American Dreamals Farce

Das Lichtblick-Kino zeigt drei berührende, subtil erzählte Filme des Independent-Regisseurs Sean Baker, die ganz nah dran sind an den porträtierten Drop-Outs

Eine Art Screwball-Comedy über den Straßenstrich in Los Angeles: „Tangerine L.A.“ Foto: Lichtblick

Von Andreas Hartmann

Zum Start von Sean Bakers neuem Film, dem gefeierten „The Florida Project“ (s. S. 4), zeigt das Lichtblick-Kino eine kleine Retrospektive des amerikanischen Independent-Regisseurs. Das Frühwerk des 1971 in Ney Jersey geborenen Filmemachers bekommt man dabei leider nicht zu sehen, dafür seine drei letzten Filme, natürlich inklusive „The Florida Project“ mit dem gerade erst mit dem Goldenen Ehrenbär ausgezeichneten Willem Dafoe in einer der Hauptrollen.

Alle drei Filme sind berührende, sehr subtil erzählte Meisterwerke, die ganz nah dran sind an den Drop-Outs der amerikanischen Gesellschaft, die sie mit viel Sinn für tragikomische Momente ganz genau beobachten. Es geht in ihnen um die schieren Existenznöte derjenigen, die nach der letzten Finanzkrise und aufgrund eines überforderten Sozialstaats den American Dream nur noch als Farce erleben. Seine Versprechungen sind überall zu sehen, für die Abgehängten aus der Unterschicht ist er jedoch in Wahrheit unerreichbar geworden.

Dabei illustriert Baker nicht nur den Niedergang der amerikanischen Gesellschaft, sondern er zeigt, wie die Menschen, an deren Fähigkeit für das Aufbringen von Empahtie er fest glaubt, sich gegenseitig aushelfen und Freundschaften knüpfen, die an die Stelle des Ideals der funktionierenden Kernfamilie treten. Auch in der Plastikwelt der Pornoindustrie, Fastfood-Ketten und Shopping-Malls, lässt sich, davon scheint Baker überzeugt zu sein, durch das Knüpfen auch noch so ungewöhnlicher sozialer Bande ein Weg zum Leben in Würde finden.

In „The Florida Project“ ist es der von Willem Dafoe gespielte Bobby, der Hausmeister eines heruntergekommenen Motels in der Nähe von Disney World, das ausgerechnet „Magic Castle“ heißt, der nicht nur dafür verantwortlich ist, dass keine Fahrräder in den Hausfluren herumstehen und die technischen Geräte gewartet werden, sondern der eher schon wie ein Sozialarbeiter tätig ist. Sein Verständnis für die Nöte und auch Macken der Bewohner ist schier grenzenlos, und wenn die Kinder, die überall auf der Wohnanlage Quatsch machen, weil sie von ihren Eltern nicht angemessen betreut werden, ist er es, der auch noch den Aushilfs-Kinderbetreuer gibt.

Man ist eben ganz selbstverständlich füreinander da. Die Mutter der kleinen Moonee, die sich als Bewohnerin des Motels als Teilzeit-Prostituierte durchschlägt, bekommt von ihrer besten Freundin Essen zugesteckt und Moonee selbst weiß, dass sie sich trotz all der elenden Zustände um sie herum immer auf einige Vertrauenspersonen verlassen kann.

Es ist die Welt der Zuhälter und der Prostitution, in die Baker in allen drei Filmen eintaucht. In „Tangerine L.A.“, seinem letzten Film vor „The Florida Project“, den er vollständig mit einem Smartphone gedreht hat, was für noch realistischer wirkende Bilder sorgt, ist es das Milieu von Transgender-Prostituierten in Los Angeles, das er als sich immer wieder neu zusammenraufende Gemeinschaft zeigt. Starlet, sein ältester Film aus der Lichtblick-Reihe, spielt im San Fernando Valley, dem Herzen der kalifornischen Pornoindustrie.

Vor allem „Starlet“ behandelt ausführlich das Lieblingsthema von Baker, die Freundschaft oder gar Wahlverwandtschaft. Gezeigt wird die ungewöhnliche Beziehung zwischen der jungen Pornodarstellerin Jane und der 81-jährigen Sadie, die sich gegen jede Wahrscheinlichkeit finden und sich gegenseitig dabei beistehen, ihren Alltag besser meistern zu können. Jane kommt dann mal mit zum Bingo, während Sadie auf Janes Hund Starlet aufpasst, wenn diese einen Auftritt auf einer Messe der Pornoindustrie hat.

Dabei lässt Baker nicht aus, dass diese Freundschaften durchaus zerbrechlich sein können. In alle drei Filmen geht es auch um Verrat und das Auseinanderfallen zwischenmenschlicher Beziehungen. Im amerikanischen Kapitalismus mit seinem ewigen Credo von Wettbewerb und seinem permanenten Konkurrenzdruck haben es echte, uneigennützige Freundschaften, deren Sinn jemand wie Donald Trump wahrscheinlich gar nicht versteht, eben nicht einfach. Dabei sind sie so wichtig, damit Amerika, und diese Lehre geben einem die Filme von Sean Baker eindringlich mit, nicht endgültig auseinanderfällt.

Die Sean-Baker-Reihe läuft im Lichtblick-Kino vom 15. 3. bis 4. 4., hwww.lichtblick-kino.org