze 450 Seiten gönnt. Auch hier gilt: Das muss nicht schiefgehen, kann aber schnell passieren.

Dafür gibt es zum einen handwerkliche Gründe. Die Schreibe setzt auf Rasanz, ihr fehlt aber letztlich doch der nötige Esprit, um das auf dieser langen Strecke durchzuhalten. Sie will originell sein, bleibt aber sprachlich und dramaturgisch gegenüber den offen­sicht­lichen Vorbildern (zum Beispiel Easton Ellis) blass. Sie will verrucht und explizit rüber­kommen, ist aber eigentlich vor allem vulgär. Zum anderen besitzt dieses Explizite eine Schlagseite, die dem Ganzen den etwas faden Geruch einer nicht endenden Herrenfantasie ver­leiht.

Nun kann die Einnahme einer bestimmten, in diesem Fall eben männlichen, Perspektive auf das Zusammenspiel von Geschlechtsorganen und Kör­perflüssigkeiten ein Stilmittel sein, zum Beispiel um das generelle Geschehen zwischen den Geschlech­tern oder den Menschen im Allgemeinen zu thematisieren. Und auch die Übertreibung ist ja bekannter­maßen ein probates Stilmittel, weil sie uns in den Zwiespalt stürzen kann.

Revue wackliger, von Kontrollverlust bedrohter Männer und vornehmlich strukturierend auftretender Frauen

Allerdings erschließt sich letztlich nicht so recht, worauf Bluncks Roman in dieser Revue wackliger, von Kontrollverlust bedrohter Männer und vornehmlich struk­tu­rie­rend auftretender Frauen nun genau abzielt. Bre­chungen, Subtilitäten, Zwiespälte und der­gleichen sind entweder nicht vor­han­den oder sie sind äußerst gut ver­steckt. Die Darstellung droht so letzten Endes auf dem Niveau eines „anything goes“ zu verbleiben, das in den berühmten 80ern möglicherweise etwas Befreiendes und Öffnendes hatte. In Zeiten einer neoliberal durchwirkten „Fifty shades of grey“- und Tinder-Libertinage setzt sie aber eigentlich keinen eigenen Akzent und hat damit streckenweise in etwa den Charme von Pornorap – nur eben in der Gestalt der älteren Generation.

So gesehen ergänzen sich Buch und Platte bestens. Die zwölf Titel markieren die einzelnen Kapitel des Buches und hangeln sich an den oben ge­nannten Themen entlang. Musikalisch bewegt sich Blunck hier im Spannungsfeld von Bands wie Element of Crime. Er agiert balladesk auf einem soliden Fundament von Soul, R&B und Softrock, welches sich in ähnlicher Form auch bei Künstlern wie Roger Cicero findet. Inhaltlich allerdings werfen die Textsubstrate dieselben Fragen auf, die auch an das Buch gestellt werden können. Man muss sagen: Deren Kürze und Prägnanz macht die Interpretationsspielräume im Endeffekt sogar noch enger.

Eine Vielzahl von Formulierungen trägt zu einer schwülstigen sexualisierten Stimmung bei, die im günstigsten Fall ortlos ist und sich im schlechteren Fall mit dem Habitus des irgendwie narbigen, irgendwie unrasierten, irgendwie verhärteten und innen doch ganz weichen Mannes assoziiert. Dieser Typus von „gut im Bett, leider nirgendwo sonst“, wie es Bernd Begemann einmal schön formulierte, brilliert als „zärtlicher Psychopath“, reist „in 80 Frauen um die Welt“ und besucht auf Koks das Bordell. Ja. Die Hoffnung bleibt, dass hier tatsächlich nur eine Art Sittenporträt beschädigter Gesellschaftsteilnehmer gemalt wird und auf der berühmten zweiten Ebene damit alles ganz anders gemeint ist. Aber die Hoffnung ist nicht ganz groß. Um das Fazit mal im Jargon des Autors zu ziehen: eher schlaff.

Di, 6. 3., 20 Uhr, Nachtasyl, Hamburg; Fr, 9. 3., 20 Uhr, Gastfeld, Bremen; Mi, 25. 4., 20 Uhr, Samowar Tea & Records, Lüneburg

Über Timo Bluncks Buch- und Musik-Projekt konnte man bereits in der Freitagsausgabe der taz lesen. Weil unser Rezensent die Sache etwas anders gesehen hat, gibt es hier einen zweiten Blick.