Das dilettantischste Genie muss gehen

Heiko Maas soll neuer Außenminister werden, für Sigmar Gabriel ist kein Platz mehr. Eine bemerkenswerte Karriere neigt sich damit dem Ende zu. Für viele ist das eine Genugtuung

Abflug: Sigmar Gabriel muss gehen Foto: Silas Stein/dpa

Aus Berlin Ulrich Schulte
und Jörg Wimalasena

Falls Sigmar Gabriel der Abschied aus dem Auswärtigen Amt schwerfällt – anmerken lässt er sich das nicht. „Mir geht’s gut“, antwortet der scheidende Außenminister lächelnd. An diesem Donnerstag absolviert der Ex-SPD-Chef seinen letzten diplomatischen Auftritt – ein Treffen mit dem Außenminister Bosnien und Herzegowinas, Igor Crnadak. Keine wehmütigen Grundsatzreden, kein Nachtreten gegen die eigene Parteiführung. Stattdessen spricht Gabriel souverän über die politischen Herausforderungen auf dem Westbalkan. Der einst so polarisierende Sozialdemokrat scheint seinen Frieden mit dem erzwungenen Abgang gemacht zu haben.

Am Morgen hatten SPD-Chef Olaf Scholz und Fraktionschefin Andrea Nahles dem Niedersachsen mitgeteilt, dass er dem neuen Kabinett nicht mehr angehören werde. Ein paar Stunden später, kurz vor Gabriels Pressekonferenz mit dem bosnischen Außenminister, meldeten mehrere Medien dann übereinstimmend, wer ihm im Amt nachfolgen soll: Heiko Maas. Ein Aufstieg für den 51-jährigen Saarländer, der nach mehreren Wahlniederlagen in der Landespolitik erst 2013 nach Berlin wechselte. Als Justizminister musste der Jurist in den folgenden vier Jahren einige Kontroversen aushalten, zuletzt die um sein Netzwerkdurchsetzungsgesetz für soziale Medien, für das er von allen Seiten Kritik erntete. Mit einem besonderen außenpolitischen Engagement fiel Maas bisher nicht auf.

Etwas verrückt ist es schon, dass Sigmar Gabriel für den Saarländer Platz machen muss. Da wird dieser Unwirschling von den Deutschen endlich mal geliebt. Da wollen drei von vier Bürgern, dass er Außenminister bleibt. Da gelingt ihm mit der Freilassung von Deniz Yücel ein Coup für die Geschichtsbücher. Da ist er also endlich in dem Amt angekommen, das er respektabel auszufüllen weiß.

Und ausgerechnet jetzt ist Schluss für ihn?

Dass Sigmar Gabriel, 58, bald nur noch als einfacher Abgeordneter im Parlament sitzen wird, ist ein Abschied, der auf den ersten Blick nicht einleuchtet. Auf den zweiten aber umso mehr. Gabriel darf nicht mehr Minister sein, weil er mit Nahles und Scholz überquer lag, den neuen Bestimmern in der SPD. Weil er es sich in seiner Partei auch sonst mit fast allen verscherzt hat. Weil ihm, anders gesagt, aus seiner Sicht nur einer das Wasser reichen kann: er selbst.

Selbst seine zahlreichen Gegner bestreiten seine Qualitäten nicht: den Instinkt, das Talent zur Zuspitzung, die Ausgebufftheit. In der SPD haben viele nicht vergessen, wie sehr sie unter ihm als Parteichef litten: an seinem Wankelmut, an seiner Dünnhäutigkeit.

Auch seine 13 Monate als Außenminister waren ambivalent, der Beliebtheit bei den BürgerInnen zum Trotz. Am 16. Februar, dem Tag seines größten Erfolgs, steht Gabriel im Newsroom des Springerblatts Welt. „Ja, das ist ein guter Tag“, sagt er, „Deniz Yücel ist auf freiem Fuß.“ Dann dankt Gabriel vielen. Den Helfern. Ex-Kanzler Schröder. Dem türkischen Außenminister.

Aber er lässt auch keinen Zweifel daran, welche große Rolle er selbst spielte. Er erwähnt beiläufig, er habe zweimal mit Erdoğan persönlich gesprochen. Er betont, beharrliche Arbeit und Diplomatie könnten Erfolg haben. Er meint natürlich: seine eigene Beharrlichkeit.

In seiner Abschiedsnachricht auf Twitter betont Gabriel die „Befreiung deutscher Staatsangehöriger aus ungerechtfertigter Haft im Ausland“ als eine der „bleibenden Erinnerungen“. Dass der Journalist Yücel nach über einem Jahr Haft freikam, geht auch auf Gabriels Wirken zurück. Auf Druck und Freundlichkeit. Gabriel verschärft 2017 etwa die Sicherheitshinweise für deutsche Touristen, was der türkischen Tourismusbranche schadet.

Gleichzeitig lässt er den Gesprächsfaden nie abreißen. Er trifft seinen türkischen Amtskollegen Çavuşoğlu in Antalya, lädt ihn im Januar sogar zu sich nach Hause nach Goslar ein. Das Foto, auf dem er Çavuşoğlu im Wintergarten mit einem türkischen Teeservice bedient, wird berühmt.

Auch Gabriels 13 Monate als Außenminister waren ambivalent

Während Gabriel in Deutschland für die angebliche Demutsgeste kritisiert wird, kommt sie in der Türkei gut an. Symbole sind in der Außenpolitik manchmal wichtiger als tausend freundliche Worte. Gabriel traut sich was im Außenamt, bei seinem Vorgänger Steinmeier wäre eine solche Szene nicht denkbar gewesen.

Aber Gabriel, der Zuspitzer, provozierte auch in dem Job, der der Diplomatie verpflichtet ist. Er denkt laut darüber nach, die Sanktionen gegen Russland schrittweise zu lockern – zum Ärger der CDU. Er setzt sich für Waffenexporte an die Türkei ein. Und sein Vergleich der israelischen Politik in Hebron mit einem „Apartheidregime“ aus dem Jahr 2012 hängt ihm bis heute nach.

Aussagen wie diese sind symptomatisch für den Niedersachsen. Gabriel, heißt es in der SPD, habe sich einfach nicht im Griff. Als er dachte, Martin Schulz wolle ihn aus dem Amt verdrängen, schob er seine kleine Tochter vor, um den „Mann mit den Haaren im Gesicht“ zu beleidigen. Der Fauxpas war ein klassischer Gabriel, wenig später entschuldigte er sich bei Schulz.

Als er noch SPD-Vorsitzender war, beschimpfte Gabriel die linke Syriza-Regierung in Griechenland – und unterstützte kurzfristig einen Euro-Austritt auf Zeit des verschuldeten Staates. Und die SPD will eine Europapartei sein? Dann sein Basta zur Vorratsdatenspeicherung, sein Ja zum Freihandelsabkommen TTIP, sein Nein zu linker Steuerpolitik. Für Gabriel ist sein Abschied aus der ersten Reihe bitter. Für viele in der SPD ist er eine Genugtuung.